Ski Nordisch: Saisonbilanz
Archivmeldung vom 30.03.2016
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 30.03.2016 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittSchon vor diesem Winter haben sie Eric Frenzel Kränze gewunden. Als Weltmeister und Olympiasieger, als Gewinner des Gesamtweltcups hat der Sachse so ziemlich alles erreicht, was man erreichen kann in seiner Sportart. Was also sollte noch kommen in einer Saison ohne Weltmeisterschaft und Olympische Spiele, zudem noch mit leicht gedrosseltem Trainingsaufwand im Sommer?
Das, was kam, sprengte alle Superlative. Frenzel gewann, nach durchwachsenem Saisonstart, spätestens nach Weihnachten praktisch nach Belieben. In Lillehammer war der Champion noch unter „ferner sprangen und liefen“ ins Ziel gekommen und verkündete mit süß-saurer Miene, das sei sein „Streichresultat“.
Eigentlich ging der Siegeszug aber schon vor dem Fest los, denn den Erfolg von Ramsau legte sich der 27-Jährige praktisch selbst unter den Weihnachtsbaum. Danach purzelten die Rekorde: Triple in Seefeld, zum dritten Mal in Folge – acht Weltcupsiege insgesamt, was vorher auch noch keinem Kombinierer gelungen war, mittendrin der 30. Einzelerfolg und damit die alleinige deutsche Spitze in dieser Wertung; und am Ende noch der Schwarzwald-Pokal in Schonach. Den hatte seit Hubert Schwarz 1987 kein deutscher Winterzweikämpfer mehr erkämpfen können.
Dass Eric Frenzel praktisch en passant den dritten Gesamtweltcupsieg in Folge ergatterte, was vor ihm auch nur dem großen Finnen Hannu Manninen gelungen war, registrierte die erfreute Öffentlichkeit mit Staunen.
A propos Öffentlichkeit: Die Saison der Kombinierer stand in diesem Punkt zunächst unter keinem besonders günstigen Stern. Zum Auftakt in Kuusamo gab es nichts, in Lillehammer mussten die Organisatoren zaubern, um überhaupt zwei Wettkämpfe insbesondere auf die Schanzen zu bekommen und nach dem Jahreswechsel hatten sich die Kombinierer in Geduld zu üben, denn die Wetterkapriolen machten gleich mehrere Weltcups zunichte. Dafür schlug die Nordische Kombination im Februar zurück, lieferte spektakuläre Wettkämpfe praktisch im Drei-Tages-Rhythmus und katapultierte sich nicht nur in Deutschland mit dieser Wettkampfdichte zurück in die Schlagzeilen.
Dazu trugen neben Superstar Frenzel auch Fabian Rießle und Johannes Rydzek bei, die als Gesamt-Dritter bzw. -Fünfter selbst Einzelwettbewerbe gewinnen konnten und einen gewaltigen Anteil am souveränen Erfolg der DSV-Mannschaft in der Nationenwertung hatten.
So war eben nicht alles "nur" Frenzel – neben den Norwegern und natürlich Japans Akito Watabe kommt die größte Konkurrenz für den Deutschen aus dem eigenen Lager. Bei den bekannten Namen fehlten in diesem Winter zwei bisher konstante Größen: Tino Edelmann und Björn Kircheisen. Die Altmeister im DSV-Lager kämpften den Winter über gegen die internationale Konkurrenz, gegen den sich etablierenden Nachwuchs im eigenen Lager und gegen den Zahn der Zeit. Aber Vorsicht: Abschreiben darf man die einstigen deutschen Vorzeige-Kombinierer noch lange nicht - Edelmann stand im Team-Sprint auf dem Podest und verpasste es im Einzel als Vierter denkbar knapp, und auch Kircheisen kann mit guten Sprüngen immer noch Top-Ten-Resultate erzielen!
Auf dem richtigen Weg - Deutschlands Langläufer wollen zurück in die Weltelite
„Was fehlt, sind kontinuierliche Spitzenresultate, was fehlt ist die Konstanz!“ Andreas Schlütter, der Verantwortliche für den Langlauf im Deutschen Skiverband, nimmt kein Blatt vor den Mund. Natürlich habe man sich schon in dieser Saison mehr versprochen, aber – da ist sich Schlütter sicher – der eingeschlagene Weg sei richtig. Dieser Weg, soviel ist sicher, wird steinig. Denn die Resultate im Jahr eins nach der Umstrukturierung im Langlaufbereich brachten Fortschritte, aber im Einzel keine Podestplätze – auch wenn insbesondere die Frauen teilweise nur knapp am Treppchen vorbeischrammten.
Positiv war sicherlich die Performance von Sandra Ringwald, die einen Leistungssprung machte, als 17. bestplatzierte DSV-Läuferin im Gesamtweltcup wurde. Auch Nicole Fessel und Stefanie Böhler liefen oft gut mit, ohne dass der Durchbruch ganz nach vorn gelingen wollte.
Einen eher enttäuschenden Winter erlebte dagegen Denise Herrmann, die nicht an die Top-Resultate der letzten Winter anknüpfen konnte. Was daran gelegen haben mag, dass die Sächsin nach dem Rücktritt der Heldinnen von einst vielleicht zu sehr grübelt, sich in der Rolle der Vorkämpferin sieht und dadurch den Kopf eben nicht so frei hatte, wie es nötig gewesen wäre, um mitsprinten zu können, wenn es um die Podestplätze geht. Das Potenzial bei Denise Herrmann, da ist sich Andreas Schlütter sicher, ist jedenfalls vorhanden.
Der Thüringer blickt nach erhöhten Trainingsumfängen und Veränderungen in den Abläufen bei Lehrgängen und Einzelmaßnahmen verhalten hoffnungsfroh in die Zukunft. Auch weil bei den Nachwuchsweltmeisterschaften gute Resultate für deutsche Starterinnen heraussprangen, Victoria Carls Titel bei der U23-WM sei an dieser Stelle genannt. Abgerechnet wird spätestens im kommenden Winter wieder nach Medaillen, wenn in Lahti bei den Titelkämpfen der Erwachsenen um Gold, Silber und Bronze gestritten wird. Schlütter glaubt, dass seine Damen ein Wörtchen mitreden werden, wenn es in Finnland zur WM geht – bei den Männern ist der Optimismus dagegen gedämpft.
Rang 27 im Gesamtklassement als bestes DSV-Resultat kann nicht zufriedenstellen. Auch wenn die deutschen Herren alles Mögliche versuchten, die Weltspitze scheint – abgesehen von ein paar Einzelrennen – enteilt. Immerhin viermal schafften es DSV-Starter in den Einzelrennen unter die Top-Ten. Erfrischend war die Rückkehr von Andreas Katz ins Nationalteam, der als Achter auf einer Etappe der Viessmann Tour de Ski die erste Weltcup-Top-Ten-Platzierung seiner Laufbahn feiern konnte. Katz hatte sich über den B-Kader wieder in die Nationalmannschaft zurückgekämpft.
Auf die Rückkehr einiger bekannter Namen hofft man auch in der kommenden Saison. Das Trio Bing, Dotzler, Tscharnke erlebte aus verschiedenen Gründen eine gebrauchte Saison, doch das sollte für alle Drei nicht das Ende der Fahnenstange bedeuten. Allerdings ist die Fahnenstange hoch - und wie in den letzten Jahren auch flattert ganz oben Norwegens Fahne munter am Mast.
Sieht gut aus, fühlt sich gut an - aber ...
Severin Freund und Co. zwischen Erfolg und Anspruch
EUROSPORT-Kommentator Dirk Thiele ist eine Legende. Aber auch der mittlerweile 73-Jährige, sozusagen der Noriaki Kasai der Kommentatoren, wusste trotz aller Routine am Finaltag des Weltcups in Planica nicht so recht, wie die Saison der deutschen Adler einzuordnen ist. Kritik, so Thiele einerseits, müsse erlaubt sein, insbesondere, weil im letzten Saisondrittel nicht mehr viel funktioniert habe. Auf der anderen Seite, so konstatierte der Skisprungexperte am Mikrofon später, dürfe man das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Leye, Geiger, Wank, Freitag und natürlich Freund hätten einen insgesamt guten Job gemacht.
Zählt man Erbsen, kommt man nicht umhin, die Saison der DSV-Springer als eher mittelprächtig einzuordnen. Der WM-Titel im Skifliegen wurde nicht verteidigt, der letzte Weltcupsieg datiert vom Dezember 2015, der Gesamtweltcupsieg ging an Peter Prevc aus Slowenien. Aber das Addieren von Siegen und Podestplätzen ist eine Sache, der Gesamteindruck eine andere.
Und als Gesamteindruck bleibt haften, dass die Deutschen auch im Winter 2015/16 vorn mit dabei waren, insbesondere beim unangefochtenen Höhepunkt, der Vierschanzentournee. Severin Freund, auch in dieser Saison der Vorspringer aus dem Lager der Schützlinge von Bundestrainer Werner Schuster, kämpfte bis zum Finaltag der Traditionstour um den Gesamtsieg mit, war im ersten Saisondrittel mit dem späteren Dominator der Szene, dem Slowenen Peter Prevc auf Augen- bzw. Flughöhe und wurde dann durch gesundheitliche Probleme gestoppt.
Richard Freitag wurde am Ende im Gesamtweltcup guter Neunter und verbesserte sich damit im Vergleich zum Vorjahr um drei Plätze. Der ehrgeizige Sachse will aber mehr, vor allem will er aufs Podest und das gelang Freitag in diesem Winter nicht – gemessen an den eigenen Ansprüchen zu wenig, gefühlt eine Enttäuschung, auch wenn sich seine beständig guten Resultate sehen lassen können!
Auf dem Podest landete sensationell Karl Geiger in Lahti. Und das nicht etwa vom Wind begünstigt, sondern nach einem blitzsauberen Wettkampf. Den hätte man auch Andreas Wellinger gewünscht, der allerdings – so jedenfalls der Eindruck von Außenstehenden – tastet sich nach seinem schweren Sturz aus der letzten Saison erst Stück für Stück wieder an die absolute Weltspitze heran.
Bliebe Andreas Wank: Der lebt inzwischen in der Rolle, die einst der Finne Ari-Pekka Nikola spielte – Wank ist ein Teamplayer par excellence, bringt mit Konstanz seine besten Leistungen in den Mannschaftswettbewerben. Oder ist auch das nur so ein Gefühl?
Kein Gefühl ist, dass die Saison von einem Mann dominiert wurde, der, wie noch keiner zuvor, den Weltcup beherrschte: Peter Prevs gewann die Vierschanzentournee, die Skiflug-WM, den Gesamtweltcup mit sensationellen 15 Einzelsiegen – klarer kann man einen Winter nicht beherrschen; spätestens hier gehen Gefühl und Fakten Hand in Hand.
Quelle: Viessmann Werke GmbH & Co. KG