Wie wahrscheinlich ist ein Treffer beim Elfmeter?
Archivmeldung vom 08.07.2014
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 08.07.2014 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Manuel Schmidt„Verhalten sich Schütze und Torwart beim Elfmeter rational?“ – dieser aktuellen Frage ist eine Forschungsgruppe am Fachbereich Wirtschaft und Recht der Frankfurt University of Applied Sciences im Rahmen eines spieltheoretischen Forschungsansatzes nachgegangen. Basierend auf einer Analyse von 402 Elfmetern errechneten die Forscher eine optimale Verhaltensstrategie für beide Spieler und verglichen sie mit dem tatsächlichen Verhalten beim Elfmeter.
Die optimale Strategie würde für beide Spieler darin bestehen, sich möglichst unberechenbar zu verhalten und zufällig in die eine oder andere Richtung zu zielen bzw. zu springen. Dieses Verhalten wird als gemischte Strategie bezeichnet. Es ist aber nicht jedes zufällige Verhalten rational, sondern es gibt nur genau eine optimale Mischung, die von den Trefferwahrscheinlichkeiten abhängt. In der Realität ist es so, dass Schützen starke und schwache Seiten haben: die bevorzugte Seite des Schützen bestimmt sich über seinen „Schuss“-Fuß ; schießt er vornehmlich mit dem rechten Fuß, ist die bevorzugte Torseite beim Elfmeter die linke.
Das Ergebnis der Studie: die Torwarte verhalten sich „optimal“ unberechenbar; die Schützen hingegen weichen statistisch signifikant von der optimalen Strategie ab und zielen zu häufig auf ihre bevorzugte Torseite.
Wie sollten sich die Spieler verhalten?
Beim Elfmeter benötigt der Ball nur rund 0,3 Sekunden bis zum Tor. „Daher kann der Torwart nicht auf den Schützen reagieren, sondern muss sich zeitgleich mit dem Schützen entscheiden, ob und wohin er springt. Springt er in die falsche Richtung, dann fällt fast sicher ein Tor; springt er in die richtige Richtung, dann hält er den Ball mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit“, so Prof. Dr. Christian Rieck vom Fachbereich Wirtschaft und Recht, Leiter der Forschungsgruppe. „Man könnte annehmen, dass der Torwart sich auf die Torseite konzentrieren sollte, bei der er die besten Chancen hat, den Ball zu halten. Tatsächlich ist aber das Gegenteil der Fall: der Torwart sollte vermehrt zu seiner schwächeren Seite – also der starken Seite des Schützen – springen. Das liegt daran, dass die Schützen vermehrt auf diese Seite zielen. Den Schützen wiederum kann man raten, etwas öfters den Mut aufzubringen, auf die Mitte des Tors zu zielen, obwohl der Torwart dort sehr gute Chancen hat zu halten, wenn er zu keiner Seite springen sollte – denn meistens springt er und lässt daher die Mitte offen!“
Ergebnisse:
Grundsätzlich gibt es für den Torwart drei Optionen: in der Mitte des Tors stehenbleiben oder sich die linke oder rechte Torseite aussuchen, wobei eine der Seiten die bevorzugte des Schützen ist. Springt der Torwart in dieselbe Richtung, die der Schütze gewählt hat, besteht bei der bevorzugten Seite des Schützen eine Trefferwahrscheinlichkeit von 59,5 %, bei der Gegenseite von 55,0 %.
Zielt der Schütze in die Mitte und der Torwart bleibt in der Mitte des Tors stehen, hält er den Ball in der Stichprobe immer. „Aus der hohen Haltewahrscheinlichkeit in der Tormitte wurde manchmal geschlossen, dass Torwarte zu oft nach einer Seite springen, weil sie Aktion zeigen wollen. Diese Vermutung trifft aber nicht zu“, so Rieck. Schütze und Torwart, wenn sie sich vollständig rational verhielten, müssten mit folgender Wahrscheinlichkeit nach dem Nash-Gleichgewicht die jeweiligen Zonen des Tors wählen: Der Torwart mit 52 % die bevorzugte Seite des Schützen, der Schütze dagegen nur mit 42 % seine bevorzugte Seite. Die Gegenseite sollte der Torwart mit 38 % Wahrscheinlichkeit wählen, der Schütze mit 41 %. Die Mitte sollte der Torwart nur mit 10 % Wahrscheinlichkeit wählen, der Schütze hingegen mit 17 %. Der Torwart müsste also deutlich öfters zur stärkeren Seite des Schützen springen, um dort keine offene Flanke zu liefern; der Schütze dagegen müsste beide Seiten etwa gleich gewichten.
Torwarte verhalten sich fast exakt der Rationaltheorie entsprechend, was in diesem Fall bedeutet, sich „optimal“ unberechenbar zu verhalten: zu 54 % springt er auf die starke Seite des Schützen und zu 39 % auf die Gegenseite. Die Schützen hingegen schießen deutlich zu oft auf ihre bevorzugte Torseite (50 %, Gegenseite 37 %) und zielen zu selten auf die Mitte des Tors (13 %).
Für die Untersuchung wurde eine Vollerhebung über alle Elfmeter aus der Bundesliga von 2010 bis 2014 vorgenommen, die als Videoaufnahmen vorlagen. Zusätzlich wurden einige Entscheidungselfmeter aus Spielen der Champions League und der Europa League seit 2005 erfasst. In dem Forscherteam unter der Leitung von Rieck sind die Studenten des Studiengangs International Finance, Robin Chambers, Julius Ehrhardt und Jan Kutschka, aktiv.
Zur Spieltheorie
Die Spieltheorie ist eine Entscheidungstheorie, die Situationen untersucht, in denen das Ergebnis nicht von einem Entscheider allein bestimmt werden kann, sondern nur von mehreren Entscheidern gemeinsam. John Forbes Nash Jr. formulierte Mitte des letzten Jahrhunderts das nach ihm benannte Nash-Gleichgewicht, das bis heute als grundlegende Definition für rationales Verhalten gilt. Rieck untersucht die Spieltheorie anhand verschiedener Situationen, wie beispielsweise des Elfmeterschusses.
Quelle: Frankfurt University of Applied Sciences (idw)