Severin Freund: Im Team Medaillenchance bei der WM
Archivmeldung vom 25.02.2011
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittSeverin Freund beendete am 15. Januar eine Durststrecke der deutschen Skispringer. Im japanischen Sapporo feierte der 22-Jährige den ersten deutschen Weltcup-Sieg seit fast vier Jahren. Zwei Wochen später beim Weltcup in Willingen sprang der Newcomer wieder auf Platz eins. Nun startet Freund, der seit neun Jahren von der Sporthilfe gefördert wird, in Oslo zum ersten Mal bei einer Weltmeisterschaft (23. Februar bis 6. März).
Sporthilfe: Am 15. Januar ist in Sapporo mit Deinem
ersten Sieg im Weltcup bei Dir der Knoten geplatzt. Zwei Wochen später
Sieg Nummer zwei bei Springen in Willingen? Was hat Dich emotional mehr
berührt?
Severin Freund: Der erste Sieg wird immer
etwas ganz besonderes bleiben, gerade weil es in dem Moment einfach zu
unglaublich wirkt. Aber in Sapporo waren ungefähr 400 Zuschauer, in
Willingen waren es über 10.000. Dazu kommt noch, dass Willingen ja ein
Heimweltcup für uns ist, und dann vor so einer Kulisse zu gewinnen ist
der Wahnsinn.
Sporthilfe: Es gibt einige
Beispiel, wie Skispringer ganz plötzlich von Erfolg zu Erfolg stürmen.
Dann wieder stürzen welche ab und schaffen es erst nach Jahren, wieder
an alte Erfolge anzuknüpfen? Wie erklärt sich das?
Severin Freund: Das
ist genau das, was ich an der Sportart auch so faszinierend finde.
Manchmal lässt sich Erfolg oder Misserfolg nicht einfach erklären. Wenn
man auf einer Erfolgswelle schwimmt, geht vieles von alleine. Und ein
Jahr später kann es sein, dass das alles weg ist, und man keine Ahnung
mehr hat, wie sich ein guter Sprung anfühlt. Dazu kommt dann noch, dass
sich das Material, so wie dieses Jahr mit der Bindung, immer wieder
ändern kann und man dann auch den Sprung immer anpassen muss. Deswegen
ist es auch so schwer, konstant gute Ergebnisse zu bringen. Jeder
entwickelt sich weiter, deswegen muss man das selbst auch.
Sporthilfe: Welche
Rolle spielen im Alltag eines Skispringers die Emotionen? Angst,
Freude, Frust? Wie nutzt und steuerst Du Deine Gefühle und Emotionen zur
Einstimmung auf das Training und auf Wettkämpfe und vor allem während
der Wettkämpfe?
Severin Freund: Angst darf man gar
nicht haben. Wenn man mal wirklich mal Angst hätte, dann würde es erst
gefährlich werden. Klar hat man immer Respekt vor der Schanze, aber
wirkliche Angst gibt es dabei nicht. Frust ist etwas, mit dem man mit
der Zeit umzugehen lernt oder einfach umzugehen lernen muss. Wenn man
angefressen ist, wird man nicht gut springen, aber natürlich gibt es
immer wieder Momente, in denen man sich über sich selbst oder
irgendetwas anderes aufregt. Mittlerweile denke ich, hab ich es ganz gut
raus, mich in solchen Momenten wieder raus zu ziehen. Freude ist
unglaublich wichtig: Spaß ist ein Riesenmotivator und wenn man sich über
das Springen freut, geht alles einfacher. Das ist auch während dem
Wettkampf so: Wenn man die Stimmung auf sich einwirken lassen kann und
sich dann richtig auf den Sprung freut, dann gibt das noch mal mehr
Motivation.
Sporthilfe: Gibt es Schanzen, bei denen man ein mulmiges Gefühl hat?
Severin Freund: Klar
ist es z.B. auf Flugschanzen so, dass vor dem ersten Sprung immer ein
bisschen mehr Nervosität da ist. Aber sobald man in der Spur ist, ist
alles wieder vertraut und gewohnt.
Sporthilfe: Wie
ist es, bei miesem Wetter die Schanze runter zu fahren? Kann man Ängste
einfach beiseite schieben? Hat man die auch die Freiheit, „nein“ zu
sagen, „heute nicht!“?
Severin Freund: Natürlich
steht es jedem immer frei auch wieder vom Balken runter zu gehen und
nicht zu springen, und gerade bei viel Wind kann es mal passieren, dass
man schon etwas länger sitzt bis die Ampel auf Grün schaltet. Aber das
Vertrauen zum Trainer ist immer so groß, dass man weiß, dass die
Bedingungen auf jeden Fall nicht gefährlich sind, wenn der Trainer
freigibt. Deswegen muss man einfach immer versuchen, sich nicht groß von
den Bedingungen raus bringen zu lassen, sondern einfach normal
springen.
Sporthilfe: Seit neun Jahren wirst Du
von der Sporthilfe unterstützt. Was bedeutet es Dir? Und wie wichtig war
die drei Jahre Internatsförderung von 2004 bis 2007?
Severin Freund: Gerade
in den Jugendjahren ist die Sporthilfe-Förderung sehr wichtig. Sport
ist teuer, egal ob es Ausrüstung, Reisen oder andere Dinge sind. Alles
kostet Geld. Und wenn man noch nicht in einem höheren Kader ist, muss
man vieles eben auch privat finanzieren. Dazu kommt auch das Internat,
da ist es schon sehr wichtig, dass die Sporthilfe hier unterstützend
wirkt. Ohne den Wechsel auf die Christophorusschule in Berchtesgaden,
hätte ich sicher nicht ohne Probleme mein Abi machen können.
Sporthilfe: Die
meisten Skispringer sind bei in der Sportfördergruppe der Bundeswehr.
Du absolvierst seit 2008 ein Studium Ansbach in Internationalem
Management? Wie lässt sich das Studium mit der häufigen sportbedingten
Abwesenheit vereinbaren?
Severin Freund: Dieser
Studiengang ist ja für Spitzensportler konzipiert. Von daher lässt er
sich ganz gut mit dem Sport vereinbaren. Sicher gibt es immer wieder mal
Phasen, in denen man dann wieder die eine oder andere Prüfung umplanen
muss oder sich mal zwingen muss, nach Ansbach zu fahren. Aber ich wollte
eigentlich von Anfang an noch etwas neben dem Sport machen, das mich
zwar auf keinen Fall einschränkt, aber in den Phasen des Jahres, wenn
ich mal Zeit habe, auch fordert. Da war Ansbach ziemlich schnell
gefunden. Und so schön der Sport auch ist, eine Garantie gibt es ja nie,
deswegen ist es vielleicht auch nicht schlecht, wenn es noch einen Plan
B gibt.
Sporthilfe: Du warst 2008 im
Teamwettbewerb Junioren-Weltmeister und hast Dich langsam und fast
unbeachtet entwickelt. Nach dem zweiten Weltcup-Sieg wirst Du jetzt
sogar als WM-Geheimfavorit gehandelt. Setzt Dich das unter Druck oder
beflügelt es dich?
Severin Freund: Daran denke ich
eigentlich gar nicht. Ich habe jetzt tolle Erfolgserlebnisse gehabt.
Aber davon eine Favoritenrolle abzuleiten, wäre übertrieben. Klar wird
immer im Vorfeld spekuliert, aber im Endeffekt spielen so viele Faktoren
eine Rolle, dass man es sowieso nicht vorhersagen kann. Ich freue mich
riesig auf die WM, und dass ich an einem Tag, an dem alles für mich
perfekt läuft, was erreichen kann, habe ich diese Saison schon gezeigt,
aber deswegen ist man kein Favorit.
Sporthilfe: Was ist Dein Ziel im Einzel für die WM? Welche Chancen hat das deutsche Team im Mannschaftswettbewerb?
Severin Freund: An
das Einzel werde ich einfach versuchen, genauso heranzugehen wie an die
Weltcups zuletzt. Man muss sich immer auf den Sprung konzentrieren und
auf die technischen Aufgaben. Dann kommen der Wind und die
Anlaufgeschwindigkeit dazu und man hat nach zwei Sprüngen ein Ergebnis.
Wenn ich sagen kann, dass ich das gezeigt habe, was ich kann, werde ich
zufrieden sein. Und dass wir im Team Medaillenchancen haben, haben wir
bei der Team Tour gezeigt. Nur ist es da genauso: Es sind 4 Springer,
die alle an einem Strang ziehen müssen und alle ihre beste Leistung
bringen müssen, nur so ist bei einer WM was drin. Und das werden wir
sicher versuchen.
Sporthilfe: Was meinst Du, wie entwickelt sich die deutsche Mannschaft leistungsmäßig bis zu den Olympischen Spielen 2014 in Sotschi?
Severin Freund: Auch wenn uns in den nächsten Jahren die Sportler, die das Skispringen in Deutschland über eine lange Zeit getragen haben, verlassen werden, denke ich, dass wir optimistisch in die Zukunft sehen können. Wir haben einen guten Nachwuchs. Und wenn man geduldig ist, wird es auch ein Teil davon bis nach oben schaffen. Auch wenn die Zeit bis Sotschi nicht mehr lange ist. Aber vielleicht haben wir dann ja auch noch den einen oder anderen der Älteren, der da nochmal mitspringt.
Quelle: DSV / Deutsche Sporthilfe (Das Gespräch mit Severin Freund führte Gerald Frank)