Rollstuhlbasketballerin Annabel Breuer: "Corona hat meinen Studienplan über den Haufen geworfen"
Archivmeldung vom 08.07.2020
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Freigeschaltet durch André OttRollstuhlbasketballerin Annabel Breuer gewann schon zwei paralympische Medaillen, auf eine mögliche dritte in Tokio muss sie nun ein Jahr länger warten. Bis dahin will die 27-Jährige ihr Psychologie-Studium weitervoranbringen und im Herbst 2021 - idealerweise Edelmetall-dekoriert - ihren Master in Gießen abschließen.
Deutsche Sporthilfe: Annabel, ursprünglich hätten für Dich in diesem Sommer Deine bereits dritten Paralympics angestanden - jetzt musst Du darauf noch zwölf Monate warten. Wie gehst Du damit um?
Annabel Breuer: Stimmt, wahrscheinlich wäre ich gerade mit der Nationalmannschaft in einem Trainingslager im Ausland und hätte in diesem Sommersemester deutlich weniger für die Uni getan. Mein Studienplan wird durch Corona etwas über den Haufen geworfen. Glück im Unglück war, dass die Paralympics gerade noch rechtzeitig vor Semesterstart verschoben wurden und ich mich für ein paar Kurse mehr anmelden konnte. Eigentlich hätte ich jetzt auch Zeit für mein achtwöchiges Pflichtpraktikum, aber wegen Corona gibt es dafür leider gerade keine Stellen.
Deutsche Sporthilfe: Immerhin ist das deutsche Rollstuhlbasketball-Team der Frauen bereits für Tokio qualifiziert. Wie groß war die Erleichterung, nach EM-Bronze 2019 dabei zu sein?
Annabel Breuer: Bei mir persönlich und auch beim Trainerteam war die Erleichterung schon sehr groß. Wir hatten vor zwei Jahren einen großen Umbruch, vergangenes Jahr legten noch einmal drei Stammspielerinnen eine Pause ein, die für Tokio nun zurückkehren werden. Daher sind wir mit einem sehr unerfahrenen Team und mit großem Respekt in die EM gegangen.
Deutsche Sporthilfe: Durch die Coronakrise wurden Du und Deine Teamkolleginnen quasi über Nacht zum Nichtstun verdammt. Was macht das mit einer Leistungssportlerin?
Annabel Breuer: Das war schon hart. Ich habe mir Sorgen um meine Fitness gemacht und im Homeoffice sportartspezifisch zu trainieren, ist bei uns Rollstuhlbasketballern auch nur schwer möglich. Einen Basketball hatte ich jetzt übrigens auch schon länger nicht mehr in den Händen.
Deutsche Sporthilfe: Du studierst im Master Psychologie. Hast Du in dieser besonderen Situation Inhalte aus dem Studium im "echten Leben" wiedergefunden?
Annabel Breuer: Tatsächlich habe ich festgestellt, dass Basketball und Sport allgemein für mich wichtige Komponenten sind, wenn es mal an der Uni oder sonst wo nicht so gut läuft - in der Psychologie spricht man da von einem Resilienz-Faktor. Dieser Ausgleich ist natürlich nun weggefallen. Stressbewältigungsstrategien muss ich mir nun anders aneignen.
Deutsche Sporthilfe: Im vergangenen Jahr hast Du vor der EM Deine Bachelorarbeit geschrieben - und nicht nur bestanden, sondern mit einer sehr guten Note auch die Zulassung für den Master erreicht.
Annabel Breuer: Das war enorm wichtig, da habe ich mir auch sehr viel Druck gemacht. Dass ich nun neben dem Sport auch weiterhin in Gießen bleiben und studieren kann, war entscheidend - anders hätte ich nicht gewusst, wie es für mich nach dem Bachelor weitergegangen wäre.
Deutsche Sporthilfe: In Deinem Bundesligaverein in Wetzlar spielst Du ausschließlich mit Männern zusammen. Wie funktioniert das für Dich?
Annabel Breuer: Eigentlich sehr gut, es herrscht auf jeden Fall weniger Zickenkrieg (lacht). Sonst werde ich aber nicht anders behandelt, nur, weil ich eine Frau bin - das ist mir auch sehr wichtig. Mit und gegen Männer zu spielen, ist für mich das beste Training, das ich mir wünschen könnte.
Deutsche Sporthilfe: Viel Freizeit bleibt da nicht. Wie wichtig ist für Dich die Unterstützung durch die Deutsche Sporthilfe und das Deutsche Bank Sport-Stipendium?
Annabel Breuer: Freizeit habe ich in der Tat nicht wirklich viel, in der Regel komme ich abends von Uni und Training nach Hause und könnte sofort wieder ins Bett gehen. Aber ich denke, diesen Stress brauche ich auch irgendwie. Durch die Sporthilfe und das Deutsche Bank Sport-Stipendium muss ich mir finanziell keine Sorgen machen, das ist sehr wichtig. Müsste ich parallel noch einen Nebenjob ausüben, würden Sport oder Studium oder sogar beides darunter leiden.
Deutsche Sporthilfe: Deine Karriere begonnen hast Du als Rollstuhlfechterin, wurdest in dieser Sportart 2009 sogar von der Sporthilfe als "Juniorsportlerin des Jahres" ausgezeichnet. Wie kam der Wechsel zum Basketball zustande?
Annabel Breuer: Für einige Jahre habe ich Rollstuhlbasketball und -fechten parallel betrieben, aber nach und nach habe ich meine Passion für den Mannschaftssport entwickelt. Mit einem Team zu reisen, gemeinsam zu gewinnen und auch mal zu verlieren, gibt mir persönlich mehr als der doch sehr individuelle Fechtsport.
Deutsche Sporthilfe: Tokio 2021 werden Deine dritten Paralympics sein - wie ist die Perspektive für danach?
Annabel Breuer: Wie es nach den Paralympics und dem nahenden Studienende aussieht, da bin ich noch nicht ganz sicher. Den Sport neben einer Vollzeitstelle auszuüben, ist sicher hart. Aber erst einmal habe ich ja noch ein Jahr Zeit, mir dazu Gedanken zu machen.
Steckbrief Annabel Breuer (*23. Oktober 1992 in Tübingen)
- Sportart: Rollstuhlbasketball
- Wohnort: Gießen
- Verein: RSV Lahn-Dill
- Größte Erfolge: Paralympics-Gold 2012, Paralympics-Silber 2016, WM-Silber (2010, 2014), EM-Gold, -Silber und -Bronze (2009, Fechten)
- Studium: Psychologie (Master)
- Universität: Justus-Liebig-Universität Gießen
Die Deutsche Bank, seit 2008 Nationaler Förderer der Deutschen Sporthilfe, unterstützt im Rahmen der Sporthilfe-Förderung studierende Spitzenathleten mit dem Deutsche Bank Sport-Stipendium. Aktuell profitieren rund 300 Sporthilfe-geförderte Athleten von dem Programm, das mit einem Zeitbonus über die Regelstudienzeit hinaus gewährt wird. Die besonderen Leistungen der studierenden Athleten sollen mit der Wahl zum Sport-Stipendiat des Jahres zusätzlich gewürdigt werden. Die Deutsche Bank verdoppelt dem Sieger das monatliche Stipendium für 18 Monate. Die vier weiteren Finalisten erhalten für den gleichen Zeitraum eine Zusatzförderung von 50 Prozent des monatlichen Stipendiums.
Diese Athleten stehen zur Wahl: Leonie Beck (Schwimmen/Medienkommunikation), Annabel Breuer (Rollstuhlbasketball/Psychologie), Cécile Pieper (Hockey/Psychologie), Jonathan Rommelmann (Rudern/Humanmedizin), Julius Thole (Beachvolleyball/Rechtwissenschaften). Bis zum 2. August 2020 kann jeder unter www.sportstipendiat.de den Nachfolger von Kea Kühnel, Ski-Freestylerin und Studentin für Accounting, Auditing and Taxation, wählen. Unter allen Teilnehmern des Online-Votings wird ein iPad verlost.
Quelle: Stiftung Deutsche Sporthilfe (ots)