Ex-Präsident des NRW-Verfassungsgerichtshofs macht Karlsruhe mitverantwortlich für Erstarken des Rechtextremismus
Archivmeldung vom 25.06.2019
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 25.06.2019 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch André OttDer frühere Präsident des Verfassungsgerichtshofs für Nordrhein-Westfalen, Michael Bertrams, macht das Bundesverfassungsgericht mitverantwortlich für das Erstarken rechtsextremer Kräfte in Deutschland.
"Der liberale Umgang des Bundesverfassungsgerichts mit der Meinungsfreiheit von Neonazis hat meines Erachtens einen hohen Anteil an der zunehmenden Unverfrorenheit ihres Auftretens und daran, dass diese Neonazis bei uns ein bedrohliches Klima geschaffen haben", schreibt der Jurist im "Kölner Stadt-Anzeiger". Er wandte sich gegen Versuche, einzelnen AfD-Funktionären und anderen rechtsextremen Hetzern unter Berufung auf Artikel 18 des Grundgesetzes das Grundrecht auf Ausübung der Meinungsfreiheit zu entziehen. Dies hatte zuerst Ex-Generalsekretär Peter Tauber ins Gespräch gebracht. Innenminister Horst Seehofer griff den Vorschlag auf.
Die Äußerungen bestimmter AfD-Mitglieder seien zwar "widerwärtig und nur schwer erträglich", unterstrich Bertrams. Das Bundesverfassungsgericht stelle sie jedoch - wie seine Rechtsprechung zur Demonstrationsfreiheit für Neonazis zeige - als "politisch missliebig" unter den Schutz der in Artikel 5 gewährleisteten Meinungsfreiheit, solange entsprechende Äußerungen die Grenze zur Strafbarkeit - etwa zur Volksverhetzung - nicht überschritten. "Es ist von daher ausgeschlossen, verfassungsrechtlich legitimierte Meinungsäußerungen allein schon wegen ihrer Anstößigkeit der Ebene einer aggressiv kämpferischen Haltung zuzuordnen und darin gar eine Gefährdung unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu sehen."
Die Karlsruher Rechtsprechung könne "nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich bei den von Tauber und Seehofer in den Blick genommenen AfD-Politikern um geistige Brandstifter handelt. Fraglich bleibt, wie ihnen beizukommen ist. Eine Anwendung von Artikel 18 wäre nach Bertrams' Ansicht "nicht zielführend". Es würde den AfD-Funktionären den Einwand erlauben, man wolle sie mundtot machen.
Bertrams hatte als Präsident des Oberverwaltungsgerichts in Münster mehrfach Versammlungsverbote für Aufmärsche von Neonazis verhängt, die später von Karlsruhe mit Rücksicht auf die Meinungs- und Demonstrationsfreiheit aufgehoben wurden
Quelle: Kölner Stadt-Anzeiger (ots)