Geplante EU-Vorgaben für Reifen würden Sicherheit im Straßenverkehr verringern
Archivmeldung vom 12.11.2007
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDie EU will mit diversen Verordnungen künftig sowohl den CO2-Ausstoß als auch die Geräuschbelastung durch den Straßenverkehr verringern. In der Diskussion ist in diesem Zusammenhang auch ein "Umweltlabel", das den Verbraucher über Rollwiderstandseigenschaften von Reifen informieren soll.
Ebenfalls geplant ist eine neue Vorgabe
zur Reduzierung des Reifen-/Fahrbahngeräusches. Um beide Ziele in dem
von der EU beabsichtigten Umfang zu erreichen, müssten gleichzeitig
deutliche Abstriche bei der Leistungsfähigkeit der Reifen in Sachen
Verkehrssicherheit in Kauf genommen werden.
"Auch wir konzentrieren uns stark darauf, unsere Produkte in
Sachen Umweltschutz ständig und nachhaltig zu verbessern. Vor einer
einseitigen Ausrichtung zu Lasten der Sicherheit warnen wir aber
ausdrücklich", sagte Manfred Wennemer, Vorstandsvorsitzender der
Continental AG in Hannover. "Ein guter Reifen muss ausgewogen sein,
d.h. neben anderen wichtigen Eigenschaften auch einen möglichst
niedrigen Rollwiderstand und gleichzeitig gute Bremseigenschaften
mitbringen. Alles andere würde einen deutlichen Rückschritt bei der
Verkehrssicherheit bedeuten. Darunter hätten nicht nur Autofahrer,
sondern gerade spielende Kinder, Fußgänger und Radfahrer zu leiden.
Einer derartigen Entwicklung würde auch der European Road Safety
Charter entgegenstehen, mit der sich die EU verpflichtet hat, die
Zahl der Verkehrstoten bis zum Jahr 2010 auf 25.000 zu halbieren -
das sollte das übergeordnete Leitmotiv bleiben."
Selbst Hersteller ohne umfassendes technisches Know-how können
heute Reifen allein auf niedrigen Rollwiderstand trimmen. Aber
gleichzeitig sinken bei derartigen Produkten die Bremswerte auf
nasser Fahrbahn. Aktuelle Winterreifentests des ADAC belegen, dass
selbst ein auf sehr niedrigen Rollwiderstand und hohe Laufleistung
getrimmtes Qualitätsprodukt im Vergleich zu einem Reifen mit sehr
guten Allroundeigenschaften beim Nassbremsen um 10 Prozent schlechter
abschneidet. Ähnliche Ergebnisse haben die Redaktionen von "auto,
motor und sport", "AutoBild" und Stiftung Warentest eingefahren. Die
Testparameter sind dabei darauf ausgelegt, Sicherheit und
Umweltaspekte möglichst ausgewogen zu beurteilen.
"Wir reden bei diesen Testergebnissen von einem acht Meter
längeren Bremsweg aus einer Geschwindigkeit von 100 km/h. Dabei hat
das Fahrzeug mit den schlechter bremsenden, weil einseitig auf
Rollwiderstand ausgelegten Reifen zum Zeitpunkt des potenziellen
Crashs immer noch eine Restgeschwindigkeit von 35 km/h, d.h. zu dem
Zeitpunkt, wenn der Wagen mit den ausgewogenen Reifen bereits steht",
betonte Wennemer. Deshalb steht bei Fachleuten auch ein einseitiges
"Rollwiderstands-Label" besonders in der Kritik. Die Bremsleistungen
sollten nach Auffassung der Experten - zum Beispiel auch des ADAC -
in eine Verbrauchinformation unbedingt mit einfließen und
gleichzeitig durch ein entsprechendes Label ausgewiesen werden.
"Eine neue, wirklich aussagefähige Kennzeichnung hätte den
Vorteil, dass der Autofahrer wirklich die Wahl hat. Gleichzeitig
würde sie davor warnen, Reifen mit schlechten Fahreigenschaften zu
montieren. Eine solche Kennzeichnung wäre das Mindeste, was wir uns
in punkto Verbraucheraufklärung wünschen", sagte Wennemer. "Diese
Empfehlung geben beispielsweise auch der ADAC und die ETRMA als
Dachverband der europäischen Reifenhersteller. Eine eindimensionale
Kennzeichnung, wie sie beispielsweise bei Kühlschränken mit einem
Öko-Label sinnvoll sein mag, spiegelt die Komplexität von Reifen als
Hightech-Produkte in keiner Weise wider."
Die Grundproblematik liegt in dem häufig sowohl Verbrauchern als
auch Politikern kaum bekannten "Zielkonflikt" in der Konstruktion von
Reifen: Ein Reifen ist aufgrund physikalischer und chemischer
Gesetzmäßigkeiten in Konstruktion und Mischung immer ein Kompromiss.
"Er kann nicht gleichzeitig super auf nasser Straße bremsen, ein
Autoleben lang halten, nahezu geräuschlos sein und außerdem noch
einen so niedrigen Rollwiderstand haben, dass kaum Sprit verbraucht
und entsprechend wenig CO2 emittiert wird. Verbessert man eine
Eigenschaft übermäßig, folgen automatisch Abstriche bei mindestens
einer anderen Anforderung", erklärt Dr. Burkhard Wies, Leiter der
Pkw-Reifenentwicklung Ersatzgeschäft von Continental.
"Eine ähnliche Problematik ergibt sich beim Thema
Geräuschentwicklung. Je weniger Profil ein Reifen hat, desto leiser
ist er. Spitzenreiter wäre ein Slick, wie man ihn in der Formel 1
verwendet. Für ein normales alltagstaugliches Auto ist das natürlich
keine Option. Ein solcher Reifen hat extrem schlechte Bremswerte auf
nasser Straße, auch seine Aquaplaningeigenschaften wären absolut
inakzeptabel", sagte Dr. Wies weiter.
Reifen sind vor allem in der Stadt nicht Hauptverursacher von Verkehrslärm. Hierfür sind vielmehr Motorengeräusche beim Anfahren, Bremsgeräusche und andere Quellen wie Kanaldeckel oder Straßenmarkierungen verantwortlich. Zwischen rund 60 und 100 km/h strahlen die Reifen dagegen am meisten Geräusche ab, über 100 km/h dominieren dann Windgeräusche der Karosse das Klangbild. "Wir wissen, dass gerade die europäische Reifenindustrie ohnehin sehr leise Reifen anbietet. Wären alle Reifen - auch die preiswerten Importe - bei ihrer Geräuschabstrahlung auf dem Level der Qualitätshersteller, wäre schon viel erreicht", ergänzte Dr. Wies abschließend.
Quelle: Pressemitteilung Continental AG