FDP-Außenpolitiker Graf Lambsdorff: "Wehrpflicht-Debatte ist eine Gespensterdebatte"
Archivmeldung vom 22.04.2023
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Freigeschaltet durch Sanjo BabićDer FDP-Außenpolitiker Alexander Graf Lambsdorff lehnt trotz des Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine eine Wehrpflicht in Deutschland ab. "Wir haben jedes Jahr ungefähr 900.000 Menschen, die ihren 18. Geburtstag feiern. Wir haben nach dem Zwei-plus-Vier-Vertrag eine maximale Größe der Bundeswehr von 370.000", erklärt der FDP-Politiker im phoenix-Interview am Rande des FDP-Parteitags in Berlin.
"Wir brauchen, wenn wir das maximal ausschöpfen wollten, immer noch nicht einmal die Hälfte eines Jahrgangs, der 18 Jahre alt wird. Wehrgerechtigkeit ist überhaupt nicht mehr abbildbar in Deutschland. Die Wehrpflicht-Debatte ist eine Gespensterdebatte, zumal wir eine hochprofessionalisierte, hochtechnisierte Armee haben."
Zugleich spricht sich Lambsdorff dafür aus, mehr Augenmerk auf Reservist:innen zu legen. "Wir brauchen längere Dienende und nicht Leute, die für neun oder zwölf Monate durch die Kasernen geschleust werden", sagt der FDP-Politiker. "Reservisten haben diese soldatischen Kenntnisse für die Truppe." Diese für die Truppe aktiv zu halten und das Angebot für sie attraktiver zu machen, sei wichtig.
Trotz seines Wechsels als Botschafter nach Moskau und dem Wechsel der Verteidigungsexpertin Agnes Strack-Zimmermann in die EU-Politik sieht Lambsdorff keinen Mangel in der künftigen außenpolitischen Expertise der FDP. "Wir haben mit Johannes Vogel einen der führenden China-Experten im Bundestag. Wir haben mit Bijan Djir-Sarai einen Generalsekretär, der zuvor außenpolitischer Sprecher der Fraktion war. Das heißt, wir haben außenpolitisches Talent. Im Herzen der Partei ist die Außenpolitik nach wie vor verankert."
Der diplomatischen Aufgabe in Moskau sieht Lambsdorff angesichts der schwierigen Lage entschlossen entgegen. "Ich kehre zurück in meinen alten Beruf in einer schwierigen Situation und in ein Land, mit dem wir kommunizieren müssen, egal wie schwierig die Lage ist", sagt Lambsdorff. "Der Beruf des Diplomaten ist es, Kanäle offen zu halten. Das sehe ich als meine Aufgabe an." Die Kritik, dass bislang diplomatisch zu wenig im Austausch mit Russland angesichts des Krieges unternommen worden sei, weist der Liberale zurück. "Ich halte es für ein Gerücht, dass es keine Diplomatie gebe. Es gibt Diplomatie, es gibt diesen professionellen Kontakt, es gibt hin und wieder auch Telefonate des Bundeskanzlers mit dem russischen Präsidenten." Zurzeit sei aber auf der russischen Seite keine Bereitschaft zu erkennen, die Kriegshandlungen einzustellen. "Wir müssen abwarten, was militärisch passiert und diplomatisch Vorbereitungen treffen für eine Situation, in der es wieder Frieden gibt."
Quelle: PHOENIX (ots)