Eine Kleine Große sagt Oberhof Tschüss
Archivmeldung vom 06.01.2014
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDas letzte Weltcup-Rennen von Andrea Henkel in Oberhof ist Geschichte. Mit einem vierten Platz beim Massenstart verabschiedete sich die 36-Jährige von ihren zahlreichen Fans, die am Sonntag in die DKB-Ski-ARENA und an die Strecke gepilgert waren und ihr Idol feierten. „Meine Gefühle sind schwer zu beschreiben. Ich fand es schön und rührend, dass es in der Arena besonders laut wurde, wenn mein Name genannt wurde“, sagte Andrea Henkel, die ihren letzten Wettkampf in Oberhof sehr genossen habe. Im Ziel wurde auf der Tribüne in der Arena ein riesiges Plakat mit „Danke“ ausgerollt. OK-Chef Christopher Gellert übergab Andrea Henkel später eine Champagner-Flasche. „Du hast den Namen Oberhof in die Welt getragen, deine Erfolge sind grandios“, sagte Gellert.
Während ihre Schwester Manuela Henkel ihre Tränen beim letzten Schießen der erfolgreichen Biathletin nicht zurückhalten konnte, zeigte sich die Großbreitenbacherin, die bei den Olympischen Spielen in Salt Lake City 2002 zwei Goldmedaillen holte, nach dem Rennen sehr gefasst. „Bis jetzt geht es noch“, sagt sie und betonte abermals, nicht auf Abschiedstournee zu sein. „Es ist nur mein letztes Jahr. Und ich bin ja auch nicht die einzige, die nach der Saison aufhört“, so die immer auf dem Boden gebliebene Henkel, die nach ihrem Karriereende in die USA auswandern und dort als Fitnesslehrerin arbeiten will.
„Ich finde es sehr schade, dass sie aufhört. Sie hat eine tolle Karriere und viele Erfolge gefeiert“, sagte Biathlon-Fan Florian Ritter aus Tiefenort, der mit seiner Freundin Christin Beyer zum letzten Rennen von Henkel in Oberhof kam. Das junge Paar hoffe, dass nun junge Athleten nachkommen, die ähnlich viele Erfolge einfahren können wie die Thüringerin.
Jeannette Borch ist aus dem Spreewald extra an den Rennsteig gekommen, um ihre Lieblings-Sportlerin zu verabschieden: „Sie ist eine gute Athletin und ich freue mich, beim Abschied in Oberhof dabei sein zu können“. Auch Susanne Ritterswürden wollte dazu beitragen, Henkel einen gebührenden Abschied zu bereiten. „Es ist immer schade, wenn ein deutscher Athlet aufhört“, sagte die Frau aus Hemer bei Dortmund. Mitglieder des Erik-Lesser-Fanclubs aus dem thüringischen Barchfeld verstehen natürlich auch, dass die 36-Jährige ihr Gewehr an den Nagel hängt. „Irgendwann geht jeder seinen Weg. Der Zenit ist erreicht“, sagte Tobias Melchert.
Ali und Jule sagen Tschüss
Oft schon boten die Oberhofer Weltcups den Rahmen für die Verabschiedung von verdienten Thüringer Sportlern. Auch am heutigen Sonntag war es wieder soweit. Juliane Döll und Alexander Wolf wurden vom Thüringer- und vom Deutschen Skiverband zwischen den beiden Massenstart-Rennen verabschiedet. Und die Arena sorgte nochmal für einen Gänsehautmoment, den die beiden Thüringer wohl nicht so schnell vergessen werden.
„Juliane ist die beste Bergläuferin, die wir je hatten“, sagte Sabine Reuß, Präsidentin des Thüringer Skiverbandes, schmunzelnd zu Beginn der Verabschiedung von Juliane Döll. Immerhin belegte die Biathletin beim GutsMuths-Rennsteiglauf seit Jahren traditionell schon die Plätze zwei und drei. Aber auch in der „Heimatsportart“ Biathlon war Döll erfolgreich. Die gebürtige Schmalkalderin lief bei insgesamt 33 Weltcupstarts 20 Mal in die Punkteränge. Ganz vorn dabei war sie bei Europameisterschaften. Die Südthüringerin sammelte dort fünf Goldmedaillen. Im Januar 2013 gab Döll ihren sofortigen Rückzug vom Leistungssport bekannt, um sich intensiver ihrem Fernstudium der Rechtswissenschaften widmen zu können. „Herzlichen Dank an alle Daumendrücker, die mich auch unterstützt haben, wenn es mal nicht so gut lief“, sagte Juliane Döll bei ihrer Verabschiedung. „Ich kann froh sein, dass ich hier vor solch einem Publikum laufen durfte.“
Mit einer trefflichen Metapher verabschiedete Sabine Reuß den zweiten Ex-Biathleten in den Leistungssport-Ruhestand: „Der Wolf verlässt das Biathlonrevier am Grenzadler.“ Gemeint war natürlich Alexander „Ali“ Wolf. Reuß zählte die vielen Erfolge des 36-Jährigen auf, und jeder wurde von den Fans in der Arena bejubelt. Heiko Krause, Vizepräsidentin des Deutschen Skiverbandes, überreichte Ali zudem die Ehrennadel des DSV in Silber als Anerkennung für seine Leistungen in all den Jahren. Alexander Wolf war von der Saison 1998/99 an im Weltcupteam aktiv und nahm an drei Olympischen Spielen teil. Bei Weltcups konnte er drei Siege im Sprint und fünf mit der deutschen Staffel sammeln. Der Herges-Hallenberger landete 13 Mal auf dem Podium eines Weltcuprennens. 270 Mal nahm er an Weltcuprennen teil. Bei Weltmeisterschaften gelang Alexander Wolf sein größter Erfolg 2008 in Östersund, wo er Bronze in der Verfolgung gewann. Da sich Wolf im Sommer 2011 eine Verletzung des Fußwurzelknochens zu gezogen hatte, musste er sich einem operativen Eingriff unterziehen. Dieser bedingte einen mehrmonatigen Trainingsausfall, sodass er in der Saison 2011/12 nicht im Weltcup startete. Auch in der folgenden Saison erholte sich Wolf nicht ganz von den Folgen seiner Verletzung und konnte sich nicht ins Team zurückkämpfen. Im März 2013 beendete er daraufhin seine Karriere. „Vielen Dank für all die Jahre Unterstützung vor allem hier in Oberhof“, fand Alexander Wolf dankende Worte für das Oberhofer Publikum. „Egal bei welchem Wetter, ihr habt mich immer unterstützt. Ich war immer froh, wenn ich zu Hause gestartet bin. Es war ein Erlebnis.“
„Eine andere Art von Leistungssport“
Am Ende sind es die Geschichten und die Bilder von den Hunderten Helferinnen und Helfern, welche mit ihrem ehrenamtlichen Einsatz die Tour de Ski und den Biathlon-Weltcup in Oberhof gerettet haben, die nach zwei wirklich nicht normalen Weltcup-Wochen noch lange in Erinnerung bleiben werden. In einem bislang noch nie dagewesenem solidarischen Großeinsatz in der Vorweihnachtszeit und vor dem Jahreswechsel sammelten die Schneehamster aus dem Thüringer Wald Tausende Kubikmeter Schnee, der mit Hunderten LKWs aus den Kammlagen in die DKB-Ski-ARENA chauffiert wurde, als wäre es ein hoher Staatsgast. Selten war das Gut Schnee für Oberhof so wertvoll, wie in den vergangenen Tagen. Selten war das Wetter vor und während der Oberhofer Weltcup-Tage so ein Spielverderber, wie in diesem Weltcup-Zyklus. Einen Tag nach dem der internationale Biathlon-Tross weiter gezogen ist und Oberhof mit seinem schmuddeligen Wetter sowie der Großbaustelle am Grenzadler allein gelassen hat, sieht man OK-Chef Christopher Gellert an, wie anstrengend die zurück liegenden Wochen waren. „In den letzten Jahren hatten wir wirklich kein Wetterglück. Aber dass es irgendwann einmal so schlimm war, wie dieses Mal, daran kann ich mich nicht erinnern.“ Gellert muss es wissen. Schließlich ist er hier im Bergkessel am Grenzadler den Weg vom Helfer zum Chef-Logistiker bis zum Geschäftsführer der den Weltcup ausrichtenden WSRO-Skisport GmbH gegangen. „Man kann es wirklich nicht oft genug betonen. Was die Helfer und Mitarbeiter, die Partner und Dienstleistungsunternehmen geleistet haben, ist unglaublich! Das war schon eine Art von Leistungssport.“
Sportler loben Schneehamster
Um die 30.000 Kubikmeter Schnee wurden bewegt, damit die Strecken im Stadion für beide prestigeträchtigen Weltcup-Veranstaltungen so präpariert werden konnten, dass selbst die siegreichen Sportler in den Pressekonferenzen nach den Rennen des Lobes für die Oberhofer voll waren. Neben dem „ehrenamtlichen Leistungssport“ spielte auch der „echte“ Leistungssport seine ihm zugedachte Rolle im Oberhofer Wetterroulette aus Nebel, Nieselregen, Nebel und Nieselregen. Während im Langlauf bei den Männern die Kanadier Alex Harvey und Devon Kershaw dem Prolog der Tour de Ski ihren Stempel aufdrückten und die deutschen Männer hinterher liefen, sorgten die Norwegerinnen Marit Bjørgen und Astrid Uhrenholdt Jakobsen bei den Frauen für einen nationalen Doppelsieg. Den Männersprint gewann der Schwede Calle Halfvarsson. Hier wurde der Deutsche Josef Wenzl immerhin Fünfter vor keinem Geringeren als Petter Northug. Auch bei den Frauen siegte Schweden in persona von Hannah Erikson. Die Deutsche Denise Herrman belegte einen starken zweiten Platz. Beim Biathlon-Weltcup erreichten die deutschen Starter erstmals seit vielen Jahren keinen Podestplatz, was die 62.500 Zuschauer an nur drei Wettkampftagen scheinbar nicht zu stören schien, denn die Stimmung war mindestens genauso gigantisch wie in den Vorjahren, als die deutschen Biathletinnen und Biathleten eine innige Freundschaftsbeziehung zum Oberhofer Siegerpodest entwickelt hatten. Andrea Henkel wurde in ihrem emotionalen Oberhofer Abschlussrennen Vierte im Massenstart – das Stadion tobte, und Andreas Birnbacher schaffte – ebenfalls im Massenstart – ebenfalls mit einem vierten Platz endlich seine direkte Qualifikation für die Olympischen Spiele in Sotschi. Die Platzierungen ganz vorne machten alte Bekannte unter sich aus. Emil Hegle Svendsen, Ole Einar Bjorndalen, Martin Fourcade und Tarjei Boe bei den Männern, Daria Domracheva, Tora Berger und Kaisa Mäkäräinen bei den Frauen dominierten ihre Rennen. Einzig die Norwegerin Synnoeve Solemdal schaffte es, in die Phalanx der ganz Großen einzudringen. Zurück zum Wetter und damit zum Schnee.
Oberhof putzt sich raus
Die Strecke hielt durch bis zum letzten Zieleinlauf am Sonntag. Das weiße Schneeband, welches sich wie eine Schlange durch den grünen Wald zog, war am Ende zwar genauso braun, wie die vom Regen und von den Baustellenfahrzeugen aufgewühlten Wege, aber die Bemühungen der Helfer, die in Tausenden Stunden die Oberhofer Weltcups gerettet hatten, haben sich ausgezahlt. Das war nicht nur profane Arbeit, sondern auch ein deutliches Signal an die internationale Konkurrenz auf dem umkämpften Markt der Biathlon-Veranstalter. „Hergeschaut! Wir haben zwar keinen Schnee, aber wir können Schnee!“ Folgerichtig auch die vom Deutschen Skiverband, unterstützt von höchsten Repräsentantenkreisen der Thüringer Landespolitik, während des Weltcups platzierte Bewerbung Oberhofs für eine Biathlon-Weltmeisterschaft in den Jahren 2020 oder 2021. Keine Frage: Oberhof ist bereit, Oberhof kann es schaffen! Einen ersten, trotz des immer wieder kehrenden Oberhofer Nebels, sichtbaren Schritt nach vorne gehen die Weltcup-Organisatoren noch in diesem Jahr. Dann wird nämlich das neue Multifunktionsgebäude am Grenzadler eröffnet, in dem die Medienvertreter, die Doping-Kontrolleure und die Sportlerversorgung untergebracht werden. Und auch die Diskussion um ein eigenes Oberhofer Schneedepot wird wohl noch in diesem Jahr verklingen, weil Christopher Gellert dieses „unbedingt anlegen möchte, damit solche Zitterpartien, wie gerade erlebt, der Vergangenheit angehören. Doch zunächst“, so Gellert weiter, „heißt es erst einmal rechnen und auswerten. Schließlich hatten wir durch die Schneetransporte und auch durch die verkürzte Biathlon-Weltcupveranstaltung mit nur drei Wettkampftagen höhere Ausgaben bei weniger Einnahmen.“ Christine Lieberknecht, die Thüringer Ministerpräsidentin, die auch vor Ort war, um sich ein Bild vom eigentlich nicht vorhandenen Schnee zu machen, der dann doch in der ARENA zu finden war, sagte während des Wettkampfes: „Oberhof ist für Thüringen die Visitenkarte in Sachen Wintersport“. Bleibt zu hoffen, dass sich die Landespolitik an ihre Zusagen hält und sich auch irgendwann einmal das Wetter entschließt, den Oberhofern die Organisation solcher Großereignisse einfach einfacher zu machen.
Uwe Müssiggang lobt Team und Veranstalter
Schon vor dem letzten Wettkampf des Biathlon-Weltcups in Oberhof zog Bundestrainer Uwe Müssiggang eine positive Bilanz der Wettkämpfe. „Uns freut natürlich, dass hier Evi Sachenbacher-Stehle und Andreas Birnbacher ihre Olympiaqualifikation geschafft haben. Das bringt Ruhe in die Mannschaft“, so Müssiggang. „Die Sache mit den halben Normen ist ja ganz schön, wenn der Athlet aber durch solche Leistungen wie heute selbst sieht, dass er auch ganz vorn mitlaufen kann, ist das viel besser. Ein 15 Platz bleibt eben ein 15 Platz!“ Der Bundestrainer lobte den Auftritt der Mannschaft vor allem im abschließenden Männer-Massenstartrennen. „Wir haben gezeigt, dass wir in der Lage sind, auf das Podest zu laufen. Auch wenn es heute nicht ganz geklappt hat.“
In diesem Zusammenhang machte Bundestrainer Müssiggang nochmals deutlich, dass auch dem Trainerteam das Olympia-Aus von Miriam Gössner sehr leid getan hat. „Die Miriam will sich ja nicht einfach nur für Sotschi qualifizieren. Sie will auch um Medaillen mitlaufen“, so der Bundestrainer. „Sie hat eingesehen, dass sie das bis Olympia nicht mehr schafft.“ Müssiggang ließ sich die Optionen offen, in den beiden folgenden Weltcups eventuell den einen oder anderen Sportler zu schonen. Lobende Worte hatte der Bundestrainer vor allem für Evi Sachenbacher-Stehle parat. „Evi hat gezeigt, was möglich ist wenn man 365 Tage an sich arbeitet“, sagte er. „Nach ihrem Wechsel aus dem Langlauflager gab es ja auch viele kritische Stimmen. Umso schöner ist es, dass sie jetzt so eindrucksvoll die Norm erfüllt hat.“ Über das endgültige Aussehen der Olympiamannschaft wollte Müssiggang noch keine Auskunft geben. „Bei den Herren haben sechs Läufer die Norm erfüllt. Hinzu kommen derzeit fünf Frauen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden sie auch mitfahren. Letztlich entscheiden aber die Trainer über die Einsätze.“
Wie viele Beteiligte vor ihm, lobte auch Uwe Müssiggang die Leistung der Oberhofer Organisatoren und Helfer. „Ein Kompliment an die Veranstalter. Ich glaube nicht, dass es viele Veranstalter weltweit gibt, die das geschafft hätten“, waren Müssiggangs Worte. „Vielleicht sollte man sich doch mal über einen Terminwechsel Gedanken machen, um Oberhof nicht immer in dieses Problem mit dem bekannten Weihnachtstauwetter zu drängen.“
Impressionen von allen Tagen des Biathlon-Weltcups in Oberhof sehen sie in den nachfolgend Fotostrecken von unserem ExtremNews Fotografen Karl Koch und seinem Team:
Quelle: WSRO-Skisport GmbH