Wenn der Oktaederstumpf ins Eckige muss
Archivmeldung vom 10.06.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittHand hoch, wer es weiß: Wie ist ein Fußball aufgebaut? In den meisten Fällen setzt er sich aus 32 Vielecken zusammen - zwölf schwarze Fünfecke und 20 weiße Sechsecke. Diese werden so angeordnet, dass die Fünfecke von Sechsecken umgeben werden, und die Sechsecke mit ihren Seiten abwechselnd an Fünfecke und an Sechsecke stoßen. Das ist die übliche, aber natürlich nur eine mögliche Art, einen Fußball zu bilden.
Professor Dieter Kotschick, Lehrstuhlinhaber für Differentialgeometrie an der
Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München, beschreibt in einem
populärwissenschaftlichen Artikel im "American Scientist", welche Alternativen
es gibt. "Für einen Mathematiker ist ein Fußball ein faszinierendes Problem",
meint er dazu. "Warum sieht er so aus, wie er aussieht? Könnte man ihn aus
anderen Formen zusammensetzen oder die Polygone anders anordnen? Diese Fragen
kann man mit mathematischen Begriffen präzisieren, und zum Teil auch
beantworten. Dabei spielen vor allem die Geometrie, die Gruppentheorie, die
Topologie und die Kombinatorik eine wichtige Rolle." Die Veröffentlichung im
"American Scientist" stützt sich auf einen mathematischen Artikel von Kotschick
und seinem Mitarbeiter Dr. Volker Braungardt.
Dabei ist die Arbeit nicht nur von sportlichem und
mathematischem Interesse. Denn die neuen Erkenntnisse der Autoren zum Design von
Fußbällen lassen sich auch auf chemische Fragestellungen übertragen, etwa bei
der Betrachtung von Fullerenen. Das sind stabile sphärische Kohlenstoffmoleküle
mit äußerst interessanter räumlicher Struktur. Die Entdeckung dieser
Verbindungen wurde 1996 sogar mit dem Nobelpreis für Chemie gewürdigt. Das erste
bekannte und auch einfachste Fulleren ist der so genannte "Buckyball" - mit
einer Struktur, die genau der des Standardfußballs entspricht. Angeblich wurde
das seit langem bekannte und heute übliche Design für Fußbälle bei der
Weltmeisterschaft 1970 eingeführt, um den Ball auf dem Bildschirm optisch
hervorzuheben. Dabei gab es andere Ansätze als diesen so genannten
Ikosaederstumpf: Unregelmäßige Formen, aber auch lang gestreckte Stücke wurden
schon zusammengenäht, um einen Fußball zu bekommen. Priorität war immer, einen
Ball zu erhalten, der auch bei äußerster Belastung rund bleibt. Aber was ist
überhaupt ein Fußball?
Braungardt und Kotschick gingen von folgenden
Annahmen aus: Der Ball muss sich aus Fünf- und Sechsecken zusammensetzen, die so
angeordnet sind, dass die Seiten der Fünfecke nur an Sechsecke stoßen, während
die Sechsecke mit ihren Seiten abwechselnd auf Fünfecke und Sechsecke treffen.
Selbst bei diesen Einschränkungen aber ergeben sich noch unendlich viele
Möglichkeiten für Fußbälle - wie auch für Fullerene. Aus Sicht des
Mathematikers, speziell des Topologen, bilden die Polygone, das sind Vielecke,
eines Fußballs eine Schicht, die die Oberfläche einer Sphäre bedeckt. Das Muster
zu verzerren, ändert topologisch nichts. Daher kann man neue Fußbälle aus alten
konstruieren, indem man diese Schicht mit einem Schnitt öffnet und anschließend
staucht, bis sie beispielsweise nur noch die Hälfte der Kugel bedeckt. Dieses
Muster kann dann auch auf die andere Hälfte übertragen werden, ohne die
geforderten Eigenschaften eines Fußballs zu verlieren. Dieses Verfahren lässt
sich vielfach ausbauen, wenn das ursprüngliche Muster auf mehr als die Hälfte
gestaucht wird. "Mein Mitarbeiter und ich konnten beweisen, dass jeder überhaupt
denkbare Fußball, der die drei Bedingungen erfüllt, auf diese Weise konstruiert
werden kann", so Kotschick. Diese eine Konstruktion erschöpft also alle
Möglichkeiten, Fußbälle aus Fünf- und Sechsecken
herzustellen.
Selbstverständlich braucht man sich nicht auf Fünf- und
Sechsecke zu beschränken. Wie könnten andere Fußbälle aussehen, die sich aus
zwei anderen Vielecken zusammensetzen und dabei die verbleibenden beiden
Eigenschaften eines Fußballs erfüllen? Diese Frage führte Kotschick und
Braungardt zu den so genannten platonischen Körpern oder regelmäßigen Polyedern.
Von diesen gibt es nur fünf: das Tetraeder, das Oktaeder, den Würfel, das
Ikosaeder und das Dodekaeder. Aus diesen platonischen Körpern kann man durch
"Abstumpfen" so genannte verallgemeinerte Fußbälle herstellen. Dabei werden die
Ecken der platonischen Körper abgeschnitten. Was dabei von den Flächen des
ursprünglichen Polyeders übrig bleibt, bildet die eine Art Flächen, die andere
Art sind die Schnittflächen. Das aus 20 gleichseitigen Dreiecken bestehende
Ikosaeder wird durch diese Abstumpfung zum Standardfußball. "Wir interessieren
uns aber auch für Fußbälle, die gar nicht sphärisch sind", so Kotschick. "Sie
haben die Form eines Fahrradschlauchs, einer Breze oder einer Oberfläche mit
noch mehr Löchern." Bei der Weltmeisterschaft aber wird es trotzdem sehr viel
konventioneller zugehen. Der "Teamgeist Ball", der für diese WM neu eingeführt
wurde, besteht aus 14 gebogenen Kunstlederstücken mit der Struktur eines
Oktaederstumpfs. Damit ist schon eines klar: Wie erfolgreich die Teams auch sein
werden, es wird immer und immer wieder nur ein mathematisch sehr einfacher Ball
im Tor landen. Man sollte sich von der Weltmeisterschaft also nicht zu viel
versprechen: Sie kann ja nur eintönig werden. (suwe)
Quelle: Pressemitteilung Informationsdienst Wissenschaft e.V.