Zentralrat der Juden fordert Überprüfung aller pädagogischen Programme gegen Antisemitismus
Archivmeldung vom 10.10.2019
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Freigeschaltet durch André OttDer Vizepräsident des Zentralrats der Juden, Abraham Lehrer, fordert nach dem judenfeindlichen Anschlag von Halle eine Überprüfung sämtlicher pädagogischen Konzepte zur Bekämpfung antisemitischen, rechtsradikalen Gedankenguts.
"Alle Bildungskonzepte, die wir seit 1945 entwickelt und praktiziert haben, müssen auf den Prüfstand: War das richtig? Warum hat es nicht zum gewünschten Erfolg geführt? Was müssen wir ändern? Was braucht es zusätzlich? Das müssen wir mit Pädagogen und Sozialwissenschaftlern genau besprechen", sagte Lehrer dem "Kölner Stadt-Anzeiger".
Der Anschlag vom Mittwoch könne nur eine Konsequenz haben: "Wir müssen uns der Tatsache stellen, dass wir in diesem Land ein Problem mit Rechtsradikalismus und Antisemitismus haben. Sonst werden wir es nicht bekämpfen oder gar besiegen können. Und 'wir' - das sind die Politik, die Ermittlungsbehörden, Organisationen der Zivilgesellschaft und - ja - auch jeder einzelne Bürger."
Der Vorstand der Synagogengemeinde Köln zeigte sich dankbar für "bewundernswerte Zeichen der Solidarität", die die jüdische Gemeinschaft aus der Gesellschaft erfahre. "Es war nach dem Gottesdienst zum Fest Jom Kippur am Mittwoch bewegend zu sehen, dass sich Menschen mit und ohne Kerzen vor der Synagoge versammelt hatten." Aber das reiche nicht, fügte Lehrer hinzu. "Es geht jetzt um möglichst konkrete Schritte, rechtsradikales Gedankengut nicht in die Köpfe und Herzen der Menschen gelangen zu lassen und potenzielle Gewalttäter wirksam in Schach zu halten."
Ihm komme es nicht auf "einen Schnellschuss mit verschärften Strafandrohungen oder solchen Dingen" an, betonte Lehrer. Allerdings müsse angesichts von Versäumnissen beim Schutz der Synagoge in Halle auch an eine personelle Aufstockung der Polizei sowie des Staats- und Verfassungsschutzes gedacht werden. "Wenn ich höre, dass der Täter sein Hass-Manifest vor der Tat ins Netz gestellt hat, dann frage ich mich schon, ob man das nicht hätte aufspüren und des Verfassers habhaft werden können, bevor er zuschlagen konnte."
Der 65-Jährige zeigte sich desillusioniert im Hinblick auf die Möglichkeit eines jüdischen Lebens in Deutschland ohne Polizeischutz und ständige Sicherheitskontrollen. "Ich hatte diese Hoffnung einmal für meine Kinder. Sie hat sich nicht erfüllt. Heute habe ich diese Hoffnung für meine Enkel. Aber ich müsste lügen, wenn ich sagte, dass ich wirklich daran glaube."
Quelle: Kölner Stadt-Anzeiger (ots)