Wikileaks-Chef Julian Assange verteidigt Veröffentlichung von Geheimdokumenten
Archivmeldung vom 06.09.2011
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittIn einer Keynote auf der Medienwoche@IFA 11 und in einem N24-Exklusiv-Interview hat Wikileaks-Gründer Julian Assange die Veröffentlichung von Geheimdokumenten verteidigt. Im Interview mit N24 sagte Assange: "Wir sind eine Veröffentlichungs-Organisation. Wir versprechen unseren Informanten, Dokumente zu publizieren. In diesem Fall gab es eine besondere Verkettung von Ereignissen, sehr ungewöhnliche Ereignisse. Wir hatten geplant, die große Mehrzahl der 250.000 geheimen Botschaften zu veröffentlichen. Mit der Veröffentlichung hatten wir am 29.11. vergangenen Jahres begonnen und wollten sie bis zum 29. November dieses Jahres abschließen."
Assange weiter: "Nach einem Jahr wäre alles zugänglich gewesen. Aber plötzlich mussten wir den Zeitplan nach vorne verschieben. Damit haben wir auf Veröffentlichungen in einem Buch geantwortet, das der "Guardian" herausgebracht hat - ohne unsere Zustimmung. Dort wurde der verschlüsselte Code zu unserem ganzen Archiv preisgegeben und im Internet verbreitet. Dieses Archiv war bereits vorher im Internet zu finden, aber in verschlüsselter Form - geschützt durch einen sehr geheimen Code, der normalerweise zum Schutz von Akten benutzt wird, die vom US-Militär als "top secret" eingestuft werden. Eine Decodierung wäre also für niemanden ohne Kenntnis des Verschlüsselungs-Codes möglich gewesen. Aber der Code war ja nun vom Guardian öffentlich gemacht worden - ein Vertragsbruch, übrigens - und die deutsche Presse verbreitete diese Nachricht. Wir mussten schnell handeln, damit nicht nur Geheimdienste diese Dokumente einsehen konnten, sondern auch die Menschen, die in dem Material erwähnt werden mussten die Geheimunterlagen von einer autorisierten Quelle bekommen - genauso wie Journalisten und Reform-Organisationen überall auf der Welt. Wir hatten also ein Wettrennen in den vergangenen zwei Wochen zwischen despotischen Regimes oder demokratischen Regimes mit Reformbedarf auf der einen Seite, und Reformern, die das Material brauchten, um auf Reformen zu drängen auf der anderen Seite."
In dieser Situation, so Assange weiter, habe es keine Alternative mehr zur Veröffentlichung gegeben. Im N24-Interview sagte Assange: "Wenn sie eine Situation haben, in der brisantes Material einer Regierung zugänglich ist, kann sich diese Regierung neu aufstellen, Beweise vernichten, etc. Es ist also sehr wichtig dafür zu sorgen, dass dieses Material Journalisten und Reform-Aktivisten zugespielt wird bevor es in die Hände von Regierungen gelangt. Als Resultat der "Guardian"-Veröffentlichung waren wir in einer Situation, in der es sehr wahrscheinlich war, dass das Material in die Hände solcher Regimes gelangt war, nicht aber einer breiten Öffentlichkeit zugänglich war. Allerdings hatten kurz zuvor einige Websites damit begonnen, decodiertes Material zu veröffentlichen - decodiert mit Hilfe des "Guardian"-Code-Schlüssels. Aber diese Webseiten sind nicht unbedingt vertrauenswürdig. Also, warum mussten wir Material veröffentlichen, wenn andere das schon längst getan hatten? Wir mussten das veröffentlichen, damit die Menschen wissen, dass es sich um authentisches Material handelt. Denn nur wenn Informationen authentisch sind, können Journalisten vernünftig darüber schreiben - und nur dann kann das Material auch in Gerichtsprozessen benutzt werden."
Assange wehrte sich gegen Vorwürfe, er habe das Leben von Regimekritikern leichtfertig aufs Spiel gesetzt. Im N24 Interview sagte Assange: "Wir hatten unsere Medienpartner vertraglich zur Verschwiegenheit verpflichtet. Das war sehr zeitraubend und aufwändig. Das war ein sehr kompliziertes System. Es gab ein Risiko, aber das Risiko wurde überbewertet. Diese Vorwürfe haben wir bei jeder Veröffentlichung zu hören bekommen. Wir haben über 4 1/2 Jahre in 120 Staaten veröffentlicht, und wir haben niemals erlebt, dass jemand durch unsere Veröffentlichungen zu Schaden kam. In diesem speziellen Fall hat das U.S. State Department seine Informanten und Kollaborateure schon im November und Dezember vergangenen Jahres gewarnt. ... Ich gehe also davon aus, dass diese gefährdeten Menschen umgezogen sind oder andere Schritte unternommen haben, um sich der Bedrohungslage zu entziehen. Das heißt nicht, dass das in allen Fällen gelungen ist, aber ich denke, dass die negativen Auswirkungen gering sind.. Auf der anderen Seite sind aber die positiven Effekte sehr deutlich zu spüren. Im vergangenen Monat gab es über 33.000 Artikel, die auf unser Material zurückgehen - und das überall auf der Welt..."
Quelle: N24