Eissprinterin Jenny Wolf will erste olympischen Medaille in Vancouver
Archivmeldung vom 26.08.2009
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittIm Vorfeld der Winterspiele 2010 in Vancouver darf sich der Schützling von Trainer Thomas Schubert mit dem schönen Titel "weltweit schnellste Frau auf Eis" schmücken. Jenny Wolf geht als Favoritin in die olympische Saison und könnte die erste Eisschnellläuferin überhaupt sein, die den halben Kilometer unter 37 Sekunden bleibt.
Im Interview mit Andreas Müller von der Stiftung Deutsche Sporthilfe gibt sie Einblick in ihre nächste Ziele und die Vorbereitung auf die nächsten olympischen Winterspiele.
Frage: Erschrecken Sie manchmal ein bisschen darüber, weltweit die schnellste Frau auf Kufen zu sein?
Darüber mache ich mir weniger Gedanken. Ich will die Beste sein, das ist der Anspruch und der würde genau so gelten, wenn ich Leichtathletin oder Schwimmerin wäre. Es ist einfach eine tolle Sache, wenn man eine Disziplin international dominieren kann.
Frage: Sie sind zuletzt drei Mal hintereinander Weltmeisterin über 500 Meter geworden und verbesserten im November 2007 in Calgary in Kanada Ihren eigenen und bis heute aktuellen Weltrekord auf 37,02 Sekunden. Was ist Ihnen lieber, Olympiagold in Vancouver oder als erste Frau in der Geschichte des Eisschnelllaufs den halben Kilometer unter 37 Sekunden zu laufen?
Beides zugleich, Olympiagold mit Weltrekord, das ist bei den Olympischen Spielen in Vancouver bestimmt nicht drin. Die Olympiaplatzierung ist für mich wichtiger als der Rekord. Auf der Olympiabahn in Richmond kann das Eis noch so gut sein, man läuft dort trotzdem rund eine halbe Sekunde langsamer als in der Höhe. Vor den Spielen habe ich im Rahmen des Weltcups immerhin mehrere Chancen, einen Weltrekord zu laufen. Aber das ist mir jetzt nicht das Wichtigste. Obwohl es schon toll wäre, diese Marke, von der viele Leute reden, irgendwann zu knacken und dabei einen Lauf hinzulegen, bei dem ich alles gezeigt habe, was ich wirklich kann.
Frage: Das hört sich an, als ob es selbst für Sie auf dem Eis noch "Problemzonen" gäbe?
Das ist eindeutig der Bereich bei rund 300 Metern eingangs der zweiten Kurve, wo man mit der Höchstgeschwindigkeit im Rennen ankommt. In diese Kurve läuft man schätzungsweise mit einem Tempo um die 55 Stundenkilometern rein. Die Kunst ist, den Druck in die Kurve zu leiten und den Speed auf die Gerade mitzunehmen, so dass die Fliehkräfte so weit wie möglich zurück gedrängt werden. Ehrlich gesagt, habe ich vor dieser Kurve immer noch Respekt, obwohl ich jetzt schon so lange aktiv bin. Dort optimal durchzukommen, ist bei mir Kopfsache. Man muss sich an dieser Stelle genau darauf konzentrieren, alles richtig zu machen, zum Beispiel die Hüfte und den Oberkörper in der richtigen Position zu halten. Das ist immer noch eine schwierige Sache.
Frage: Bei den diesjährigen Einzelstrecken-Weltmeisterschaften auf der Olympiabahn hatten Sie die Eisqualität bemängelt. Ist das ein Unsicherheitsfaktor?
Es stimmt, anfangs war das Verhältnis zwischen mir und dem Eis dort keinesfalls besonders freundschaftlich. Die Halle selbst und das Umfeld sind großartig. Aber das Eis war zu brüchig und instabil. Bei kräftigem Abdruck mit den Kufen brachen immer wieder kleine Eisstücke heraus. Ich hatte viele Fehlschritte drin und keinen optimalen Abdruck, den man ja braucht, um schnelle Zeiten zu laufen. Die Eismeister wissen um die Kritik, auch wenn ich nicht persönlich mit ihnen gesprochen habe. Das Problem liegt meines Erachtens im Zusammenspiel zwischen Eistemperatur, Hallentemperatur und Luftfeuchtigkeit. Es wird bestimmt ein schweres Stück Arbeit, das hinzukriegen. Im Februar werden wir sehen, ob es geklappt hat. Vor den Olympischen Spielen findet dort kein Wettkampf mehr statt.
Frage: Wie verläuft Ihre Saisonvorbereitung - härter als vor einem nicht-olympischen Winter?
In den vergangenen drei Jahren ist es mir immer gelungen, zum Saisonhöhepunkt hin eine gute Form aufzubauen. Da hat man eine gewisse Sicherheit. Ich möchte jetzt nichts übertreiben und nichts riskieren. Der anstrengendste Teil in der Vorbereitung ist sicher wieder das dreiwöchige Höhentrainingslager bis zum 2. September in Font Romeu in Südfrankreich. Dort bewegt man sich an der Hantel und auf dem Fahrrad ständig im hohen Laktatbereich. Das ist schon sehr belastend und härter als das Camp im Juni, als wir zum Grundlagentraining in den italienischen Alpen in Livigno gewesen sind. Zwischendurch gab es in Berlin "Sommereis" und mach dem Camp in Font Romeu werden wir dann hoffentlich so schnell wie möglich wieder aufs Eis gehen, um uns auf die ersten Weltcups im November in Berlin und Heerenveen vorzubereiten.
Frage: Zwischendurch wollen Sie sich noch eine Auszeit beim Treffen der "Champion des Jahres" der Stiftung Deutsche Sporthilfe nehmen. Die Stiftung hat erfolgreiche deutsche Athleten diesmal vom 21. bis 28. September in den Robinson-Club nach Sarigerme Park in die Türkei eingeladen...
Ich war schon in den vergangenen beiden Jahren dabei und es hat immer gut funktioniert. Man kann eigentlich sagen, immer wenn ich zu Saisonbeginn im Club "Champion des Jahres" war, bin ich anschließend Weltmeisterin geworden. Ich habe meinen Trainer Thomas Schubert überzeugt, dass eine Pause zu diesem Zeitpunkt eine gute Möglichkeit zur Regeneration und zur Motivation für die olympische Saison ist. Ohne Trainingspläne werde ich natürlich nicht in den Robinson-Club fahren.
Frage: Welche Erfahrung haben Sie darüber hinaus mit der Sporthilfe?
Schon sehr früh, als noch weitgehend meine Eltern mit einspringen mussten, erhielt ich Beihilfen für die Internatskosten. Ich hatte Glück, dass ich zu jenen Jahrgängen gehörte, die von der Sporthilfe durchgängig eine Grundförderung bekamen. Zum Glück ist die Sporthilfe jetzt wieder dahin zurückgekehrt, auch die B- und Anschlusskader stärker zu fördern. Gerade für junge Sportler, die noch nicht oben angekommen sind, ist es ganz wichtig, jemanden an der Seite zu haben. Seit drei Jahren bekomme ich Eliteförderung, doch diese frühe Hilfe zuvor war für mich besonders wertvoll. Es geht dabei nicht nur um den materiellen Wert, sondern auch um das Gefühl, dass man beachtet und begleitet wird. Das ist eine tolle Motivation.
Frage: In die absolute Weltspitze sind Sie erst spät im Alter von 27 Jahren vorgestoßen. Ihr Literaturstudium haben Sie 1999 begonnen und im vorigen Jahr beendet. Sie scheinen ein sehr zäher Typ zu sein...
So könnte man das sagen. Es hat lange gedauert, bis sich der ganz große Erfolg einstellte. In der Phase zuvor hatte ich aber jedes Jahr kleine Verbesserungen und wusste außerdem genau, wo es Reserven gibt. Darum gab es für mich keinen Grund, die Flinte ins Korn zu werfen. Vielleicht half beim Durchbruch in der Saison 2006/07 ein bisschen mit, dass ich damals auf viel leichtere Kufen aus Karbon umstellte. Es gibt einem ein sehr gutes Gefühl, wenn man weiß, dass man mit erstklassigem Material unterwegs ist.
Frage: Werden Sie nach Ihrem Literaturstudium später ins Verlagswesen einsteigen oder verspüren Sie womöglich selbst literarische Neigungen?
Dieses Studium auf Magisterbasis hatte ich damals aus reinem Interesse an dem Fach und ohne konkrete berufliche Vorstellungen aufgenommen. Neben dem Sport alles andere auf Null herunterzufahren, das fände ich nicht gut. Ich war schon immer sehr an Literatur interessiert. Außerdem musste ich bei diesem Studium nicht ständig in ein Labor gehen, sondern viele Hausarbeiten schreiben. Da kann man sich die Zeit gut einteilen. Kürzlich habe ich mich an der Technischen Fachhochschule in Berlin-Wedding im Fach Betriebswirtschaft eingeschrieben. Das geht es eher praktisch zu, das ist eine ganz andere Welt. Dieses Handfeste hat mir im Literaturstudium gefehlt.
Frage: Inwieweit denken Sie bereits über Vancouver hinaus?
In meinem neuen Studiengang habe ich schon ein paar Kurse besucht, ernsthaft werde ich das Studium erst nach Olympia in Angriff nehmen. Ich schaue schon jetzt über Vancouver hinaus, obwohl ich keine konkrete Planung für die weitere sportliche Karriere habe. Nur soviel steht fest: Ob ich weitermache, das wird nichts mit dem Abschneiden bei den Winterspielen zu tun haben und es ist auch nicht so, dass ich mich jetzt aus Livigno so verabschiedet hätte, als wäre das dort mein letztes Trainingslager gewesen.
Frage: Verfolgen Sie die Entwicklungen um die Dopingvorwürfe gegen Claudia Pechstein?
An dem, was da passiert, bin ich schon sehr interessiert. Das strahlt natürlich auf unsere ganze Sportart aus, auch wenn es sich um einen einzelnen Fall handelt. Die Sponsoren werden nun bestimmt genauer hinsehen. Eisschnelllaufen, werden sicher welche sagen, da war doch was...
Quelle: Stiftung Deutsche Sporthilfe