Von der gemäßigten zur radikalen Moderne: Das Leopold Museum zeigt eine umfassende Hagenbund-Ausstellung
Archivmeldung vom 16.09.2022
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Freigeschaltet durch Sanjo BabićZum Auftakt des Ausstellungsherbstes widmet das Leopold Museum dem Hagenbund eine umfassende Ausstellung mit mehr als 180 Objekten, darunter 96 Gemälde. Drei Jahre nach der Gründung der Wiener Secession formierte sich 1900 mit dem Künstlerbund Hagen eine weitere Gegenbewegung zur konservativen Künstlerhaus Vereinigung.
Die Kritik an der mangelnden Förderung junger Talente und die Unbeweglichkeit der innovationsfeindlichen Seilschaften innerhalb des Künstlerhauses mündeten im kollektiven Austritt von 22 „Hagenbündlern”. Leopold Museum Direktor Hans-Peter Wipplinger bezeichnet „die wechselvolle Geschichte des Hagenbundes, die von der Monarchie über die Ausrufung der Ersten Republik und das Intermezzo des austrofaschistischen Ständestaates bis hin zur Machtübernahme der Nationalsozialisten führte, als kulturelles Zeugnis und eindrückliches Spiegelbild dieser bewegten Zeit.”
„Die Intention dieser Ausstellung zum Hagenbund ist es nicht, eine enzyklopädische Umschau unter Miteinbeziehung der zahlreichen ordentlichen und außerordentlichen Mitglieder der fast 40-jährigen Geschichte des Künstlerbundes Hagen auszurichten, sondern eine spezifische Auswahl jener herausragenden österreichischen Positionen zu versammeln, welche die künstlerischen Höhepunkte der Vereinigung markieren. Die chronologisch strukturierte Präsentation bezweckt sowohl die stilistischen Transformationen über die rund vier Dezennien hinweg zu verdeutlichen als auch die historischen und gesellschaftlichen Implikationen zu reflektieren, die für die inhomogene Künstler, bestehend aus den ‚Mitgliedern aller Lager’, prägend war.” (Hans-Peter Wipplinger, Ko-Kurator der Ausstellung)
Die Gründung des Hagenbundes
Der Künstlerbund Hagen wurde nach dem Gastwirt Josef Haagen benannt, in dessen Lokal in der Gumpendorfer Straße sich die Haagengesellschaft traf, eine lose Künstlergruppierung, aus der sowohl die Wiener Secession als auch der Künstlerbund Hagen hervorgingen. Der Hagenbund etablierte sich rasch als dritte große Künstlervereinigung zwischen der avantgardistischen Secession und dem traditionsverhafteten Künstlerhaus. Nach dem Austritt der Klimt-Gruppe aus der Secession 1905 und der Kunstschau Wien in den Jahren 1908 und 1909 erreichte der Hagenbund in den 1910er-Jahren einen bedeutenden Status als Plattform für junge und progressive zeitgenössische Kunst.
Die Zedlitzhalle, Ausstellungsraum des Künstlerbund Hagen
Joseph Urban, Gründungsmitglied des Hagenbundes und einer der kreativsten jungen Architekten Wiens, adaptierte 1901 einen 400 m2 großen Teil der Zedlitzhalle – ein ursprünglich als Markthalle errichtetes Gebäude im ersten Wiener Gemeindebezirk – als Ausstellungsraum des neuen Künstlerbundes. Die 1902 erstmals bespielten Räumlichkeiten dienten als identitätsstiftender Präsentationsort für die Mitglieder des Hagenbundes.
DIE AUSSTELLUNG IM LEOPOLD MUSEUM
Frühe Landschaften und die Kaiser-Huldigungs-Ausstellung, Kokoschka und Schiele
Den Auftakt der Ausstellung bilden frühe Landschaftsgemälde, etwa von Karl Mediz und Emilie Mediz-Pelikan, Ludwig Ferdinand Graf oder Robert Junk. Die vom Hagenbund anlässlich des 60-jährigen Regierungsjubiläums von Kaiser Franz Joseph I. organisierte Kaiser-Huldigungs-Ausstellung im Jahr 1908 wird ebenso thematisiert wie die „Skandalausstellungen” der Neukunstgruppe in den Jahren 1911 und 1912, bei denen Werke von Oskar Kokoschka und Egon Schiele im Fokus standen.
Die Künstlerinnen und der Hagenbund
Die Präsenz von Künstlerinnen stellte eine essentielle Konstante in den Ausstellungen des Hagenbundes dar. Schon bei der Eröffnungsausstellung des Künstlerbundes Hagen waren mit Leona Abel und Emilie Mediz-Pelikan zwei Gastkünstlerinnen vertreten. Die Vereinigung bildender Künstlerinnen Österreichs mietete die Zedlitzhalle acht Mal. Bereits in der ersten Gruppenausstellung im Jahr 1911 waren 57 Künstlerinnen vertreten, unter ihnen Helene Funke.
Themeninseln: Von der Zivilisationsskepsis bis zur Sozialkritik
Zahlreiche Themeninseln finden sich in der Ausstellung. Die Darstellungen reichen von der Hinwendung zu religiösen Themen, über das Schaffen zivilisationsskeptischer Werke und arkadischer Sehnsuchtsorte bis zu apokalyptischen Szenarien, darunter etwa Oskar Laskes Paradiesvorstellungen und Untergangsszenarien, die dynamischen, stilisierten Tierskulpturen Franz Barwigs, religiöse und sozialkritische Betrachtungen von Carry Hauser oder die Praterszenen und Holzschnittfolgen von Otto Rudolf Schatz.
Kubistische Tendenzen, Neue Sachlichkeit
Insbesondere die 1920er-Jahre gelten als die Blütezeit des Hagenbundes, in der letztendlich der Schritt von einer gemäßigten zu einer radikalen Moderne gesetzt wurde. 1922 bezeichnete der Schriftsteller Robert Musil den Hagenbund als „heute radikalste Gruppe.“ Die Bandbreite umfasst ebenso kubistische und kristallisierende Tendenzen, etwa bei Fritz Schwarz-Waldegg, wie Werke der Neuen Sachlichkeit, z.B. von Carry Hauser, Georg Jung oder Greta Freist.
Das Ende des Hagenbundes. Auflösung, Emigration und Auslöschung
Gerade die Fortschrittlichkeit des Hagenbundes war es, die zu dessen Ende führte. Der Glaube an die Moderne und die kosmopolitische Ausrichtung standen im Gegensatz zu den faschistischen Tendenzen in Europa. Zu liberale künstlerische Ansichten, eine hohe Anzahl an Künstler mit jüdischen Wurzeln und der linke Flügel innerhalb des Künstlerbundes führten im September 1938 zur Auflösung der Künstlervereinigung durch die Nationalsozialisten. Eine große Anzahl der ordentlichen, außerordentlichen und korrespondierenden Mitglieder wie Georg Ehrlich und Bettina Ehrlich-Bauer, Josef Floch, Carry Hauser, Lilly Steiner, Otto Rudolf Schatz oder Felix Albrecht Harta mussten emigrieren oder wurden – wie Robert Kohl oder Fritz Schwarz-Waldegg – im Konzentrationslager ermordet. Der kosmopolitische und interkulturelle Geist des Hagenbundes wurde damit auf tragische Weise endgültig ausgelöscht.
Wieder in den Fokus rücken
Die Wiederbelebung des Hagenbundes nach 1945 scheiterte. 1965 wurde die im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigte Zedlitzhalle abgerissen und der Hagenbund verschwand weitestgehend aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit. Die längst überfällige Ausstellung im Leopold Museum macht es möglich, den Hagenbund mit den Meisterwerken der zentralen Protagonisten wieder in den Fokus der österreichischen Kunstgeschichte zu rücken.
Feierliche Eröffnung der Hagenbund-Ausstellung im Leopold Museum
Zur feierlichen Eröffnung der Hagenbund-Ausstellung kamen zahlreiche Ehrengäste, unter Ihnen die Leopold Museum-Vorstände Sonja Hammerschmid, Saskia Leopold und Danielle Spera mit ihrem Mann Nationalratsabgeordneter Martin Engelberg, Sammlerin Elisabeth Leopold, Moritz Stipsicz (Kaufmännischer Direktor, Leopold Museum), Sammler Diethard Leopold, die Ausstellungs-Ko-Kuratoren Dominik Papst und Stefan Üner, Thomas Steiner (OeNB), Sammler Ernst Ploil, Brigitte Neider-Olufs (OeNB), Prof. Tobias G. Natter (Natter Fine Arts), Leopold Birstinger (Vizepräsident der Freunde des Leopold Museum) und seine Frau Margit Birstinger, die Ausstellungskatalog-Autorinnen Verena Gamper (Leopold Museum) und Alexandra Matzner, Marianne Hussl-Hörmann (Dorotheum), Elke Königseder (Dorotheum), Autor Bernhard Barta, Musiker und Leihgeber Nikolaus Leopold, Waltraud Leopold, die Leihgeber Johannes Bauer, Sebastian Bonhoeffer, Alexander Bühl, Prof. Falko Daim, Nikolaus Domes (Wr. Stadt- u. Landesarchiv), Georg Gajewski, Peter Goldscheider (EPIC GmbH), Dietrich Kraft, Christoph und Franka Lechner, Klaus Ortner (Aufsichtsrat PORR) mit seiner Frau Friederike Ortner (IGO Industries) Gerd Pichler (BDA), Manfred Pregartbauer, Thomas Röder, Joyce Rohrmoser, Georg Spitzer, Max Weber, weiters Manager Siegfried Sellitsch, die Galeristen und Leihgeber Florian Kolhammer-Preisinger, Roland Widder (Kunsthandel Widder) und Christa Zetter (Galerie bei der Albertina), Sabine Oppolzer (Ö1), Pia Schreier (Freunde des Leopold Museum), Grafikerin Nele Steinborn, Peter Sroubek (Präsident Hagenbund Freunde), Christoph Mai (Freunde JMW), Peter Grundmann (Hearonymus), u.v.m.
Quelle: Leopold Museum (ots)