BDI kritisiert Flüchtlingspolitik der Großen Koalition
Archivmeldung vom 21.11.2015
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 21.11.2015 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDer Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der deutschen Industrie (BDI), Markus Kerber, hat die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung kritisiert. In Deutschland habe sich kaum jemand für die Probleme Italiens und Griechenlands mit den Flüchtlingen interessiert, sagte Kerber im Interview mit der "Welt" mit Blick auf die Vergangenheit. Politik bedeute aber, die Bevölkerung auf absehbare Entwicklungen vorzubereiten und Lösungen anzubieten. "Das hat die Politik versäumt."
Kerber forderte von der Bundesregierung, den Flüchtlingen möglichst außerhalb der Bundesrepublik zu helfen. "Die Unterbringung und Versorgung eines Flüchtlings in einer Turnhalle in Deutschland kostet, so höre ich, pro Monat etwa 1.000 Euro. Die Unterbringung mit Hilfe des UN-Flüchtlingswerks nahe der Heimat kostet dagegen vielleicht 40 oder 50 Dollar." Da sei es naheliegend, dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR zu helfen, in der Region die Flüchtlinge so unterzubringen, dass ihr Schutz auch dort gewährleistet sei. Mit den vielen Milliarden Euro, die Deutschland in diesem Jahr für Flüchtlinge aufwende, könne das UNHCR für viel mehr Menschen nahe ihrer Heimat, in die viele sicherlich wieder zurückkehren wollten, mehr bewirken.
Der BDI-Hauptgeschäftsführer kritisierte zudem, dass man die Bevölkerung in Deutschland schlecht auf die zukünftigen Herausforderungen vorbereite. "Können wir sicher sein, dass wir im Moment in einer Krise leben? Oder sind wir in einem neuen Normalzustand angekommen", fragte er. Deutschland habe jetzt die Probleme, die der größte Teil der Menschheit seit Jahrzehnten tagtäglich habe. "Und was jetzt normal ist, dass ist nicht die Schuld der Flüchtlinge."
Im Interview mit der "Welt" forderte Kerber, dass der Westen mehr für die von Krisen geschüttelten Herkunftsstaaten tun müsse. "Die Zeiten sind vorbei, in denen unsere westlichen Wohlstandsgesellschaften verdrängen konnten, dass es anderen Leuten schlechter geht - viel, viel schlechter als uns. Wenn wir unseren Wohlstand wahren wollen, m! üssen wi r dafür sorgen, dass Wohlstand auch woanders wächst." Sonst bliebe der Westen das vermeintliche Rettungsboot. Der Bundesregierung empfahl er, angesichts der Flüchtlingskrise im Umgang mit den europäischen Partnern nachgiebiger zu werden. Solidarität sei keine Einbahnstraße. "Flapsig formuliert hat jeder Staat in der EU mal seinen Bail-Out nötig. Wir brauchen im Moment die anderen Europäer zur Unterstützung in der Flüchtlingskrise", sagte Kerber. "Es scheint mir klug zu sein, bei anderen Diskussionen in Europa geschmeidiger zu sein als bisher." Sonst werde man hier wenig Hilfe erfahren.
Gleichzeitig lehnte er es ab, die vielen Flüchtlinge, die bereits im Land sind, im Niedriglohnsektor einzusetzen. Kerber glaube nicht, dass die Sozialpartner in Deutschland damit einverstanden wären, neue sehr niedrig bezahlte Arbeitsplätze zu schaffen. "Wenn das die Lösung sein soll, müssen wir politisch darüber streiten. Denn dann gibt es einen Interessenkonflikt zwischen den Zugewanderten und den bereits hier wohnenden Menschen."
Quelle: dts Nachrichtenagentur