"Schächt-Urteil": Bundesverwaltungsgericht muss mit Anhörungsrüge rechnen
Archivmeldung vom 26.02.2007
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittFast genau drei Monate nach dem mündlichen "Schächt-Urteil" legt das Bundesverwaltungsgericht nun seine schriftliche Begründung vor, warum auch das Staatsziel Tierschutz es nicht ausschließt, dass ein muslimischer Metzger eine Ausnahmegenehmigung zum betäubungslosen Schächten von Tieren bekommen muss.
Die Richter bestätigen im Wesentlichen ihre mündliche Urteilsbegründung, nach denen die Vorgaben des § 4a Tierschutzgesetz (TierSchG) garantieren, dass das Staatsziel Tierschutz und die anderen betroffenen Grundrechte (vor allem Religions-, aber auch Berufsfreiheit) gleichermaßen Wirkung entfalten können. § 4a TierSchG sieht vor, dass ausnahmsweise eine Genehmigung zum betäubungslosen Schächten erteilt werden darf, wenn zwingende Vorschriften einer Religionsgemeinschaft nur den Verzehr unbetäubt geschlachteter Tiere zulassen.
Bisher galt, dass das Fleisch betäubungslos geschächteter Tiere nur an Kunden verkauft werden durfte, die sich diesen religiösen Vorschriften verpflichtet fühlen. Außerdem musste auch der Metzger, der die Ausnahmegenehmigung beantragt, diesen religiösen Zwängen unterworfen sein. Der Kläger, der muslimische Metzger Rüstem Altinküpe, hatte noch 2002 vor dem Bundesverfassungsgericht angeführt, er würde wegen Konflikten mit seiner religiösen Überzeugung seinen Beruf niederlegen müssen, wenn er nicht betäubungslos schächten dürfe. Diese Tatsache war wesentlicher Grund für das höchste deutsche Gericht, dem Anliegen Altinküpes stattzugeben. Im Ende November 2006 entschiedenen Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht stellte sich aber heraus, dass das Ehrenmitglied der radikalislamischen Organisation Milli Görüs bereits mit Elektrokurzzeitbetäubung geschächtet hatte. "Er hat also das Bundesverfassungsgericht belogen", stellt Mechthild Oertel, Vorstandsmitglied von PROVIEH - Verein gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V. fest. Die Leipziger Verwaltungsrichter sahen darin jedoch kein Problem und urteilten, dass Altinküpe weiterhin betäubungslos schächten dürfe. Auch der Beweis, dass er seine Waren über Supermärkte an jedermann verkauft und eben nicht nur an Mitglieder einer wie auch immer gearteten Religionsgemeinschaft mit ihren Speisevorschriften, beeindruckte die Richter nicht. Beide Tatsachen wurden in der Urteilsbegründung im letzten Punkt mit 11 Zeilen als irrelevant abgehandelt.
Als erste praktische Folge des Urteils beantragen nun auch immer mehr deutsche Metzger eine Ausnahmegenehmigung zum betäubungslosen Schächten und berufen sich auf ihren muslimischen Kundenkreis, dem im Übrigen nach übereinstimmender Aussage zahlreicher Religionswissenschaftler durchaus der Verzehr von Tieren, die vor dem Schächtschnitt betäubt wurden, erlaubt ist. "Wir appellieren an die Berufsehre der Metzger, auf das Schächten ohne Betäubung zu verzichten", so Mechthild Oertel.
Gleichzeitig könnte das Urteil ein rechtliches Nachspiel haben. Gegen die verspätete Vorlage der Urteilsbegründung kann nicht vorgegangen werden. "Sie steht aber dem Gericht, das selber strenge Maßstäbe an Fristen setzt, nicht gut zu Gesicht", so das PROVIEH- Vorstandsmitglied. Wer drei Monate brauche, um 11 Seiten Urteilsbegründung zu formulieren, müsse schon arge Schwierigkeiten gehabt haben, juristisch "wasserdichte" Argumente für sein Urteil zu finden.
Die Tatsachen, dass Altinküpe schon mit Betäubung geschächtet hat und sein Fleisch an jedermann verkauft, wurden im Verfahren im Prinzip nicht und in der Urteilsbegründung nur unzureichend behandelt. Gleichzeitig wurden sie in der Darstellung des Sachverhalts - der Sachverhalt wird in jedem Urteil in wesentlichen Zügen vorgestellt - nur unzureichend aufgeführt.
Deshalb empfiehlt Hans-Georg Kluge, Prozessbevollmächtigter des beklagten Lahn-Dill-Kreises, der für die Erteilung bzw. Nichterteilung der Ausnahmegenehmigung für Altinküpe zuständig ist, eine Anhörungsrüge und einen Antrag auf Tatbestandsberichtigung einzureichen. Damit wird öffentlich dokumentiert, dass das Gericht wichtige Tatsachen ignoriert und dass es gegen seine eigenen Auflagen verstoßen hat, nach denen auch in einem Revisionsverfahren das Einbringen neuer wichtiger Tatbestände zulässig, ja sogar Pflicht der Parteien ist.
PROVIEH - VgtM e.V. begrüßt weitere rechtliche Schritte und fordert gleichzeitig die Politik auf, den "Schächtparagrafen" 4a TierSchG so zu ändern, dass Ausnahmegenehmigungen nur noch dann zu erteilen sind, wenn der Antragsteller nachweist, dass den Tieren nicht mehr Schmerzen als bei einer vorherigen Betäubung zugemutet werden.
Quelle: Pressemitteilung PROVIEH - VgtM e.V.