Dopingstudie: Hohe Dunkelziffer im Spitzensport
Archivmeldung vom 30.08.2017
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Freigeschaltet durch Manuel SchmidtIm Spitzensport wird wesentlich mehr gedopt, als durch Blut- und Urintests nachgewiesen werden kann. Bei einer wissenschaftlichen Studie gaben mindestens 30 Prozent der Teilnehmenden der Leichtathletikweltmeisterschaft 2011 und 45 Prozent Sportler bei den Pan-Arabischen Spielen 2011 an, Dopingmittel genommen zu haben. Mit zeitgleich durchgeführten biologischen Testverfahren wurde nur ein Bruchteil der Dopingfälle erkannt: 0,5 Prozent der Tests bei den Weltmeisterschaften waren positiv; bei den Pan-Arabischen Spielen waren es 3,6 Prozent.
Im Auftrag der World Anti Doping Agency (WADA) haben Professor Rolf Ulrich von der Universität Tübingen und Professor Harrison Pope von der Harvard Medical School im Jahr 2011 eine Untersuchung durchgeführt. Die Ergebnisse der repräsentativen Studie „Doping in Two Elite Athletics Competitions Assessed by Randomized-Response Surveys“ wurden nun in der Zeitschrift Sports Medicine veröffentlicht. Im Anhang der Publikation sind außerdem detaillierte statistische und mathematische Analysen aufgeführt, die die Aussagekraft der Studie untermauern.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hatten bei den Leichtathletikweltmeisterschaften in Daegu (Südkorea) und den Pan-Arabischen Spielen in Doha (Qatar) insgesamt 2.167 Teilnehmende befragt, ob sie vor den Wettkämpfen gedopt hätten. Insgesamt traten bei beiden Veranstaltungen 5.187 Sportlerinnen und Sportler an. Eine indirekte Fragemethode, die sogenannte „Randomisierte Antworttechnik“ gewährleistete die Anonymität der Befragten – sie konnten also ehrlich antworten und mussten keine negativen Konsequenzen fürchten.
„Die indirekte Fragemethode wird bei sensiblen Themen angewendet. In einer direkten Frage-Antwort-Situation würden die Probanden sozial erwünschte und eventuell falsche Antworten liefern. Die Anonymität gibt Schutz und sie können ehrlich antworten “ erklärt Professor Rolf Ulrich das Vorgehen. Er ist Leiter des Arbeitsbereiches Kognition und Wahrnehmung im Fachbereich Psychologie an der Universität Tübingen.
Für die Studie wurde die indirekte Fragemethode erstmals bei zwei großen internationalen Sportwettkämpfen eingesetzt. Sechs Interviewerinnen und Interviewer, die gemeinsam zehn Sprachen beherrschten, waren vor Ort und baten 2.320 Athletinnen und Athleten persönlich um deren Teilnahme. Über 90 Prozent erklärten sich dazu bereit. Auf einem Tablet-Computer sollten die Sportlerinnen und Sportler eine von zwei Fragen beantworten: entweder eine unverfängliche über einen Geburtstag oder ob sie in den zwölf Monaten davor gedopt haben. Wenn der Athlet oder die Athletin also mit „Ja“ antwortete, konnten kein Außenstehender beurteilen, welcher Frage diese Antwort halt. Der Zufall entschied darüber, welche der beiden Fragen sie beantworteten sollten. Auf diese Weise war die Anonymität der Sportlerinnen und Sportler garantiert.
Obwohl die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die individuellen Antworten nicht wussten, konnten sie mit Methoden der mathematischen Statistik näherungsweise berechnen, wie viele Teilnehmende die Dopingfrage mit „Ja“ beantwortet hatten. Sie berücksichtigten dabei verschiedene Szenarien, die eine falsche Antwort hervorgerufen haben könnten. Beispielsweise wurden die schnellsten Antworten nicht mit eingerechnet, weil die Befragten den Text möglicherweise nicht gründlich gelesen hatten.
„Die Studie macht deutlich, dass durch biologische Tests von Blut- und Urinproben bei weitem nicht alle Dopingfälle aufgedeckt werden“ betont Pope, Professor für Psychiatrie an der Harvard Medical School. „Wie in der Publikation beschrieben liegt das vermutlich daran, dass die Athletinnen und Athleten zahlreiche Wege gefunden zu haben, bei Tests nicht aufzufallen.“
Besonders die Tests unmittelbar vor und während eines Wettkampfes fielen pro Jahr durchschnittlich nur zu ein bis drei Prozent positiv aus. Dopingmittel seien zu diesem Zeitpunkt oft nicht mehr biologisch nachweisbar, weil sie lange vorher eingenommen würden. Eine höhere Aufklärungsquote mit etwa 14 Prozent biete der sogenannte „Biologische Pass“: Er dokumentiere medizinische Daten der Sportlerinnen und Sportler. In der Langzeitdokumentation fielen Abweichungen auf, die durch Dopingmissbrauch verursacht werden können. Als Dopingmittel gelten alle Hilfsmittel, die die WADA auf der „Liste der verbotenen Substanzen und Methoden“ führt.
Dass die aktuelle Publikation von Rolf Ulrich und Harrison Pope und weiteren Autoren nach einem langwierigen Freigabeverfahren erscheinen kann, ist auch ein Verdienst von Professor Georg Sandberger, Jurist und ehemaliger Kanzler der Universität Tübingen. Er vertrat die Wissenschaftler gegenüber der WADA und dem Weltleichtathletikverband (IAAF), um die zwischen WADA und den beteiligten Wissenschaftlern vereinbarte Zustimmung der WADA zu einer Veröffentlichung der Forschungsergebnisse in einer Fachzeitschrift zu erreichen. Die Studie wurde bereits 2015 ohne Veranlassung seitens der Autoren von Medien aufgegriffen, als systematisches Doping in der russischen Leichtathletik bekannt wurde. Daraufhin veranlasste das Komitee für Kultur, Medien und Sport im britischen Parlament eine Anhörung, in deren Verlauf Teile der Studie ohne Zustimmung der Autoren an die Öffentlichkeit gelangten.
Die Veröffentlichung der gesamten wissenschaftlichen Studie und der detaillierten Daten könnte weitere Forschungen zu Doping im Profisport anregen, hoffen die Autoren. „Die Studie kann eine konstruktive Debatte vor allem aber neue Strategien für die Eindämmung von Dopingmissbrauch anstoßen. Indirekte Fragemethoden wie die ‚Randomisierte Antwortmethode‘ sind ein guter Ansatz, um fundierte Aussagen über die tatsächliche Verbreitung von Doping treffen zu können“, so Ulrich.
Quelle: Eberhard Karls Universität Tübingen (idw)