DFL-Chef Christian Seifert: "Dürfen nicht davon ausgehen, dass Bundesliga in zehn Jahren noch so erfolgreich sein wird wie heute."
Archivmeldung vom 30.09.2020
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Freigeschaltet durch André OttDer deutsche Fußball steht nach Meinung von Christian Seifert mittelfristig vor tiefgreifenden Reformen, will er auch in Zukunft im internationalen Vergleich konkurrenzfähig bleiben. "Wir dürfen nicht davon ausgehen, dass die Bundesliga in zehn Jahren immer noch so erfolgreich sein wird wie heute. Das ist kein Automatismus.
Kinder und Jugendliche haben heute ein ganz anderes Mediennutzungsverhalten und eine andere Reizschwelle. Ob die noch ein komplettes Bundesligaspiel im November bei Nieselregen sehen wollen, ist fraglich", erklärte Seifert, Chef der Deutschen Fußball-Liga (DFL), im Interview mit dem Magazin stern, dessen neue Ausgabe am Donnerstag erscheint.
Die Fußball-Bundesliga konkurriere in Zukunft nicht nur mit der englischen Premier League um die Gunst der Zuschauer, sondern auch mit Streaming-Anbiertern wie Netflix. "Der Wettbewerb um Aufmerksamkeit ist überall, und wir werden ihn nicht fernhalten können, bloß weil wir die Bundesliga sind", glaubt Seifert.
Die Gefahr von durch die Corona-Krise ausgelösten Insolvenzen in beiden Bundesligen sieht Seifert trotz des laufenden Spielbetriebs nicht als gebannt an. Er sei sich nicht absolut sicher, dass alle Vereine unbeschadet durch diese Krise kämen. "Ich kann und werde nicht die Hand für jeden Klub ins Feuer legen, weil ich nicht für jeden einzelnen der 36 Klubs verantwortlich bin."
Er selbst habe gerade zu Beginn der Pandemie, als auch der Fußball ruhte, stark unter Stress gestanden. Der Zwiespalt zwischen der Gesundheit der Spieler und einem schnellen Wiederbeginn des Spielbetriebes habe ihm zugesetzt: "Am Anfang habe ich den Druck massiv gespürt. Ich hatte einige Nächte mit wenig Schlaf."
Heute wünscht sich Seifert einen anderen Umgang mit der Corona-Krise in der gesamten Gesellschaft: "Die generelle Besetzung von Alltagsthemen mit Angst in Deutschland - das macht etwas mit dieser Gesellschaft. Und vor den Folgen habe ich Sorge. Die permanente Kommunikation unterschwelliger Todesgefahr löst Kollateralschäden aus, die wir jetzt noch nicht sehen, aber die viele Unternehmen noch merken werden."
Die Angst werde vor allem "von Teilen der Politik, aber auch teilweise aus dem medizinischen Lager" vermittelt. "Die einordnenden Stimmen dringen nicht mehr durch. Das Festmachen am R-Wert oder an der Inzidenzrate kann meiner Meinung nach dazu führen, dass wir uns nicht in einer Scheinsicherheit, sondern auch einer Scheingefahr bewegen."
Man müsse nicht nur die Disziplin in der Bevölkerung, sondern auch die Moral hochhalten. "Sonst passiert das, was wir zuletzt an lauen Sommerabenden in vielen Städten erlebten: Menschen verspüren keine Angst, weil unser Gesundheitssystem die Situation gut unter Kontrolle hat. Sie sollen sich aber eigentlich nach wie vor einschränken. Also bilden sie sich ihre eigene Wahrheit. Wir erreichen über das Schüren von Angst gewisse Gruppen nicht mehr. Wir müssen die Fakten stärker in den Vordergrund stellen. Aber eben alle Fakten."
Quelle: Gruner+Jahr, STERN (ots)