Sport- und Medienexperte Hackforth zum Fußball-Wettskandal: Schuss vor den Bug im Fall Hoyzer hat nicht gesessen
Archivmeldung vom 26.11.2009
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDer größte Wettskandal in der europäischen Fußball-Geschichte zieht weiter Kreise: Betroffen sein soll sogar ein Spiel zur Champions-League-Qualifikation. Laut Prof. Josef Hackforth, Direktor des Instituts für Sportkommunikation an der TU München, wäre der Skandal vermeidbar gewesen. Doch der Staat habe zugelassen, dass sich ein illegaler Milliardenmarkt entwickelte. Nötig seien jetzt harte, möglichst EU-weite Sanktionen.
Private Sportwetten sind verboten -- und verdienen die Veranstalter Milliarden. Ist der Staat waffenlos gegen die Wettspielmafia?
Prof. Josef Hackforth: Zumindest hat der Staat in den vergangenen zwei bis vier Jahren seine Aufsichts- und Exekutivpflicht nicht wahrgenommen. Ich habe in einer Studie über Sportwetten als letzten Satz geschrieben: 'Die politisch Verantwortlichen müssen unverzüglich handeln!" Das war im Juni 2009. Doch wegen der Europa- und der Bundestagswahl wurde seitens der Politik dieses wichtige Thema zunächst auf die lange Bank geschoben.
Glücksspielbetreiber agieren von Gibraltar oder Malta aus. Macht ein nationaler Vorstoß da Sinn oder muss EU-weit vorgegangen werden?
Prof. Hackforth: Es muss vieles ineinander greifen. Eine allein nationale Initiative würde nicht ausreichen. Deshalb hat sich die EU auch schon in einer Reihe von Einzelentscheidungen dieses Problems angenommen, wartet aber darauf, dass auch von EU-Mitgliedsländern Vorstöße kommen, die ihre Politik gegen das Glücksspiel unterstützen. Eine Institution wartet auf die andere und so warten alle miteinander. Für die Politik ist dies natürlich ein schwieriges Terrain, weil mit dem Internet eine globale Kommunikationsmöglichkeit geschaffen worden ist, die sie nur ganz eingeschränkt durch nationales oder europäisches Vorgehen stören können. Es sei denn, man käme zu dem Schluss, Internetseiten von Wettanbietern -- analog zu Kinderporno-Seiten -- sperren zu lassen. Hier ist allerdings sorgfältiges Abwägen vonnöten, ansonsten erfolgt sofort der Vorwurf, es handele sich um Zensur.
Wäre die Sperrung von Internetseiten nicht ohnehin ein stumpfes Schwert, weil die Wettanbieter sofort neue Websites aufmachen würden?
Prof. Hackforth: Es ist wie bei Dopingverfahren auch in diesem Fall ungemein schwierig, präventiv vorzugehen. Aber ich sehe Chancen: Erstens sollte man beim Fußball Sportwetten auf niedrigklassigem Niveau nicht mehr zulassen -- also auf Spiele unterhalb der zweiten Liga. Zweitens sollte man die Live-Wetten untersagen. Wenn das noch nicht ausreicht, kann man die Wetten im Internet angehen. Zentraler ist noch, die bisher einseitig auf den Fußball und den Sport bezogene Diskussion auf die wichtigere Ebene der Wettanbieter zu verlagern. Derzeit haben wir die staatlichen Wettanbieter Lotto/Toto und Oddset. Sämtliche privaten Wettanbieter, alle Live-Wetten sind nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes und dem Glücksspielstaatsvertrag von 2007 eigentlich nicht zulässig. Dennoch hat sich dieser Milliardenmarkt abseits von der Politik und abseits vom Recht entwickelt.
Verblüffend, angesichts der Erschütterungen durch den Wettskandal von 2005. Warum wurde aus der Hoyzer-Affäre nichts gelernt?
Prof. Hackforth: Zum einen mahlen Mühlen langsam. Zum anderen glaubten damals viele, dass die Verurteilung der Drahtzieher und des ehemaligen Schiedsrichters ein Zeichen gesetzt hätte, dass Nachahmungstäter abschrecken würde. Wie wir heute wissen, haben die damaligen Drahtzieher auch im aktuellen Fall mitgemischt. Hinzu kamen neue Mittelsmänner aus Osteuropa, der Türkei und Nordrhein-Westfalen. Also hat der Schuss vor den Bug nicht gesessen. Man muss nun zu anderen Sanktionen greifen, letztlich auch zu härteren Strafen.
Der Schuss vor den Bug verpuffte auch bei den Nutzern: Der Hoyzer-Skandal löste sogar einen regelrechten Wettboom aus, teilweise verzehnfachten sich die Umsätze. Müssen die Medien ihre Sportberichterstattung überdenken?
Prof. Hackforth: Ja, sie sollten zwei Dinge überdenken. Zum ersten bieten viele Medien, vor allem das Fernsehen, Anreize, zu wetten und zu spielen, um zu gewinnen. Insgesamt wird der Spiel- und Wettsucht besonders von Jugendlichen massiv Vorschub geleistet. Zweitens finde ich bedenklich, dass die Medien gerade in den vergangenen Tagen quasi zu Ermittlern geworden sind. Während die Staatsanwaltschaft Bochum leiser geworden ist, nachdem sie zu Recht dafür kritisiert wurde, dass sie vorpreschte ohne konkret zu werden, werden die Medien umso lauter. Sie übernehmen quasi die Ermittlungen und verbreiten Hypothesen. Hier wünschte ich mir ein bisschen mehr Gelassenheit und Ruhe an der Medienfront.
Welche Sportarten sind neben Fußball besonders anfällig für Wettbetrug?
Prof. Hackforth: Eigentlich alle, die weltweites Interesse hervorrufen -- zum Beispiel Boxen. Betroffen sind aber nicht so sehr die Veranstaltungen im Rampenlicht wie Fußball-Weltmeisterschaften oder Olympische Spiele. Weil dort die Aufmerksamkeit vielfach erhöht ist und die Sicherungssysteme beser greifen. Je weniger relevant aber die Sportereignisse sind, desto eher gibt es Manipulationsmöglichkeiten.
Ist der Wettskandal Indiz für einen allgemeinen Werteverfall?
Prof. Hackforth: Das muss man auf einer abstrakten Ebene sicherlich diskutieren. Nach dem Zweiten Weltkrieg war die protestantische Ethik dominant, die Werte wie Disziplin, Fleiß und Sozialverhalten hochhielt. Ende der 60er, Anfang der 70er-Jahre verschoben sich dies in Richtung Hedonismus, also lustbetonte Werte, Selbstverwirklichung und Emanzipation. Diese Spaßgesellschaft wurde mittlerweile von der Werte-Aktualisierung abgelöst. Das heißt, je nach Lebensalter und -situation werden die Werte unterschiedlich gemischt und gewichtet. Sieht man sich aber in der Formel-1 den Briatore-Skandal an, in der Fußball-WM-Qualifikation Thierry Henry, dessen zweifaches Handspiel Irland die WM nahm, sieht man sich darüber hinaus die Dopingskandale an, aktuell den Fall Claudia Pechstein im Eisschnellauf, dann zeigen diese Fälle, dass Lügen und Betrügen an der Tagesordnung sind. Was Bank-Manager und Politiker an Fehlverhalten zeigen, findet sich aber auch bei uns: Von der Einkommenssteuererklärung bis hin zum Alltag im Beruf gehört dieses Verhalten mittlerweile leider zur Norm. Hier wäre eine Rückbesinnung auf traditionelle Werte angezeigt.
Auf eine solche Rückbesinnung hofften viele nach dem Freitod von Robert Enke. Ist diese Hoffnung schon geplatzt?
Prof. Hackforth: Die Nation hielt kurz inne. Die Botschaft von DFB-Chef Theo Zwanziger auf der Trauerfeier für Robert Enke, der für mehr Menschlichkeit im Leistungssport warb, kam durchaus an. Nur leider wurde diese nachdenkliche Phase von den tagesaktuellen Ermittlungen um den Wettskandal überrollt. Anderenfalls wäre die Chance größer gewesen, die angestoßene Diskussion fortzuführen. Mitte Januar will der DFB dies auf einem Kongress fortführen, bei dem auch Werteverfall ein Thema sein soll.
Schleswig-Holstein will den Glücksspielstaatsvertrag 2011 kippen, um auch an Private Konzessionen zu verteilen. Verkommt Fußball dann zum Glücksspiel?
Prof. Hackforth: Nach unseren Erkenntnissen ist das staatliche Glücksspielmonopol zumindest der Versuch, kriminelle Energien und Manipulationsversuche zurückzudrängen. Und dieser Versuch hat bisher ganz gut funktioniert. Wird dieser Markt für private Wettanbieter geöffnet, sollte man zumindest Vorsorge trefffen, dass nur in Deutschland ansässige Wettbüros zum Zuge kommen können. Damit in Deutschland Steuern bezahlt und Sozialabgaben für den Sport abgeführt werden. Darüber hinaus müssten die Wettanbieter aus dem Ausland auf dem deutschen Markt verboten werden. Wenn man den Markt ohne diese Vorkehrungen komplett liberalisiert, sehe ich große Gefahren für weitere Betrugsversuche.
Quelle: Landeszeitung Lüneburg