"An einem Tag Held, am nächsten Depp": Thomas Müllers Saison-Fazit und Ausblick auf 2011/12
Archivmeldung vom 30.05.2011
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittEr läuft und läuft und läuft. Thomas Müller bestritt in der abgelaufenen Bundesliga-Saison alle 34 Spiele für den FC Bayern, verbuchte dabei zwölf Tore und zwölf Vorlagen. Und jetzt ist er mit der Nationalmannschaft unterwegs, spielte am Sonntag gegen Uruguay von Beginn an. Nun stehen noch die beiden EM-Qualifikationsspiele am Freitag in Wien gegen Österreich und am Dienstag in Baku gegen Aserbaidschan an - dann verabschiedet sich auch Müller in den Sommerurlaub.
Die tz sprach mit dem 21-Jährigen über Müdigkeit, den Druck in der abgelaufenen Saison, die Kritik an Louis van Gaal, seine Erwartungen an Jupp Heynckes.
Nach dem Ende der Liga-Saison ging's nahtlos mit dem Nationalteam weiter. Reicht die Pause?
Thomas Müller: Diese drei Termine mit der Nationalmannschaft sind sicher nicht sehr glücklich. Eine Pause brauchen wir vor allem für den Kopf.
Nicht für den Körper?
Müller: Ich nicht. Bei mir ist es so, dass ich nach zwei, drei Tagen Pause körperlich wiederhergestellt bin. Aber im Kopf muss man auch mal alles sacken lassen. Die Seele braucht nach so einer Saison eine Pause.
Der Super-GAU konnte noch vermieden werden. Wie froh sind Sie, dass Ihnen nächstes Jahr die Euro League wohl doch erspart bleibt?
Müller: Das ist für alle hier sehr wichtig. Für Spieler, Verantwortliche, Fans oder Sponsoren. Erst müssen wir in der Quali noch bestehen - aber ich glaube nicht, dass wir uns da aufhalten lassen.
Wie bedrohlich war das Szenario Europa League im Saisonendspurt?
Müller: Der Druck war enorm groß, vor allem, als wir noch hinter Hannover standen, das muss man ganz klar sagen. Das war psychisch keine einfache Situation. Den Totalschaden konnten wir vermeiden.
Und ab 1. Juli wird angegriffen?
Müller: Ich denke, wir sind gut aufgestellt. Aber es hat sich in der Liga schon ein bisschen was getan. Die Bundesliga ist nicht mehr so wie früher, dass es drei, vier gute Mannschaften gibt und du den Rest in die Tasche stecken kannst. Die Qualität und die Ausgeglichenheit in der Bundesliga ist groß. Deswegen wird es nächste Saison wieder nicht leicht.
Sie sprechen es an: Die Abschlusstabelle der Liga wirkt teilweise, als wäre sie auf den Kopf gestellt worden...
Müller: Es ist schon verrückt gewesen. Die Liga war auf den Kopf gestellt. Man muss sich nur Schalke und Bremen, auch Stuttgart anschauen.
Woran liegt das?
Müller: Vereine wie Mainz, Freiburg und Hannover hatten keine oder nur wenige WM-Spieler letztes Jahr, sie haben sich dazu gut verstärkt. Diese Mannschaften zeichnet ein gutes, klares System und ein guter Trainer aus. Diese Teams treten auch als echte Mannschaften auf. Man muss schon feststellen, dass es kaum noch kleine Teams gibt. Du tust dich gegen fast jeden Gegner schwer.
Wird das in der neuen Saison relativiert?
Müller: Es kann auch so weitergehen! Ich bin eher der Meinung, dass die Spitze immer breiter wird. Jeder Verein, der länger in der Bundesliga ist, wird immer stärker. Mainz oder Hannover sind Beispiele. Ich denke nicht, dass diese Teams nach einer starken Saison zwangsläufig abstürzen.
Wie sieht Ihr persönliches Fazit der Saison aus?
Müller: Auf die ganze Saison betrachtet kann ich mit meiner persönlichen Bilanz zufrieden sein. Ich denke auch, dass ich mich in meinem Spiel weiterentwickelt habe. Es freut mich, dass ich in diesem schwierigen zweiten Jahr, von dem immer alle sprechen, dem Druck standgehalten habe. Ich habe das gut weggesteckt und bin immer noch fester Bestandteil der Mannschaft.
Wie spüren Sie selbst diese Weiterentwicklung?
Müller: Man merkt auf dem Spielfeld, dass der Ball nicht mehr fünf Meter weit wegspringt, sondern dort liegen bleibt, wo er liegen soll. Oder dass man mit links einen ordentlichen Pass spielen kann. Diese täglichen Übungen zeigen schon Wirkung. Ich habe auch eine bessere Orientierung auf dem Platz.
Sind Sie auch ruhiger, gelassener auf dem Platz?
Müller: Ach, da war ich noch nie der Typ, der sich verrückt machen hat lassen. Aber natürlich kann man manche Situationen besser einschätzen.
Gibt es eine vergebene Großchance, die Ihnen in Erinnerung bleibt?
Müller: Nach Ansicht der Zeitlupe muss ich sagen: Eine Chance im Heimspiel gegen Inter Mailand war Wahnsinn. Im Spiel dachte ich: Wenn ich noch an den Ball komme, dann muss er drin sein. Danach sehe ich, dass mein Gegenspieler ihn berührt, der Ball an meinen Fuß geht, an den Pfosten und raus. Aber mei: Unglaublich, aber nicht mehr zu ändern.
Was erwarten Sie sich von Jupp Heynckes?
Müller: Einen Trainer, der eine sehr gute Mannschaftsführung hat. Der weiß, wann er wem eine Pause geben muss. Die Erfahrung hat er, er identifiziert sich mit dem Verein. Jupp Heynckes war in Spanien und Deutschland erfolgreich. Die Vorzeichen sind sehr positiv. Ich freue mich auf die neue Spielzeit.
Wurde im Nachhinein zu schlecht über Louis van Gaal gesprochen?
Müller: Ja. Es wurde schon viel gesagt, was man sich hätte sparen können. Aber es ist, wie es ist: Das Fußballgeschäft ist schnelllebig. Als Spieler bist du an einem Tag der Held, am nächsten der Depp. Oder anders: Wenn du jahrelang konstant bist und irgendwann verletzt, dann kommt eben der Nächste. Es ist wie überall: Jeder ist zu ersetzen, Leistungen sind schnell vergessen. Da brauchen wir uns nichts vormachen. Das würde mir genauso gehen.
Wie meinen Sie das?
Müller: Wenn ich jetzt schlimm verletzt wäre, dann würde noch eine Woche lang etwas in der Zeitung stehen, wie die OP verlaufen ist und so weiter. Dann wäre drei Monate Ruhe um mich.
Quelle: tz München / Interview: Tobias Altschäffl (ots)