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Interview mit Handball-Bundestrainer Heiner Brand "Jeder Sportler träumt von einer WM im eigenen Land"

Archivmeldung vom 11.10.2006

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 11.10.2006 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

In 99 Tagen findet in Berlin das Eröffnungsspiel der Handball-Weltmeisterschaft statt. Die deutsche Mannschaft von Trainer Heiner Brand (54) trifft dabei auf Brasilien. Vor den 20. Welttitelkämpfen, den sechsten auf deutschem Boden, stellte sich der Bundestrainer einem Interview.

Wie viel würden Sie auf den WM-Titel der deutschen Handball-Nationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft im eigenen Land setzen?
"Ich wette nicht, dafür habe ich kein Geld."

Verspüren Sie denn 99 Tage vor der WM schon Druck?
"Ja, ich spüre den Druck, aber den habe vor jedem großen Turnier. Jetzt sicher etwas früher, weil ich mit der WM tagtäglich konfrontiert werde. Angst habe ich nicht. Dafür bin ich zu lange dabei. Man muss eine WM im eigenen Lande bei aller Belastung auch als Riesenfreude ansehen. Das werden sicherlich Erlebnisse für uns sein, die wir nicht vergessen werden. Davon träumt ein jeder Sportler. Insofern ist die Vorfreude da - bei allem Druck und bei aller Belastung."

Die WM im eigenen Land dürfte die größte Herausforderung in Ihrer bislang erfolgreichen Trainerlaufbahn sein, oder?
"Als Weltmeisterschaft ist es sicher eine WM wie jede andere. Aber durch die besonderen Umstände, dass sie im eigenen Land stattfindet, ist sie mit der Hoffnung verbunden, dass für den Handball möglichst viel dabei herausspringt. Für mich als Trainer ist es sicherlich die bislang größte Herausforderung. Dessen bin ich mir bewusst."

Die Fußball-WM, aber auch die Welt-Reiterspiele in Aachen und die Hockey-WM in Mönchengladbach waren drei Top-Veranstaltungen in Deutschland. Kann der Handball das steigern?
"Eine Top-Veranstaltung wird das bestimmt. Es hat noch nie eine Weltmeisterschaft im Handball gegeben, wo so viele Zuschauer sein werden. Ich bin mir natürlich darüber im Klaren, dass die Stimmungslage bei dieser WM wesentlich durch Erfolg oder Misserfolg der deutschen Mannschaft beeinflusst wird. Das ist ja beim Fußball auch gewesen."

Die grandiose Fußball-WM mit ihrer unglaublichen Begeisterung war ein unheimlicher Imagegewinn für Deutschland in der ganzen Welt.
"Das wird in diesem Maße beim Handball nicht möglich sein. Aber wir können uns positiv darstellen. Dass alles beim Fußball in anderen Dimensionen ablief, ist klar. Aber wir können für Handball-Verhältnisse sehr, sehr viel bewegen und auch außerhalb der Hallen dafür sorgen, dass Begeisterung aufkommt."

Die deutsche Mannschaft könnte von der Begeisterung getragen werden. Wie beurteilen Sie denn die Chance, dass die DHB-Auswahl bei der Heim-WM den Titel oder eine Medaille holt?
"Unser Nahziel ist es, nach Köln zu kommen, keine Frage: da müssen wir hin. Und dann ist jedes Spiel sowieso ein Endspiel - Viertelfinale, Halbfinale. Das ist im Handball alles so eng, das sind ja dann meist diese Millimeter-Entscheidungen. Aber darin liegt natürlich auch unsere Chance, dass wenn es eng wird, wir vielleicht ein bisschen mehr herausholen können mit Unterstützung der Zuschauer."

Wann wäre die Weltmeisterschaft für Sie denn ein Erfolg?
"Ich mache ihn nicht vom Abschneiden, sondern von unserer Leistung abhängig. Wir müssen das Optimale abrufen. Dann kommt im Normalfall auch eine gute Platzierung raus. Wenn wir das Halbfinale erreichen, ist das ein Riesenerfolg. Das heißt aber nicht, dass man damit zufrieden ist. Es muss unsere Zielsetzung sein, bei einer WM im eigenen Land ganz nach oben zu kommen."

Warum sagen Sie denn nicht wie Jürgen Klinsmann vor der Fußball-WM: Wir wollen Weltmeister werden?
"Wir haben schon gesagt, dass das Ziel die Weltmeisterschaft ist. Ich bin etwas länger tätig in dem Geschäft und werde mein Verhalten auch nicht mehr ändern. Ich habe das immer so gehalten, dass ich ein bisschen vorsichtiger, zumindest nach außen hin, in der Formulierung der Ziele gewesen bin. Was ich nach innen sage, ist meine Sache."

Wann beginnt die heiße Phase zur WM?
"Die muss jetzt im Oktober anfangen, weil ich dann eben sehr aufpassen muss, dass ich mir meine Freiräume nehme für die eigentliche Handball-Arbeit. Ich bin dann in die Roadshow involviert, für die ich schon allein zwölf komplette Tage unterwegs bin. Dann kommen ja auch andere Termine dazu. Dann kommen Spielbeobachtungen dazu. Und dann muss ich sehen, dass ich ein, zwei Tage wieder Freiräume habe, wo ich mich mal mit dem Thema beschäftigen kann in Ruhe: Mal ein Spiel anschauen zu Hause auf Video, mir Gedanken machen, was kann man daraus für Schlüsse ziehen. Da muss ich also sehen, dass ich mit meiner Terminplanung sehr vorsichtig umgehe."

Gibt es ein Problem, das dem Bundestrainer rund drei Monate vor der WM unter den Nägeln brennt?
"Ich muss gerade jetzt nach dem Ausfall von Frank von Behren sehen, dass ich diese Ausgewogenheit zwischen Angriff und Abwehr hin bekomme. Ich habe eben die Situation, dass sehr viele der guten Angriffsspieler nicht in der Abwehrmitte einsetzbar sind. In der heutigen Zeit kann ich auch nicht immer zwei Wechsel machen. Wenn ich einen Wechsel Angriff/Abwehr mache, ist das viel und schon mit einem kleinen Risiko verbunden. Deswegen tut mir ja auch der Ausfall von Frank von Behren so weh. Er ist ja eigentlich kein reiner Abwehrspezialist. Er kann auch Gegenstöße gut mitlaufen, den Ball mit nach vorne tragen. Das ist sicher ein großes Problem für uns. Leider fällt jetzt auch noch Oleg Velyky einige Wochen aus."

Gegen Gruppengegner Polen haben Sie gerade zwei Länderspiele bestritten, Was wissen Sie denn über die anderen beiden WM-Vorrundengegner, Brasilien und Argentinien?
"Über Argentinien und Brasilien kann ich zum Zeitpunkt noch gar nicht viel sagen. Gegen die Brasilianer haben wir in Tunesien gespielt. Die sind unangenehm. Argentinien hat mal 2003 gegen den späteren Weltmeister Kroatien in der Vorrunde gewonnen. Aber das müssen nicht mehr identische Mannschaften sein. Ich denke aber, dass ich da noch Informationen erhalte. Tatsache ist, dass man, wenn man eine WM im eigenen Land hat, Brasilien und Argentinien schlagen muss. Gegen Polen wird sicher ein enges Spiel werden. Und was danach kommt, kann man sich ungefähr ausrechnen: Slowenien, Frankreich, Tunesien, Island. Mannschaften, die man schlagen kann, aber gegen die man auch verlieren kann."

Wer sind für Sie die WM-Favoriten?
"Man muss die Franzosen und Spanier schlagen, die Kroaten. Das sind die nominell stärksten Mannschaften eigentlich. Aber die sind alle zu schlagen."

Können Sie denn in sieben Lehrgängen und insgesamt elf Länderspielen die möglichen offenen Baustellen noch beseitigen?
"Der Terminplan gibt ja auch nicht mehr her. Das ist schwer mit den Terminen. Gerade wo die Champions League jetzt noch mehr Termine erfordert. Also die Liga hat schon versucht, da was zu machen. Ich denke, der Rahmen ist ausgeschöpft."

Die WM-Vorbereitung fängt am 3. Januar an. Reicht sie aus?
"Für einen Trainer reicht das nie. Klar, ich würde gern wie vor Olympia die Mannschaft sechs Wochen zusammen haben. Dann könnte man auch in viele Dinge selbst eingreifen, in den körperlichen Zustand der Mannschaft. Aber das ist eine Vorbereitung, wie ich sie eigentlich bei jeder WM oder EM habe. Das ist sehr kurz. Aber die anderen Nationen, zumindest die mit Spielern hier in Deutschland, haben auch nicht mehr Vorbereitungszeit. Wobei Mannschaften wie Kroatien, wie Dänemark, wie die Franzosen den Vorteil haben, dass sie mit ihren Mannschaften schon länger zusammen spielen. Wir haben auch durch die hohe Zahl verletzter Spieler seit Olympia noch nicht so zu einer Einheit finden können wie diese Mannschaften."

Ist eine Rückkehr von Stefan Kretzschmar in die Nationalmannschaft möglich?
"Für die Sportart ist ein Kretzsche immer gut gewesen. Was jetzt die reine Präsenz auf dem Spielfeld anbelangt, kann ich das im Augenblick nicht sagen. Im vorigen Jahr hat er keine gute Saison gespielt. Dieses Jahr scheint er ja auf einem besseren Weg zu sein." Kretzschmar spielt mit dem Gedanken, seine Karriere bis 2008 fortzusetzen... "Stefan ist ja zurückgetreten. Er kann kein Thema sein. Er kann erst ein Thema werden, wenn er sagt: Ich will wieder spielen."

Könnte Christian Schwarzer ein Thema für die WM werden?
"Bisher nicht. Er hat seine Bereitschaft bekundet, dass er im Notfall helfen würde. Das ist schon mal für mich ganz beruhigend, dass ich ihn dann habe, wenn es Probleme gibt. Ansonsten ist das zum jetzigen Zeitpunkt kein Thema. Ich will nicht ausschließen, dass es eins werden könnte."

Nimmt Ihr WM-Kader schon Konturen an?
"Ich habe einen Kader von rund 26 Spielern. Es gibt noch so ein paar Kämpfe um Positionen, die ich noch ganz gerne offen halten möchte und die ich auch offen halten muss. Ich werde auch die kommenden Lehrgänge immer mit 19, 20 Spielern abhalten."

Werden Sie unabhängig vom Abschneiden bei der WM Bundestrainer bis zu den Olympischen Spielen 2008 in Peking bleiben?
"Die Frage lässt sich eigentlich nicht endgültig beantworten. Im Normalfall schon. Es bestehen Verträge, die pflege ich einzuhalten. Das ist ein Thema, mit dem ich mich nicht beschäftige. Ich konzentriere mich ganz auf die WM, und die werde ich mit allem Einsatz angehen."

Joachim Neußer

Quelle: Pressemitteilung Deutscher Handballbund

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