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Eine Million Analphabeten allein in Baden-Württemberg

Archivmeldung vom 20.05.2014

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 20.05.2014 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Manuel Schmidt
Diskutierten an der Pädagogischen Hochschule das Thema Alphabetisierung (von links): Rainer Stolz (s
Quelle: Barbara Müller (idw)
Diskutierten an der Pädagogischen Hochschule das Thema Alphabetisierung (von links): Rainer Stolz (s Quelle: Barbara Müller (idw)

Alphabetisierung ist eine Aufgabe der Gesellschaft. Die dafür erforderlichen Ressourcen sollten daher von der Politik bereitgestellt werden – so das Ergebnis einer Tagung an der Pädagogischen Hochschule Weingarten (PH). Rund 50 Teilnehmer aus ganz unterschiedlichen pädagogischen Berufen sowie Vertreter der Landesregierung und der Kommunen waren am Freitag, 16. Mai, an die Hochschule auf dem Martinsberg gekommen, um über effektive Konzepte einer wirksamen Grundbildung und Alphabetisierung zu sprechen.

Allein in Baden-Württemberg gebe es geschätzte rund eine Million Menschen, die nicht richtig lesen und schreiben können. Rund 15 Prozent der deutschsprachigen Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter hätten erhebliche Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben einfacher Texte, berichtete Professorin Dr. Cordula Löffler. Sie ist Professorin für „Sprachliches Lernen“ an der PH und Leiterin des bundesweit einmaligen Masterstudiengangs „Alphabetisierung und Grundbildung“. Seit rund 30 Jahren würden Alphabetisierungskurse für Erwachsene angeboten, vor allem an Volkshochschulen, bei kirchlichen Trägern und im Strafvollzug. Diese Kurse seien aber immer noch nicht fester Bestandteil des Bildungssystems. Zudem gebe es für die Lehrenden kein spezifisches Berufsbild, kritisierte Löffler. Darunter hätten auch die Absolventen des innovativen PH-Masterstudiengangs zu leiden, die als Experten bislang kaum zum Einsatz kämen, bedauerte die Professorin. Geringe Studierendenzahlen seien die Folge – und dies, obwohl Alphabetisierungs-Experten dringend gebraucht würden.

Alphabetisierung und Grundbildung waren auch Thema einer abschließenden Podiumsdiskussion mit Dr. Jörg Schmidt (Ministerialdirektor im baden-württembergischen Ministerium für Kultus, Jugend und Sport), Marianne Demmer (frühere stellvertretende GEW-Vorsitzende), Rainer Stolz (Bürgermeister der Stadt Stockach und stellvertretender Präsident des Städtetags Baden-Württemberg), Marlies Lipka (Geschäftsführerin des Fachverbands integrative Lerntherapie e.V.) und Dr. Jens Korfkamp (Leiter der VHS Rheinberg). „Wir dürfen kein Kind verlieren“, betonte Dr. Jörg Schmidt. Die Landesregierung habe sich dem Thema Alphabetisierung verstärkt angenommen und setze dabei auf Individualförderung, beispielsweise in Form von Sprachförderung im Kindergarten. Kinder mit Migrationshintergrund seien ein großes Thema, so Schmidt weiter. Auch Berufsschulen sollten durch Fördermaßnahmen erreicht werden. Wichtig sei vor allem, dass ein Förderbedarf frühzeitig erkannt werde, sagte Marianne Demmer. Nicht nur die Eltern, auch die Schulen seien hier in der Pflicht. Und für eine gezielte Förderung sollten Experten eingesetzt werden, betonte sie. „Alle Kinder profitieren davon, wenn erfahrene Therapeuten in die Schulen kommen“, sagte Marlies Lipka. Viele Eltern könnten sich eine Individualförderung nicht leisten und die eigentlichen Lehrer seien mit der Lernförderung einzelner Kinder vielfach überfordert. Für eine erfolgreiche integrative Lerntherapie seien Experten erforderlich, betonte auch sie. Die Kommunen investierten sehr viel in die Bildung und Betreuung von Kindern und Jugendlichen. „Wir setzen dabei nicht nur auf Quantität, sondern vor allem auf Qualität“, betonte Bürgermeister Rainer Stolz. Immer wieder aber gerieten Kommunen dabei an ihre finanziellen Grenzen. „Die Ausgaben in diesem Bereich sind explodiert“, so Stolz. Das Problem einer mangelnden allgemeinen Grundbildung sei von allen erkannt, aber es fehle an tragenden Konzepten und sinnvollen Strategien, kritisierte Dr. Jens Korfkamp. „Sie haben in Baden-Württemberg mit dem Masterstudiengang Alphabetisierung einen Diamanten“, betonte er. Nur durch eine Institutionalisierung dieser Experten bringe man ihn aber zum Leuchten. Auch Professorin Löffler appellierte an die Politik, Stellen für die Alphabetisierungs-Experten zu schaffen und diese in die Schulen hineinzunehmen, statt vorhandene Mittel in zu viele Projektförderungen zu investieren. Handlungsbedarf seitens der Politik mahnte PH-Rektor Professor Dr. Werner Knapp an. Man müsse dringend überlegen, in welche Richtung die Förderung gehen solle und wie man die vorhandenen Mittel für eine qualifizierte Förderung einsetzen könne. Die an der PH ausgebildeten Experten dürften nicht verlorengehen.

Quelle: Pädagogische Hochschule Weingarten (idw)

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