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Glücksspiel Fußball?

Archivmeldung vom 05.08.2006

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 05.08.2006 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Quelle: Prof. Dr. Martin Lames
Quelle: Prof. Dr. Martin Lames

Im Rahmen ihres Forschungsprojekts über den Zufallsanteil beim Zustandekommen von Toren im Fußball analysierten Prof. Dr. Martin Lames und sein Mitarbeiter Alex Rössling am Institut für Sportwissenschaft der Universität Augsburg die 146 Tore der WM 2006. Das Ergebnis: Bei 61 Toren, also in 41,8 Prozent aller Tore, war der Zufall beteiligt.

"Das Ergebnis fügt sich in etwa in die bisher gewonnenen Erkenntnisse ein, die Gesamtrate liegt für die 2306 Tore unserer Datenbank bei 44,4 Prozent", erläutert Lames: "Der Zufall war zwar wie üblich kräftig am Werk, bescherte uns aber keine wirklich spektakulären Tore, über die man noch jahrelang spricht. Er arbeitete also ganz deutsch-solide."

Die Augsburger Wissenschaftler haben ein Beobachtungssystem entwickelt, mit dem das nicht geplante oder nicht planbare Zustandekommen von Toren ermittelt wird. Sechs Merkmale sollen dafür stehen: abgefälschte Bälle, Abpraller, Tore mit Torwartberührung, Abpraller von Latte oder Pfosten, große Entfernung und Beteiligung der Abwehr. Deren Auftreten wurde bei allen 146 Toren der WM (ohne Elfmeter in den Elfmeterschießen) registriert. "Alle haben gesehen, dass das herrliche erste Tor bei der WM durch Philipp Lahm vom Pfosten ins Tor prallte, was alleine schon recht glücklich war, aber dass der Ball zum Torschützen ein gegnerischer Fehlpass war, belegt zusätzlich, dass es sich um ein so nicht geplantes und auch nicht planbares Tor handelte".

"Gut gefallen hat mir auch das dritte deutsche Tor in diesem Spiel", analysiert Rössling, "Die Flanke von Lahm wurde von einem Abwehrspieler gerade so mit dem Kopf angelupft, dass durch diese missglückte Abwehraktion Klose zu einem Kopfball kam, der vom Torwart abprallte und dann von Klose verwandelt wurde. Das spricht für die Flexibilität des WM-Torschützenkönigs und zeichnet große Torjäger aus."

Das Projekt läuft im Rahmen des Forschungsschwerpunktes Sportspieltheorie und -modellierung, in dem es um die Leistungsstruktur in Sportspielen wie Fußball geht. "Wir beschäftigen uns mit der Frage, wie verbreitet das Phänomen ist und wie es sich über die Zeit entwickelt", sagt Lames, der im Augsburger Sportinstitut die Bewegungs- und Trainingswissenschaft vertritt. Die meisten der analysierten Tore stammen aus den europäischen Erstligen, die seit 1994 beobachtet werden. Zusätzlich wurden international die EM 2004 und jetzt die WM 2006 herangezogen. "Die Stichprobe ist sicher sehr aussagekräftig, und es wird interessant sein zu beobachten, wie die Entwicklung weitergeht."

Zwei aktuelle Trends sind laut Lames und Rössling offensichtlich: Einmal gehen immer weniger Tore auf die unmittelbare Mithilfe der Abwehrreihen zurück; es fallen also z. B. weniger Eigentore, und auch die Fälle, in denen der Schütze den Ball von der Abwehr erhält, sind rückläufig. "Dies", meint Lames,"liegt möglicherweise an der zunehmenden Effizienz der Abwehrsysteme, die ja insgesamt den Spielen der WM ihren Stempel aufgedrückt hat."

Ein weiteres Phänomen beklagen die Torhüter schon länger: Die Tatsache, dass die WM 2006 durch einen sehr hohen Anteil an erfolgreichen Fernschüssen (16,4 Prozent) und den bisher geringsten Anteil an Torwartberührungen (4,8 Prozent) geprägt war, wird überwiegend auf "Teamgeist" zurückgeführt, den WM-Ball, der durch seine Flatter-Eigenschaften den Torhütern das Leben schwer macht. "Nur so ist etwa Schweinsteigers berührungsloses Tor zum 1:0 über den Scheitel des portugiesischen Torwarts hinweg zu erklären", erläutert Rössling und meint: "Man sollte sich allerdings fragen, ob die Richtung stimmt, wenn durch die Entwicklung dieser 'Geschosse' das Gleichgewicht immer mehr zugunsten der Stürmer verschoben wird. Soll einfaches 'Draufhalten' - verbunden mit der Hoffnung auf den Flattereffekt - wirklich das fußballerische Erfolgsmittel der Zukunft werden?"

Quelle: Pressemitteilung Informationsdienst Wissenschaft e.V.

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