WM-Rückblick Falun - WM-Ausblick Kontiolahti
Archivmeldung vom 07.03.2015
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittSie liegt schon 16 Jahre zurück, aber erinnern können sich eigentlich noch alle Beteiligten an die Biathlon-WM 1999. Weil es so kalt war, dass so gut wie nichts stattfand. Der Sprint zum Auftakt wurde insgesamt sechsmal verschoben und wegen der eisigen Temperaturen bis -25 Grad Celsius mussten einigen Entscheidungen in Norwegens Hauptstadt Oslo nachgeholt werden.
Zu den eher skurrilen Begebenheiten zählte damals der Einsatz von Hubschraubern, um die Luftzirkulation zu verbessern, das Abbrennen von Lagerfeuern, um die Streckenumgebung zu erwärmen und die schmerzhafte Tatsache, dass sich der damalige ARD-Moderator Hagen Boßdorf bei einer kurzen Einblendung, die er ohne Mütze absolvierte, sofort ein Ohrläppchen erfror.
Diesmal ist die Biathlon-Familie wieder in der „Bärenbucht“ - so lautet die deutsche Umschreibung des Wortes Kontiolahti - zu Gast und kommt aus dem Staunen nicht heraus. Denn es taut in Nordkarelien. Statt Eiszapfen überraschen die Gastgeber diesmal mit Eisregen. Erst in der kommenden Woche soll es wieder etwas kälter werden.
Den elf DSV-Startern dürfte das Wetter einigermaßen egal sein. Die wollen nach dem eher suboptimalen Abschneiden bei den Olympischen Spielen im letzten Winter nämlich zurück in die Erfolgsspur. Und die Vorleistungen im Weltcup nähren die Hoffnungen, dass Kontiolahti 2015 erfolgsträchtiger wird als Sotschi 2014.
Die internationale Konkurrenz ist allerdings groß, sowohl bei den Damen als auch bei den Herren sind die Favoriten gute Bekannte, reicht die Liste der Namen von Domratschewa, Vitkova und Makarainen bei den Frauen über Fourcade, Fak, Boe und den nimmermüden Altmeister Ole Einar Björndalen bei den Herren.
Direkt in diese Favoritengruppe lief und schoss sich in den letzten Wochen Simon Schempp. Aber auch die Herren Lesser, Peiffer und Birnbacher sind für Podiumsplätze gut. Neuling Benedikt Doll ebenfalls, aber eine WM-Premiere ist für jeden Sportler eine ganz besondere Erfahrung und die will gemacht werden.
Das gilt auch für ein Trio im DSV-Damenteam. Lediglich Franziska Hildebrand und Laura Dahlmeier waren schon bei Welttitelkämpfen am Start. Die anderen drei deutschen Starterinnen schnuppern in Finnland zum ersten Mal WM-Luft. Was allerdings nicht ausschließen sollte, dass es auch für die Frauen zu Podiumsplätzen reichen kann. Gerade das Team von Bundestrainer Gerald Hönig überraschte in diesem Winter bisher ausgesprochen positiv. Und der Rucksack an Forderungen und Erwartungen, den die Athletinnen und Athleten mit dem Adler auf der Brust durch die nordkarelischen Wälder schleppen müssen, ist nicht zu schwer. Denn der Deutsche Skiverband hatte sich vor Saisonbeginn festgelegt: Ein Dutzend Medaillen sollten es in diesem Winter bei den Weltmeisterschaften der Nordischen und der Biathleten insgesamt sein. Nach acht Medaillen im nordischen Bereich keine unlösbaren Aufgabe für die deutschen Skijäger in der finnischen Bärenbucht.
Der Hannes – der kann es
Vor Falun hatte sich das Interesse der deutschen Medien eindeutig auf zwei Personen konzentriert: Skispringer Severin Freund und Kombinierer-König Eric Frenzel. In Falun kamen zwei weitere Sieger hinzu: Skispringerin Carina Vogt und der neue Superstar der Winterzweikämpfer, Johannes Rydzek.
Der Bayer trat in Schweden zum ersten Mal aus der Rolle des Kronprinzen heraus, krönte sich als Weltmeister im Einzel und mit der Mannschaft, holte zudem Bronze im zweiten Einzelwettbewerb und – fast schon ein Erfolg mit Symbolgehalt – die Silbermedaille im Team-Sprint. Es hätte nicht viel gefehlt und der Oberstdorfer wäre sogar zu seiner dritten Goldmedaille geskatet, doch Jason Lamy-Chappuis verhinderte auf der Zielgeraden des Teamsprint-Wettbewerbs das Triple für den Allgäuer. „Ich kann es noch gar nicht fassen, diese WM lief einfach traumhaft“, erklärte der 23-Jährige nach der letzten Siegerehrung einigermaßen gerührt.
„Ritschi“, wie er zuhause gerufen wird, avancierte mit seinen vier WM-Plaketten zum erfolgreichsten DSV-Starter. Allerdings waren die Erfolge von Falun beileibe nicht die ersten intertnationalen Meriten, die der Student gesammelt hat. Schon 2010 gab es Olympiabronze in Vancouver, im Jahr darauf dreimal Silber bei den Welttitelkämpfen in Oslo und im letzten Winter in Sotschi noch mal Silber bei den Spielen mit dem Team.
Wenngleich: An die Olympischen Spiele in Russland denkt der bekennende Kletterfreund aus dem Allgäu mit gemischten Gefühlen. Nach seinem Sturz im Einzelrennen ging die schon sicher geglaubte Medaille flöten – ein Erlebnis, auf das Rydzek liebend gern verzichtet hätte. Trost fand der Oberstdorfer ausgerechnet bei seinem Nachbarn und früheren Sprungtrainer Andreas Bauer. „Es gleicht sich im Leben alles irgendwie wieder aus, habe ich ihm damals gesagt, als er ziemlich zerknirscht bei mir auf der Couch saß“, erzählte Bauer, inzwischen als Coach der Skispringerinnen erfolgreich, in Falun ebenfalls vom Erfolg verwöhnt.
Zumindest die Gesamtsaison ging im letzten Winter erfolgreich zu Ende. Hinter Frenzel belegte Johannes Rydzek im Weltcup Rang zwei, wurde in Falun dafür geehrt. Zwölf Monate später ist er am Olympiasieger vorbeigezogen. Das wird die teaminterne Konkurrenz beleben, schließlich ist auch der bisher dominierende Sachse erst 26 Jahre alt und hat folglich den Zenit seines Könnens noch längst nicht überschritten. Für den Deutschen Skiverband eine Situation wie gemalt: Zwei potenzielle Sieganwärter in jedem Rennen, dazu die Herren Edelmann, Rießle und Kircheisen und in der Hinterhand jede Menge Talente, die dem alten und dem neuen König der Nordischen Kombination den Platz an der Sonne streitig machen wollen. Sich aber eben auch mal hinter den Stars verstecken können, wenn es nicht so läuft. Denn spätestens seit Falun wissen alle: Der Hannes – der kann es!
Bei den FIS Nordischen Ski-Weltmeisterschaften in Falun gewinnen DSV-Aktive fünf Titel und drei weitere Medaillen
1974 war es, ebenfalls in Falun, da hatten die Sportler der DDR schon einmal fünf Titel bei einer nordischen WM gewonnen – diesen Rekord haben die DSV-Aktiven nun in Falun eingestellt. Mit zwei weiteren Silbermedaillen und einer bronzenen stehen acht Podestplätze zu Buche – Hut ab, das ist internationale Spitzenklasse; das zweitbeste Nationenergebnis, hinter Norwegen!
Es ist nicht auszuschließen, dass der geneigte einheimische WM-Fan nach Abschluss der Titelkämpfe auf die Abschlussbilanz geblickt hat und irritiert feststellen musste, dass die Deutschen vor Gastgeber Schweden in der Tabelle erscheinen. Wieso? Schließlich war man bei allen Entscheidungen im Langlauf vorne dabei; da waren die DSV-Aktiven nur in den Teamsprints in Schlagdistanz zur Weltspitze, und Steffi Böhler über die 30 km sehr gut.
Es ist ein Dilemma dieser Titelkämpfe. Nehmen wir die Veranstaltungen der letzten 20 Jahre mit massenhaftem Zulauf zum Maßstab, darf man mit Fug und Recht behaupten: Trondheim, Ramsau, Lahti 2001, vor allem aber Oberstdorf und, natürlich, Oslo – das waren Nordische Ski-Weltmeisterschaften! In Sapporo 2007 gab es die WM der Skispringer, gelaufen wurde am Stadtrand, in Predazzo 2003 war Skispringen dagegen etwas für Insider – vor zwei Jahren wiederum war das dann immerhin, dank der Fans aus Europa, besser.
Ausgerechnet in Falun stimmten die Fans jetzt mit den Füßen ab – und ignorierten einige Sprung- und Kombinationsentscheidungen einfach. Für die Sportler fast demütigend, wenn man sich auf den eigenen Wettkampf vorbereitet und die Fans verlassen quasi fluchtartig den Ort des Geschehens. Oder kommen erst gar nicht hin, wie beim Mixed-Team der Springer geschehen. Weil der Abmarsch der Langlaufzuschauer vom „Mördarbakken“ den Aufstieg zur Zuschauertribün des Springens unmöglich machte. Deshalb lautet eine Erkenntnis dieser Titelkämpfe: Schweden ist langlauf-verrückt. Norwegen dagegen die Heimat des Nordischen Skisports. Wird man in Falun nicht gerne lesen – war aber in den letzten zwei Wochen so zu sehen. Aber das ist nur eine Randnotiz – Norweger, Polen, Slowenen und Deutsche haben den Weg ins Sprungstadion gefunden!
Sportlich lautet die Erkenntnis der WM: Im Jahr eins nach Sotschi sind die Stars der Szene nach wie vor an Deck. Ob Northug oder Björgen, Frenzel, Freund oder Vogt, Johaug, Cologna, Lamy-Chappuis oder Schlierenzauer – dort, wo diese Namen auf der Anzeigetafel aufleuchten, ist vorne. Neu im Konzert ganz oben hat sich Johannes Rydzek etabliert, das aber ist auch keine Sensation, der Oberstdorfer war schließlich schon vor vier Jahren in Oslo dreimal Zweiter.
Der Blick auf die DSV-Bilanz fällt äußerst positiv aus, denn fünf Goldmedaillen, zwei zweite Plätze und ein dritter Rang sind das beste deutsche Abschneiden seit der Wiedervereinigung. Verantwortlich dafür zeichneten neben den Kombinierern, die in jeder der vier Entscheidungen auf dem Treppchen standen, Skispringerinnen und Springer. Severin Freund war der dominierende Athlet, Carina Vogt untermauerte mit zwei WM-Titeln ihren Olympiasieg und bewies erneut Können und Nervenstärke.
Die schönste Gold-Medaille aber gab es aus DSV-Sicht im Mannschaftswettkampf der Kombinierer. Zumindest die mit dem längsten Anlauf: Seit 1987 wartete man auf WM-Team-Gold in der Kombination – nach zig Anläufen war es in Falun endlich soweit. Und so gebührt nicht Freund, Rydzek, Vogt und Co die „schwedische Krone“, sondern Hermann Weinbuch; der kann von sich behaupten, an beiden aufeinander folgenden WM-Mannschaftstiteln der Nordischen Kombinierer direkt beteiligt gewesen zu sein: 1987 als Athlet, 2015 als Trainer.
Das Glück eines Sportlerlebens war in Falun in den Teams der deutschen Nordischen Kombinierer und Skispringer nahezu greifbar. Und es gab allen Grund, glücklich zu sein: Sie fackelten im Lugnet-Skistadion ein wahres Feuerwerk ab und sicherten sich im Skisprung drei von fünf, in der Kombination zwei von vier möglichen WM-Titeln!
Johannes Rydzek, Carina Vogt und Severin Freund feierten Doppel-Gold, holten je ein Team- und einen Einzeltitel. Freund außerdem Silber auf der HS 100, Rydzek Silber im Team-Sprint und Bronze im HS-134-Einzel. Macht acht Medaillen und genauso viele wunderschöne Momente für die DSV-Sportler! Mit drei aus vier bzw. vier Medaillen aus vier Wettbewerben sind Freund und Rydzek die erfolgreichsten DSV-Athleten der WM – bei den Damen ist es Carina Vogt mit der Maximalausbeute.
Bei den Langlaufwettbewerben ließen die Norweger keinen Zweifel daran aufkommen, dass sie die Nummer eins im Ring sind. Während Marit Björgen weiter an ihrem Denkmal meißelt, erinnern wir uns an Weltmeisterschaften, bei denen immer wieder der DSV-Langlauf Medaillen lieferte – diese Zeit wird auch wieder kommen. Mit Victoria Carl und Florian Notz konnten zwei starke Nachwuchsleute erste WM-Erfahrungen sammeln. Und mit ansehen, wie knapp Denise Herrmann und Nicole Fessel sowie Thomas Bing und Tim Tscharnke in den Team-Sprints die erhoffte Medaille verwehrt blieb.
Quelle: Viessmann Werke