Halbjahresbilanz der chemisch-pharmazeutischen Industrie 2024
Archivmeldung vom 08.07.2024
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Freigeschaltet durch Mary SmithDas erste Halbjahr 2024 verlief für die chemisch-pharmazeutische Industrie in Deutschland besser als erwartet. Einem sinkenden Branchenumsatz und fallenden Erzeugerpreisen steht ein leichtes Produktionsplus gegenüber. Trotz einzelner positiver Signale ist die Stimmung in der Branche jedoch nach wie vor verhalten. Besonders das Inlandsgeschäft enttäuscht.
VCI-Präsident Markus Steilemann kommentiert die aktuelle Lage: "Es gibt einen Silberstreif, aber von einem stabilen Aufwärtstrend kann keine Rede sein. Die leichten Anzeichen der Erholung sind kein Grund zum Jubeln. Wir erwarten zwar, dass sich die Auftragslage im Jahresverlauf verbessert. Die Signale leichter Entspannung dürfen aber den Blick auf die Standortprobleme nicht verstellen: Neben fehlenden Aufträgen bereiten uns die Energiepreise und die Bürokratie die größten Sorgen."
In Summe ähnelte das erste Branchen-Halbjahr dem Wetter - es war geprägt von sonnigen und regnerischen Abschnitten. Mehr Bestellungen von Kunden aus dem In- und Ausland sorgten dafür, dass die Branche ihre Produktion im ersten Halbjahr um 3 Prozent steigern konnte. Damit lag sie aber immer noch rund 11 Prozent niedriger als 2021. Viele Anlagen waren deshalb nach wie vor nicht ausgelastet und blieben unterhalb der Rentabilitätsgrenze.
Nach dem vorangegangenen starken Einbruch hat insbesondere die Grundstoffchemie wieder Boden gutgemacht. Im ersten Halbjahr lag die Produktion anorganischer Grundstoffe 12 Prozent höher als im Vorjahr. Auch die Produktion organischer Grundstoffe legte mit 8,5 Prozent kräftig zu. Bei den übrigen Chemiesparten fiel das Produktionsplus deutlich niedriger aus: Bei konsumnahen Chemikalien stieg die Produktion nur leicht (2 Prozent), ebenso bei der Polymerproduktion (1,5 Prozent). Die Produktion in der Spezialchemie war erneut rückläufig (-2 Prozent). Grund dafür war, dass viele industrielle Kunden ihre Produktion im ersten Halbjahr gedrosselt hatten und sich dementsprechend mit Bestellungen zurückhielten.
Zuversicht kommt aus dem Pharmageschäft. Seit Jahresbeginn stehen die Zeichen wieder auf Wachstum. Die Produktion legte im ersten Halbjahr um 1,5 Prozent zu. Die hohe Nachfrage sorgte für ein Umsatzwachstum von 6 Prozent.
Insgesamt lag der Branchenumsatz von Chemie und Pharma im ersten Halbjahr mit rund 112 Milliarden Euro rund 1 Prozent niedriger als im Vorjahr. Ursache dafür waren vor allem die Erzeugerpreise, die im ersten Halbjahr unter Druck gerieten. Sie sanken im Branchendurchschnitt um 4 Prozent.
Besonders im Inlandsgeschäft ist die Erlössituation trotz steigender Verkaufsmengen weiter enttäuschend. Hier steht ein Minus von fünf Prozent in den Büchern. Besser läuft es nach langer Durststrecke im Auslandsgeschäft. Der Umsatz mit Exportprodukten verzeichnete in den ersten sechs Monaten des Jahres ein leichtes Plus und lag 1,5 Prozent höher als ein Jahr zuvor.
Zweites Halbjahr: Konjunkturell besser, Stimmung gedämpft
Die Auftragslage in der Chemie dürfte sich - konjunkturell gesehen - im Jahresverlauf weiter verbessern. Angesichts dieser Entwicklung bleibt der VCI bei seiner Prognose für das Gesamtjahr: 3,5 Prozent Produktionsplus und ein Umsatzplus von 1,5 Prozent. Wesentlicher Treiber bleibt das Auslandsgeschäft.
Die Stimmung in der Branche ist jedoch weiterhin gedämpft. Laut den Ergebnissen der aktuellen VCI-Mitgliederbefragung spüren erst 30 Prozent der Unternehmen eine konjunkturelle Erholung. Rund 50 Prozent hoffen im zweiten Halbjahr oder im Jahresverlauf 2025 auf eine Besserung.
VCI-Präsident Markus Steilemann betont: "Zur Wahrheit gehört auch: Jedes fünfte Unternehmen sieht noch kein Licht am Horizont und die konjunkturelle Erholung in weiter Ferne. Wir dürfen eines nicht vergessen: Wir haben zwar die Produktion hochgefahren, unsere Anlagen laufen aber nach wie vor nicht rentabel, und das seit über zweieinhalb Jahren." Zu stark belasten die strukturellen Nachteile am Standort Deutschland. Die Unternehmen rechnen deshalb damit, dass sich die Ertragslage im Gesamtjahr 2024 noch einmal verschlechtern wird.
Größtes Hemmnis bleiben Standortprobleme
Mehr als 70 Prozent der Unternehmen sehen sich durch regulatorische Anforderungen massiv behindert. Damit bleibt die Bürokratie das größte Geschäftshemmnis. Grund dafür sind nicht nur die dadurch entstehenden Kosten, die laut VCI-Mitgliederbefragung mittlerweile bei rund 5 Prozent des Umsatzes liegen, sondern auch die stetig steigende Zahl an neuen Regelungen, die die Unternehmen zunehmend überfordern. Ein weiterer erheblicher Kostenfaktor für die Unternehmen bleiben die hohen Energiepreise. Noch immer sehen 45 Prozent ihre Geschäfte dadurch erheblich belastet. "In allen Punkten kann und muss politisch gegengesteuert werden. Und die Ampel behauptet ja auch, dies zu tun. Doch die Realität sieht anders aus", stellt Steilemann fest.
Auftragsmangel, hohe Energiepreise, steigende Bürokratie: In dieser Gemengelage entscheiden sich immer mehr Unternehmen gegen den Standort Deutschland. Laut VCI-Mitgliederbefragung gingen die Investitionen der Branche in Deutschland im vergangenen Jahr um 2 Prozent auf 9,2 Milliarden Euro zurück. Gleichzeitig stiegen die Investitionen im Ausland mit rund 12 Milliarden Euro um gut 8 Prozent. Hinzu kommt, dass Deutschlands Wettbewerbsbedingungen immer mehr ausländische Investoren abschrecken. Damit droht die Transformation, mit der Deutschland zum Vorreiter für Zukunftstechnologien werden will, ins Stocken zu geraten.
Ungenutztes Potenzial nicht liegen lassen
Dabei bringt Deutschland aus Sicht des Verbandes genügend Innovationspotenzial mit, um auch eine Technologienation der Zukunft zu sein. Was fehlt, sind die richtigen Rahmenbedingungen, um dieses Potenzial wettbewerbsfähig einsetzen zu können. Für den VCI sind besonders drei Maßnahmen essenziell:
1. Gebühren senken
Wettbewerbsfähige Energiepreise durch Entlastungen bei der Stromsteuer und den Netzentgelten. Plus Senkung der Unternehmens- und Körperschaftssteuer sowie Abschaffung des Solidaritätszuschlags.
2. Grundvoraussetzungen verbessern
Investitionen in Bildung, Sicherheit und Infrastruktur. Inklusive Ausbau der Stromnetze, als Daseinsvorsorge auch in Teilen öffentlich finanziert.
3. Wettbewerbsregeln auffrischen
Weniger Bürokratie für mehr Investitionsanreize - auf nationaler und auf EU-Ebene.
Einige dieser Maßnahmen können ohne Kosten durch kluge politische Entscheidungen umgesetzt werden. Andere, wie die Finanzierung von Infrastruktur, Bildung und Sicherheit, bedürfen Investitionen. Der neue Haushaltsplan und das Wachstumspaket der Bundesregierung reichen dazu nicht aus. Nur mit einer veränderten Priorisierung lassen sich letztendlich Maßnahmen umsetzen, die zu mehr Wachstum und Innovation beitragen.
Der VCI fordert die Parteien der Ampel-Regierung und die Unionsparteien auf, gemeinsam durch entschlossenes Handeln das verlorene Vertrauen von Unternehmen, Investoren und nicht zuletzt der Bevölkerung zurückzugewinnen.
Klar ist aber auch: "Wir brauchen nicht nur Reformen auf der Sachebene. Wir brauchen auch einen mentalen Wandel. Die Nation muss offensiver und dynamischer werden. Eine gemeinsame ehrliche Anstrengung ist notwendig, um eine langfristig angelegte nationale Transformationsagenda zu entwickeln, die auch über eine Legislaturperiode hinaus Bestand hat. Ich rufe die Parteien der Mitte auf, sich zu einem Bündnis für Transformation zusammenzufinden. Es ist allerhöchste Zeit, dass wir Lagerdenken und Selbstsucht überwinden und alle zusammen Hand anlegen", ermutigt Steilemann.
Der VCI und seine Fachverbände vertreten die Interessen von rund 2.300 Unternehmen aus der chemisch-pharmazeutischen Industrie und chemienaher Wirtschaftszweige gegenüber Politik, Behörden, anderen Bereichen der Wirtschaft, der Wissenschaft und den Medien. 2023 setzten die Mitgliedsunternehmen des VCI rund 245 Milliarden Euro um und beschäftigten über 560.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Quelle: Verband der Chemischen Industrie (VCI) (ots)