Spitzen-Schiedsrichter Manuel Gräfe kritisiert DFB-Leistungstest als "antiquiert und wenig sinnvoll"
Archivmeldung vom 16.08.2019
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Freigeschaltet durch André OttOsnabrück. Bundesliga-Spitzenschiedsrichter Manuel Gräfe hat grundsätzliche Kritik an dem Fitnessleistungstest für die DFB-Unparteiischen geübt. "Ich halte den Test in seiner ganzen Form für antiquiert und wenig sinnvoll", sagte der 45-jährige Berliner in einem Interview mit der "Neuen Osnabrücker Zeitung", "dazu kommt, dass der Test aus meiner Sicht zu einem völlig falschen Zeitpunkt stattfindet."
Der Test, der ein Teil der Eignungsprüfung für die neue Saison ist, fand Anfang Juli beim DFB-Trainingscamp für die Schiedsrichter in Grassau statt, knapp sechs Wochen vor dem Bundesliga-Start. Gräfe hält das für zu früh: "Warum muss ein Bundesliga-Schiedsrichter seine Fitness da schon beweisen? Das muss kein Bundesliga-Profi. Die Folge: Viele Schiedsrichter, die bis in den Juni pfeifen, trainieren in der Sommerpause bis zum Test durch. Sie verwehren ihrem Körper die Erholungsphase. Das ist aus meiner Sicht einer der Gründe, warum sich immer mehr Schiedsrichter unter anderem muskuläre Verletzungen zuziehen."
Bei dem Belastungstest müssen die Schiedsrichter 6x 40 Meter in jeweils maximal sechs Sekunden sprinten und 40 Läufe über 75 Meter in höchstens 15 Sekunden bei 18 Sekunden Regeneration zwischen den Läufen absolvieren. Gräfe bemängelte, dass der Test sich an starren Normen orientiert und nicht den Erkenntnissen moderner Leistungsdiagnostik entspricht: "Er schert alle über einen Kamm und sagt nicht wirklich etwas aus über die Leistungsfähigkeit des Einzelnen. Wir reden von einer 80-köpfigen Gruppe im Alter von Anfang 20 bis 47. Glauben Sie, dass Claudio Pizarro dieselben Werte erreichen kann und muss wie Maximilian Eggestein? Und trotzdem legt man in Bremen immer noch viel Wert auf ihn."
Gräfe sagte, er habe seine Bedenken wie einige Kollegen an den DFB weitergegeben und Veränderungsvorschläge gemacht. Der ehemalige FIFA-Referee wünscht sich für die Unparteiischen ein individuell gesteuertes Training sowie eine Woche vor dem Start der Spielklasse, in der der jeweilige Unparteiische überwiegend angesetzt wird, eine Überprüfung der sportmedizinischen maximalen Leistungsfähigkeit.
Der seit 2004 in der Bundesliga 257-mal eingesetzte Gräfe ist beim Saisonstart zum dritten Mal in 15 Jahren nicht dabei. Der 45-Jährige konnte den Test in Grassau wegen der Folgen einer Operation und einer vierwöchigen Pause nicht absolvieren. Der Termin der ersten Nachprüfung sei in die Zeit seines persönlichen Trainingslagers in Griechenland gefallen, das seit zwölf Jahren zu seiner Vorbereitung gehört. Sein Angebot, den Test in der Woche vor dem Bundesligastart zu absolvieren, sei ihm vom DFB verwehrt worden: "Man gibt mir erst am 29. August diese Möglichkeit, weil dann die nächste Nachprüfung vorgesehen ist."
Seit 20 Jahren habe er alle DFB-Tests bestanden: "Ich würde ihn auch jetzt bestehen, muss aber warten. Auch wir Schiedsrichter haben die Mentalität eines Spitzensportlers; wir wollen dabei sein, wenn es losgeht. Es ist immer noch ein ganz besonderer Moment, in ein volles Stadion einzulaufen und das Kribbeln zu spüren. Ich hatte meine gesamte Vorbereitung darauf ausgerichtet, am ersten Spieltag dabei zu sein."
Quelle: Neue Osnabrücker Zeitung (ots)