«Abteilung Attacke» kommt aus der Deckung
Archivmeldung vom 24.02.2009
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Freigeschaltet durch Oliver RandakKlappern gehört zum Geschäft: Jungpolitiker greifen gerne zum Stilmittel der Provokation, um sich im Chor der Etablierten erfolgreich Gehör zu verschaffen. Das schadet weder dem Ansehen, noch der Karriere. Bestes Beispiel: Philipp Mißfelder.
Provokation als Programm: Es ist erst wenige Monate her, als Philipp Mißfelder beim Landesparteitag der Jungen Union (JU) in Mecklenburg-Vorpommern auftrat. Der JU-Bundesvorsitzende war mit einer klaren Ansage in das Hotel in Waren (Müritz) gekommen. Vor zahlreichen Delegierten trat der 29-Jährige im Oktober 2008 ans Rednerpult, um den CDU-Nachwuchs auf den kommenden Bundestagswahlkampf einzuschwören. Große Koalition hin oder her - es sei an der Zeit, so Mißfelder, jugendpolitische Ziele wieder lauter zu vertreten. Auch gegen die eigene Partei. «Die Abteilung Attacke ist in Berlin derzeit unbesetzt. Lasst uns das übernehmen», rief der Bundesvorsitzende unter dem Beifall der Mitglieder in den Saal.
Ungewöhnlich ist dieses politische Selbstverständnis nicht. Ob bei der Jungen Union, den Jungen Sozialdemokraten (Jusos) oder der Linksjugend (Solid) – die Provokation war schon immer ein beliebtes (und oftmals auch wirkungsvolles) Instrument bei den Jugendorganisationen der etablierten Parteien, um sich im politischen Tagesgeschäft mit eigenen Inhalten durchzusetzen. «Die etablierte Politik kann mitunter langweilig sein, da wirkt eine Provokation durchaus auch mal erfrischend», räumt Solid-Sprecher Haimo Stiemer auf news.de-Anfrage ein. Und auch Juso-Vorsitzende Franziska Drohsel sagt: «Im Zweifel kann eine gezielte Provokation schon helfen, um eigene Themen nach vorne zu bringen.»
Trotzdem, da sind sich die beiden einig, betritt man damit auch einen schmalen Grad. Im aktuellen Fall Mißfelder sei dieser jedenfalls überschritten. Sticheleien und Rebellion gegen die eigene Partei? Ja. Aber eine Provokation auf Kosten von Arbeitslosen? «Das darf es nicht geben», sagen Drohsel und Stiemer einhellig.
Mißfelder hatte mit Blick auf die Anhebung des Hartz-IV-Kinderregelsatzes zum 1. Juli gesagt, die Erhöhung sei ein «Anschub für die Tabak- und Spirituosenindustrie». Statt Bargeld, so Mißfelder, solle man arbeitslosen Eltern lieber Gutscheine für die Schulspeisung oder für Nachhilfeunterricht gewähren, damit die Hilfen auch wirklich bei den bedürftigen Kindern ankommen würden. Auch wenn das Problem im Kern vielleicht richtig erkannt sei, und man die Diskussion über dieses Thema unbedingt führen müsse, so werde jedoch speziell in diesem Fall das gesellschaftliche Klima extrem vergiftet. «Ich halte das für gefährlich» sagte Stiemer.
Allerdings ist es bei Mißfelder nicht das erste Mal, dass er sich die Finger an einem heißen politischen Thema verbrennt. Im Jahr 2003 brachte sich der JU-Vorsitzende schlagartig ins Gespräch, als er in einem Interview sagte: «Ich halte nichts davon, wenn 85-Jährige noch künstliche Hüftgelenke auf Kosten der Solidargemeinschaft bekommen.» Die Bemerkung versetzte die halbe Republik in helle Aufregung, geschadet hat es dem Jungpolitiker aus Recklinghausen indes nicht. Ähnlich wie heute blieb Mißfelder standhaft und ruderte nicht zurück – eine Eigenschaft, die angeblich selbst Kanzlerin Angela Merkel und NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers an dem Enfant Terrible der deutschen Politik schätzen gelernt haben sollen. Genauso wie alle anderen Vorsitzenden der Jugendorganisationen rückte auch Mißfelder erwartungsgemäß in den Bundestag und in den Bundesparteivorstand auf.
Das Gedächtnis der Politiker scheint bei Skandalen nicht besonders deutlich ausgeprägt zu sein. Entweder, der Sturm der Entrüstung fegt einen gleich von der Karriereleiter. Oder, man hält durch und erntet später den Aufstieg. Auch frühere Kritiker scheinen Mißfelder die Hüft-Aussage nicht mehr übel zu nehmen. Wie die Senioren-Union heute in Berlin mitteilte, stehe man «weiterhin voll hinter einer erneuten Bundestagskandidatur des 29-Jährigen». Der für Mißfelder vorgesehene Platz auf der NRW-Landesliste werde «von uns nicht angetastet», hieß es.
Der Bundesvorsitzende der Senioren-Union, Otto Wulff, erklärte, dass «die von Philipp Mißfelder angestoßene Debatte um eine zielgenaue Unterstützung von Kindern von Hartz-IV-Empfängern richtig, lebens- und bürgernah» sei. Eine sachliche Diskussion über den Umgang mit «Hartz IV» und den Kinderregelsätzen dürfe aber nicht dazu führen, «dass den Empfängern grundsätzlich unterstellt wird, sie würden die zusätzlichen Geldbeträge nicht für ihre Kinder, sondern für andere Zwecke wie unter anderem Tabak und Alkohol verwenden».
Ohnehin scheinen die Altvorderen in den Parteien ihren Nachwuchspolitikern die Sticheleien nicht allzu übel zu nehmen. Provokationen seien durchaus ein erlaubtes Mittel, sagt Franziska Drohsel. Das alleine reiche aber nicht, um sich in den Parteien durchzusetzen. «Wenn man wirklich ernst genommen werden will, muss man zudem Macht organisieren», sagt die Juso-Vorsitzende. Und das funktioniere von Fall zu Fall anders. Manchmal sei es besser, leise hinter den Kulissen nach Bündnispartnern zu suchen. «Aber provozierendes Auftreten kann mitunter auch Zustimmung zu Politikinhalten bringen», weiß Drohsel aus Erfahrung.
Auch andere Politiker haben in der Vergangenheit bereits sozial Schwache als Trinker und Raucher stigmatisiert. Im Juli 2008 warnte Bundesfinanzminister Peer Streinbrück (SPD), dass eine Erhöhung des Kindergelds wenig positive Effekte für den Nachwuchs haben dürfte: «Eine Erhöhung um acht oder zehn Euro hat den Gegenwert von zwei Schachteln Zigaretten oder zwei großen Pils. Ich fürchte, das Geld kommt bei den Kindern in vielen Fällen nicht an.» Mißfelder steht mit seiner Aussage also in einer gewissen Tradition. Und auch Steinbrück haben die Wellen um seine mar