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Tipp zur WM: Kasseler Sportwissenschaftler kennt das Geheimnis eines sicheren Elfmeters

Archivmeldung vom 18.06.2014

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 18.06.2014 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Manuel Schmidt
Bild von Prof. Dr. Armin Kibele
Bild von Prof. Dr. Armin Kibele

(Foto: Uni Kassel)

Fußballer können die Trefferquote bei Elfmetern nahe an die 100 Prozent bringen, wenn sie einen Trick einstudieren. Der Kasseler Sportwissenschaftler Prof. Dr. Armin Kibele, der sich seit Jahren mit Strafstößen beschäftigt, hat dazu ein elektronisches Trainingsgerät für das Bewegungslernen entwickelt. Sein Trainingsprogramm baut auf Erfahrungen von Bundesliga-Spielern auf – und nutzt dabei ein Dilemma aller Torhüter.

Nationalspieler Thomas Müller verwandelte gegen Portugal sicher, doch ein verschossener Elfmeter kann eine ganze Fußballnation ins Unglück stürzen – das zeigt sich spätestens dann wieder, wenn bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien K.o.-Spiele oder gar das Finale durch Elfmeterschießen entschieden werden. Dabei ist das sichere Verwandeln vom Punkt mit einer simplen Taktik erlernbar, hat der Kasseler Sportwissenschaftler Prof. Dr. Armin Kibele festgestellt. Der Schlüssel zum Erfolg liegt in einer Verzögerung des Schusses im richtigen Moment.

„Die Schützen haben im Duell gegen den Torhüter einen Zeitvorteil“, erläutert Kibele, Leiter des Fachgebiets Bewegungswissenschaft an der Universität Kassel. „Im Profi- und Halbprofi-Bereich können stramm geschossene Bälle eine Geschwindigkeit um die 30 Meter pro Sekunde erreichen. Will ein Torwart einen Ball abwehren, der in eine Ecke platziert wird, muss er aus rein zeitlichen Gründen abspringen, bevor der Fuß des Schützen den Ball trifft.“ Torhüter versuchen daher häufig, aus der Bewegung des Schützen vor dem Ballkontakt die Schussrichtung abzuleiten, und springen dann Sekundenbruchteile vor dem Schuss in eine Ecke. Kibele: „Wenn der Schütze unmittelbar vor dem Schuss seinen Anlauf verzögert und den Sprung des Torhüters – oder dessen Stehenbleiben – abwartet, hat er ein Zeitfenster von etwa 100 bis 150 Millisekunden, um den Ball in die freie Ecke zu platzieren. Unsere Studien haben gezeigt: Es ist trainierbar, dieses Zeitfenster zu nutzen, um die Schussrichtung in einem automatisierten Ablauf auf die Wahrnehmung der Torhüterreaktion abzustimmen.“

Für seine Untersuchungen ließ Kibele unter anderem Studierende auf ein Tor schießen, zwischen dessen Pfosten eine Lichterkette lag, die die Sprungrichtung des Keepers simulierte. Die Schützen lösten mit ihrem Standbein unmittelbar vor dem Schuss eine Lichtschranke aus, die Lichterkette leuchtete entweder nach links oder nach rechts; die Studierenden sollten dann in die jeweils andere Ecke schießen. Ergebnis: „Während Anfänger den verlangten Bewegungsablauf nicht umsetzen konnten, verbesserten sich die Fußballer in der Übungsphase immer weiter und waren schließlich in der Lage, in sehr kurzer Zeit die Schussrichtung entgegen der Lichterkette auszuführen“, so Kibele. Inzwischen hat die Uni eine verbesserte Variante der Versuchsanordnung zum Patent angemeldet, in der die Lichterkette durch eine Videowand mit Filmsequenzen eines Torwarts ersetzt wird. Das System soll in Zukunft im Training von Spitzenfußballern eingesetzt werden.

Rat an die Deutsche Mannschaft: Im Elfmeterschießen nicht in die oberen Winkel zielen

Kibele forscht seit Jahren zur sogenannten Wahrnehmungs-Handlungs-Kopplung, also der Fähigkeit von Sportlerinnen und Sportlern, ihre Handlungen in kurzen Zeiträumen auf das Verhalten ihrer Umgebung abzustimmen. „Durch häufiges Üben stellt das Gehirn Nervenverbindungen her, die eine blitzschnelle Reaktion auf eine bestimmte Wahrnehmung ermöglichen“, erklärt Kibele. Auf die Idee, Elfmeter in diese Forschungen einzubeziehen, brachte ihn der begnadete Strafstoßschütze Rudolfo Esteban Cardoso, der in den 90er Jahren beim SC Freiburg spielte und die Technik der „reaktiven Strafstoßausführung“ anwandte – nach intensivem Training, wie er Kibele später im persönlichen Gespräch verriet. Diese reaktive Ausführung – also der Schuss in die der Torwartreaktion gegenüberliegende Ecke – ist die Alternative zum Schuss in den oberen Torwinkel, um einen Elfmeter sicher zu verwandeln. „Während ein Schuss in den Torwinkel hohe Anforderungen an die Koordination stellt und durch Ermüdung beeinträchtigt wird, ist die reaktive Strafstoßausführung kaum fehleranfällig“, berichtet Kibele. Der deutschen Nationalelf, die in Brasilien um den WM-Titel spielt, gibt der Kasseler Sportwissenschaftler daher den Rat mit auf den Weg, insbesondere in einem Elfmeterschießen nach Verlängerung eher nicht in die oberen Torwinkel zu zielen. „Diese Variante sollte, wenn überhaupt, nur von ausgeruhten Spielern gewählt werden. Denn Untersuchungen zeigen, dass durch die Ermüdung die Motorik leidet, aber nicht die visuelle Wahrnehmung. Also: Der Präzisionsschuss geht leicht schief, der reaktive Schuss gelingt auch nach 120 Minuten noch.“ Sofern auch die reaktive Strafstoßausführung nicht gewählt wird, empfiehlt Kibele als nächstbeste Variante, dass sich die Schützen bereits vor dem Strafstoß für eine Torecke entscheiden und den Torhüter vor dem Schuss völlig ignorieren: „Wichtig ist dabei, dass sie sich nicht auf den eigenen Bewegungsablauf konzentrieren, sondern den Ball bereits vor dem Schuss gedanklich im Netz sehen.“

Was Schweinsteiger im Champions-League-Finale 2012 falsch machte

Kibele sieht sich übrigens gerade durch einen prominenten Fehlschuss bestätigt: den Schuss, den Bayern-Spieler Bastian Schweinsteiger im Champions-League-Finale 2012 gegen Chelsea vom Punkt an den Innenpfosten setzte. „Im Video erkennt man deutlich, dass Schweinsteiger seinen Anlauf zu früh verlangsamt“, erläutert Kibele. Der erfahrene Chelsea-Torhüter Petr Cech hatte dadurch Gelegenheit, selber eine Bewegung anzutäuschen, was Schweinsteiger sichtlich verunsicherte. „Das zeigt, dass die reaktive Strafstoßausführung im Training unbedingt intensiv geübt werden muss“, so Kibele. „Ist der Ablauf verinnerlicht, ist der Erfolg fast sicher.“ So berichtet Wynton Rufer, ein anderer Bundesliga-Spieler von Werder Bremen, der die reaktive Strafstoßausführung praktizierte, dass er vor einem Spiel gegen Borussia Dortmund dem Torhüter Teddy de Beer erläutert hätte, wie er den Elfmeter ausführt. Dennoch hatte de Beer in dem Spiel, in dem tatsächlich ein Elfmeter gegeben wurde, keine Chance, den Strafstoß von Rufer abzuwehren.

Kibele leitet das Fachgebiet Bewegungswissenschaft an der Universität Kassel seit 2002. Er ist beteiligt am „Transfer- und Anwendungszentrum Sport in Kassel“ TASK. In diesem bundesweit einmaligen Zentrum arbeiten Sportwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler der Universität Kassel mit dem Sportamt der Stadt und Kooperationspartnern wie Vereinen oder Unternehmen zusammen. Ziel ist es, Forschungsergebnisse – beispielsweise zur Trainingsmethodik oder Gesundheitsvorsorge – in die Praxis umzusetzen.

Quelle: Universität Kassel (idw)

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