RUB-Studie: "Verletzungsmisere" im deutschen Profifußball ist teuer und vermeidbar
Archivmeldung vom 23.09.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittBerufsfußballer erleiden pro Saison durchschnittlich zwei Verletzungen: eine leichtere und eine schwerere, die mit Arbeitsunfähigkeit einhergeht. Das zu verringern ist nicht nur deswegen ein Anliegen der Vereine, weil sie für ihre Spieler verantwortlich sind.
Der Ausfall eines Profikickers in der ersten Bundesliga beeinflusst natürlich
auch die Spielergebnisse und kostet darüber hinaus täglich ca. 2500 Euro, nicht
eingerechnet die Ablösesummen. Um Möglichkeiten der Vorbeugung auszumachen,
haben Sportwissenschaftler der RUB gemeinsam mit der
Verwaltungsberufsgenossenschaft (VBG), die die Berufsfußballer versichert, in
einer Studie die Verletzungen analysiert. Die Ergebnisse präsentieren sie beim
Dreiländerkongress "Sicherheit im Sport" (21. bis 23. September 2006) an der
RUB.
Fragebogen und Daten zu über 5000
Verletzungen
Untersuchungsgegenstand der Forscher waren die Verletzungen
der insgesamt 1953 Spieler in der ersten und zweiten Bundesliga sowie der
Regionalliga im vergangenen Jahr. Sie entwickelten einen Fragebogen, den sie an
alle Spieler versandten. Damit ermittelten sie unter anderem Daten zu äußeren
Verhältnissen, Schutzbekleidung, Unfallsituation, -anlass und -hergang und Art
und Umfang der Behandlung der Verletzung sowie Ausfallzeiten. Außerdem wurden
Daten zum Umfang und zur Intensität der sportlichen Aktivitäten und zum
sportlichen Werdegang erhoben. Die Daten der VBG von über 5000 Verletzungen
flossen ebenfalls in die Studie ein.
Kein einziger blieb
unversehrt
Erstes Ergebnis: Es gibt keinen einzigen Spieler, der nicht
mindestens eine Verletzung erlitten hat. Alle Fußballprofis der drei höchsten
Ligen kommen zusammen, eine sechswöchige Wettkampf- und Trainingspause
eingerechnet, auf ca. 630.000 Arbeitstage. Durch Verletzungsfolgen fallen davon
knapp 85.000 Tage weg. "Umgerechnet auf einen Mannschaftskader bedeutet dies,
dass 13,5 Prozent der Spieler permanent nicht einsetzbar sind", rechnet Dr.
Thomas Henke vom Lehrstuhl für Sportmedizin. Und das kostet: Die Behandlungs-
und Personalkosten für Verletzungen im Profifußball summieren sich auf etwa 90
Mio. Euro pro Saison. Der Gesamtumsatz der drei ersten Ligen beträgt ca. 1,5
Mrd. Euro pro Saison.
Das Knie ist der Schwachpunkt
Die
Verletzungen konzentrieren sich hauptsächlich auf die Beinregion, wobei die hohe
Zahl an Knieverletzungen, vorwiegend Bandrisse, auffällt. Die Folgen sind in der
Regel eine Operation, die mir einem stationären Krankenhausaufenthalt verbunden
ist, dann eine ambulante Nachbehandlung, Rehabilitationsmaßnahmen und eine
Arbeitsunfähigkeit, die im Durchschnitt 50 Tage dauert. Die Studie ergab, dass
Knieverletzungen über die gesamte Spieldauer hinweg mit gleicher Häufigkeit zu
beobachten sind. "Das deutet darauf hin, dass die Ursache der Verletzung weniger
Ermüdungseffekte sind, als vielmehr koordinative Probleme grundsätzlicher Art",
folgert Dr. Henke. Knieverletzungen sind mit Abstand die gravierendsten
Verletzungen im Profifußball. Sie verursachen Kosten in Höhe von 33 Mio. Euro,
das entspricht 37 Prozent der gesamten Verletzungskosten Auf Rang zwei folgen
mit 14 Mio. Euro Sprunggelenksverletzungen und mit 10 Mio. Euro
Oberschenkelverletzungen. "Damit entfallen ca. zwei Drittel der
Verletzungskosten auf die funktionelle Kette 'untere Extremität'", so der
Sportmediziner.
Aufwärmen, Koordinationstraining, Rumpf- und
Sprungkrafttraining helfen
Um die Zahl und Schwere dieser Verletzungen zu reduzieren, raten die Forscher zu strukturierten Trainingsprogrammen, die die Koordination schulen. "Diese Maßnahmen werden jedoch nur dann Akzeptanz im Profibereich finden, wenn sie zum einen fußballspezifisch angepasst werden und zum anderen vermittelt werden kann, dass es sich nicht um ausschließlich präventive, sondern vorwiegend um leistungserhaltende und leistungsverbessernde Trainingsformen handelt", schätzt Dr. Henke. Daneben seien Aufwärmen und Mobilisieren über mehrere Minuten unverzichtbare Bestandteile der Vorbereitung auf Training und Wettkampf. Dabei geht es nicht nur um die Aktivierung des Herz-Kreislauf-Systems, sondern auch darum, die Belastungstoleranz von Muskeln, Sehnen und Bändern zu erhöhen. Im Fußball werden darüber hinaus das Training der Rumpfkraft, der Sprungkraft sowie der Kraft der Beinbeuger oft vernachlässigt. Gerade die Stabilisation des Rumpfes ist aber wichtig, um im Lauf oder Sprung koordiniert und effektiv agieren und den Ball spielen zu können. "Man kann etwas tun - und zwei Verletzungen pro Spieler und Saison sind ein deutlicher Aufruf an alle im Profifußball Involvierten, etwas an der 'Verletzungsmisere' zu ändern", unterstreicht Dr. Henke.
Quelle: Pressemitteilung Informationsdienst Wissenschaft e.V.