Virologe Stöhr warnt vor Omikron-Alarmismus
Archivmeldung vom 02.12.2021
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 02.12.2021 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Sanjo BabićVirologe Klaus Stöhr hat vor "Omikron-Alarmismus" gewarnt: Die neue Corona-Mutante sei "zu beachten", doch sei völlig klar, dass neue Varianten auftauchten. "Aber genau wie bei Alpha und Delta wird es kein Turbovirus sein und auch keine neue Pandemie verursachen", sagte der Pandemie-Fachmann im Gespräch mit der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (NOZ).
Bis gegen März werde ohnehin keine signifikante Menge an aktualisiertem Impfstoff produziert werden können, falls das notwendig sein würde.
Der frühere Direktor bei der Weltgesundheitsorganisation WHO warnte auch vor voreiligen Schlüssen aus der erstmals wieder sinkenden Corona-Inzidenz in Deutschland: Die Verwendung eines bundesweiten Mittelwertes sei "ein Anfängerfehler der Epidemiologie", sagte Stöhr. "Die große regionale Diversität der Pandemiesituation sollte nun aber auch dem Letzten auffallen." In Deutschland brauche es wie überall in großen Territorien eine lokal spezifische Betrachtung bei der Risikoeinschätzung genau wie bei der Bekämpfung.
Die Corona-Lage werde sich ganz unterschiedlich entwickeln, so die Prognose des Epidemiologen: "In den Hotspot-Regierungsbezirken mit dünner Impfdecke sehen wir wie vorhergesagt bald eine leichte Entschärfung der Situation: Die Fallzahlen folgen einem sigmoidalen Verlauf. Nach rasantem Anstieg flacht sich die Kurve ab, weil in der Region nicht mehr 'genügend' empfängliche Personen 'erreichbar' sind." Das sei aber kein Grund zur Entwarnung: "Die Inzidenz und Hospitalisierung werden im Winter auf hohem Niveau verbleiben, weil Kontakte häufig und Mobilität hoch sind. Außerdem brauchen die Impfkampagne und danach Immunität Zeit, um Wirkung zu entfalten."
In den anderen Regionen werde sich der Anstieg "auf niedrigerem Niveau noch ein bis zwei Wochen fortsetzen und dann etwas verlangsamen", erwartet Stöhr. Auch dort aber bleibe der Infektionsdruck durch die Wintersituation weiter "sehr hoch". Kurzfristig könnten die Kontaktbeschränkungen zur Abmilderung beitragen. Mittelfristig, bis Februar oder März, würden die gegenwärtigen Booster- und Erstimpfungen neben den Kontaktbeschränkungen über den weiteren Verlauf entscheiden. "Eine Impfpflicht ab diesem Zeitpunkt wäre deshalb für mich nicht geeignet, das aktuelle Problem effizient zu lösen", gibt er in Bezug auf die Pläne von Ampel-Regierung und Bund und Ländern zu bedenken. "Außerdem sollte man sich beim Impfen, womöglich auch mit einem sehr starken Anreiz, besser auf die Menschen mit der hohen Krankheitslast konzentrieren, bevor man auf die Gesamtbevölkerung abhebt."
Dass die Pandemie - etwa durch Masken in Schulen - auch im Sommer eingedämmt worden sei, räche sich jetzt, so der Forscher weiter: "Man hat durch sehr konservative Maßnahmen sehr viele nicht vermeidbare natürliche Immunisierungen aus dem Sommer in den Winter verschoben. Dieser Nachholeffekt fällt uns jetzt auf die Füße und unterscheidet Deutschland etwa von Portugal, Spanien, Schweden oder der Schweiz." In Deutschland seien wahrscheinlich viel weniger Menschen natürlich immun.
Quelle: Neue Osnabrücker Zeitung (ots)