Olympischen Fackellauf "sehr selbstkritisch überdenken", fordert IOC-Vize Thomas Bach
Archivmeldung vom 28.05.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittVor den am 8. August in Peking beginnenden Olympischen Spielen verteidigt der deutsche Vizepräsident des Internationalen Olympischen Komitees die Vergabe der Spiele an China, das wegen seiner Menschenrechtsverletzungen umstritten ist.
"Es war keine makabre Idee, die Olympischen Spiele nach Peking zu vergeben", erklärt Thomas Bach im Interview in der neuen, am Donnerstag erscheinenden Ausgabe der Hamburger Zeitschrift stern. "Soll der Sport denn kapitulieren, weil die Welt nicht so ist, wie wir sie uns wünschen? Sie können die Menschenrechte in einem Volk von 1,3 Milliarden Menschen nicht einfach anknipsen von heute auf morgen."
Das IOC sei "keine Weltregierung, die das Böse per ordre de mufti vertreiben kann". Der Sport habe "nicht die Möglichkeit, in diesen 16, 17 Tagen der Olympischen Spiele all das zu lösen, woran Generationen von Politikern und UN-Generalsekretäre gescheitert sind". Bach ist sich aber sicher, dass die Spiele in China Verbesserungen anstoßen, die unumkehrbar seien. Man kusche nicht vor den chinesischen Machthabern, man stoße "Diskussionen" an. Dass nun die chinesische Regierung, so Bach im stern, "so außergewöhnlich offen über die Erdbebenkatastrophe berichten ließ - das geschah auch wegen Olympia." Es seien nun "die Scheinwerfer auf das Land gerichtet".
Zum Fackellauf, der in vielen Ländern nur unter Polizeischutz stattfinden konnte, nimmt Bach im stern Stellung. Das IOC müsse diesen Fackellauf "sehr selbstkritisch überdenken". Er habe sich "leider zu einem Symbol des Gastgeberlandes entwickelt, zu einem staatlichen Hoheitssymbol. Dieses ist er gerade nicht." Trotz aller Kritik werde er selbst am Tag der Eröffnung in Peking mit der Fackel laufen, "um ein Zeichen zu setzen". Bach im stern: "Ich weiß, dass es im Augenblick gut ankäme, wenn ich sagte: Ich laufe nicht. Doch ich werde laufen. Als Olympiasieger habe ich zu dieser Fackel eine emotionale Beziehung - das schafft ein Gefühl, das fast der Teilnahme an den Spielen gleichkommt."
Die Ankündigung einiger deutscher Sportler, die Eröffnungsveranstaltung in Peking zu boykottieren oder mit Protestbändchen ins Stadion einzulaufen, kommentiert Bach im stern so: "Sportler sind mündige Bürger, sie können sich frei äußern in ihren Interviews, auch in den Pressekonferenzen". Allerdings schätze er das Tragen von Armbändchen als "politische Demonstration" ein und die sei "nach der IOC-Charta unzulässig". Nicht erlaubt sei auch, wenn Athleten im Olympischen Dorf Diskussionsveranstaltungen wie etwa: Todesstrafe in China - was wir dagegen tun können? organisieren würden.
Nachdenklich macht IOC-Vize Bach das Thema Doping bei den Olympischen Spielen. Bei den letzten Winterspielen 2006 in Turin habe er in "absolute Tiefen" geblickt, sich auch die Frage gestellt: "Ist es das alles noch wert? Was da bei den österreichischen Athleten geschah, wie die lebten - mit Spritzen, Blutbeuteln, Messgeräten und allem. Ekelhaft. Entwürdigend." Trotzdem glaube er weiterhin an die Möglichkeit eines sauberen Sports.
Quelle: stern