ZDF-heute-journal: Berichten Journalisten an der Börse lieber negativ?
Immer mehr Menschen fühlen sich von Negativ-Meldungen in den Medien überfordert. Nachrichten zu vermeiden ist bereits ein zunehmender Trend in westlichen Gesellschaften, wie das Reuters Institute zum Thema "News-Avoidance" berichtet. Ist dafür allein die Weltlage verantwortlich oder verstärken Journalisten mit ihrer Art der Berichterstattung die negative Stimmung?
Das haben Wirtschaftsforscher vom EPoS-Institut untersucht. Die Ergebnisse veröffentlicht das EPoS Economic Research Center der Universitäten Bonn und Mannheim in dem Diskussionspapier "Reporting Big News, Missing the Big Picture? Stock Market Performance in the Media".
Herr Professor Ciccone, was haben Sie genau untersucht?
Prof. Ciccone: Wir haben den zweiminütigen Bericht im ZDF-heute-journal von der Frankfurter Börse untersucht - insgesamt 1.846 Übertragungen zwischen 2017 und 2024. Reporter berichten darin über die wichtigsten Wirtschaftsnachrichten des Tages und nennen häufig die DAX-Veränderung zum Vortag - das war in knapp jeder dritten Sendung der Fall. Wir haben dann die Berichte mit und ohne DAX-Nennung mit der tatsächlichen Entwicklung verglichen.
Was zeigt Ihre Auswertung?
Prof. Ciccone: Wenn die Tagesveränderung explizit genannt wurde, zeichneten die Börsenreporter meist ein negatives Bild: Zusammengenommen ergeben die Erwähnungen einen Rückgang von 10 Punkten pro Tag. Dabei legte der Index zwischen 2017 und 2024 durchschnittlich 4 Punkte am Tag zu. Der Schwerpunkt lag bei den DAX-Nennungen also bei den schlechten Nachrichten.
Wie entwickelte sich der DAX an Tagen ohne Erwähnung?
Prof. Ciccone: Das waren immerhin gut zwei Drittel der Sendungen. An diesen Handelstagen ohne explizite Nennung stieg der Index um 10 Punkte. Die guten Nachrichten fielen aus Sicht der Zuschauer aber unter den Tisch. Wir haben die Tagesveränderungen des DAX aufsummiert - getrennt nach Tagen mit und ohne Berichterstattung. Während sich der tatsächliche DAX verdoppelte, hat sich der berichtete DAX fast halbiert. Bemerkenswert ist zudem: Der nicht-berichtete DAX ist um 25 Prozent stärker gestiegen als der tatsächliche Index.
Ist allein der Negativ-Fokus für diese Verzerrung durch die Berichterstattung verantwortlich?
Prof. Ciccone: Unsere Forschungsergebnisse zeigen, dass neben der Betonung von negativen Nachrichten durch die Reporter ein zweiter Aspekt hinzukommt: der so genannte "Big News Bias" - die Tendenz, über kurzfristige Entwicklungen zu berichten, die viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Diese Meldungen können sowohl positiv als auch negativ sein. Speziell beim Aktienindex sehen wir aber eine ungleiche Verteilung: Große Tages-Ausschläge sind eher negativ - Aufwärtsbewegungen erfolgen dagegen meist in vielen kleinen Schritten. Journalisten berichten vor allem über große Veränderungen, das ist ein zweiter Verstärker von schlechten Nachrichten an der Börse.
Was wünschen Sie sich von Journalisten?
Prof. Ciccone: Journalisten sollten berücksichtigen, dass Fortschritt oft das Ergebnis vieler kleiner Verbesserungen ist, teilweise unterbrochen von Rückschlägen. Das haben Hans Rosling und seine Ko-Autoren in dem Buch "Factfulness" beschrieben. Längerfristige Fortschritte bleiben in den Medien aber unerwähnt, wenn der Fokus auf spektakulären Veränderungen liegt. In unserer Untersuchung haben wir in acht Jahren nur zwölf Analysen gefunden, die sich auf ein halbes Jahr oder einen längeren Zeitabschnitt beziehen. Mein Appell an Journalisten lautet daher: mehr Analyse in größeren Zeiträumen. Wenn öfter die längerfristigen Entwicklungen, zugrundliegende Strömungen und Hintergründe beleuchtet werden, können Zuschauer und Leser die Nachrichten besser einordnen. Das ist aus meiner Sicht wichtig, um der gefühlten Überforderung durch Negativ-News entgegenzuwirken.
Die Autoren
Antonio Ciccone, Professor für Makroökonomie, Leiter des Lehrstuhls für VWL, Makroökonomie und Finanzmärkte, Universität Mannheim und Mitglied des EPoS Economic Research Center
Felix Rusche, Doktorand, Abteilung Volkswirtschaftslehre, Universität Mannheim und Mitglied des EPoS Economic Research Center
Quelle: Economic Research EPoS - Universitäten Bonn und Mannheim (ots)