Tacheles: Jobcenter/Sozialämter haben die Kosten für einen Schulcomputer zu übernehmen
Archivmeldung vom 25.10.2018
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 25.10.2018 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch André OttWegen einer eklatanten Unterdeckung bei den Bildungsbedarfen in den Hartz-IV-Regelsätzen haben erste Sozialgerichte Jobcenter zur Übernahme der Kosten für einen PC/Laptop/Tablet-Computer oder auch für Schulbücher verurteilt. Der Erwerbslosenverein Tacheles ruft dazu auf, solche Schulbedarfe zu beantragen.
Schaut man sich die in den Hartz-IV- bzw. Sozialhilferegelsätzen enthaltenen Beträge für Bildung an, so kann man nur mit dem Kopf schütteln. Je nach Alter sollen zwischen 23 und 72 Cent monatlich den Bildungsbedarf für Kinder und Jugendliche decken. Das Bundesverfassungsgericht hatte die Bundesregierung bereits 2014 dazu aufgefordert, die in den Regelsätzen enthaltenen Bedarfe für Bildung aufzustocken – passiert ist seitdem nichts.
Nun gibt es Hoffnung am Horizont: Verschiedene Sozialgerichte haben jüngst diverse Jobcenter verurteilt, die Kosten für Schulbücher oder die Anschaffungskosten eines internetfähigen Schulcomputers inklusive Zubehör zu übernehmen. Die Gerichte wenden dabei eine besondere Auslegungsregeln an, weil es im Gesetz keine unmittelbare Anspruchsgrundlage für die Kostenübernahme gibt: Die Bildungsbedarfe fallen zwar nur einmalig an, erfüllen aber einen laufenden Bedarf und sind deshalb zur schulischen Teilhabe von Schülerinnen und Schülern sowie zur Sicherstellung ihres menschenwürdigen Existenzminimums als laufender Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 Sozialgesetzbuch II zu erbringen. Dieser Mehrbedarf ist immer als Zuschuss zu gewähren.
Das Sozialgericht Gotha begründete seine Entscheidung damit, dass ein PC/Laptop für Schüler/innen notwendig sei, um sachgerecht in ordnungsgemäßer Weise eine Schule zu besuchen ohne von vorneherein „abgehängt“ zu sein. Das Gericht führt weiter aus: „Jeder, der ein Kind in einem schulfähigen Alter hat […] müsste eigentlich wissen, dass ohne internetfähigen PC/Laptop die Befolgung organisatorischer Vorgaben der Schule zu großen Teilen nicht mehr möglich ist. Das fängt bei der Essensbestellung bei den einschlägigen Anbietern an, geht weiter über oftmals täglich aktualisierte Vertretungspläne der Schule und weiter über Referate bzw. Seminararbeiten, deren Fassung am Computer als selbstverständlich vorausgesetzt wird. […] Es ist offensichtlich und selbstverständlich, dass es hier keiner gesonderten Darlegung bedarf.“ (SG Gotha v. 17.08.2018 - S 26 AS 3971/17)
Der Erwerbslosenverein Tacheles begrüßt diese und gleichlautende Entscheidungen der Sozialgerichte, zuletzt vom SG Stade. Die Übernahme der Kosten für einmalige Bildungs- und Schulbedarfe ist ein notwendiger und überfälliger Schritt, um der Benachteiligung von Kindern und Jugendlichen aus einkommensbenachteiligten Familien entgegenzusteuern.
Der Erwerbslosenverein Tacheles ruft daher Eltern von Schulkindern ab der Sekundarstufe I dazu auf, die Übernahme dieser Kosten bei Jobcentern und Sozialämtern zu beantragen. Dazu gehören Schulbücher und – soweit kein geeignetes Gerät bereits im Haushalt vorhanden ist – internetfähige PCs, Laptops oder Tablet-Computer. Zudem kommt auch die Übernahme der Kosten von sonstigen einmaligen Anschaffungen wie Übungsbücher, andere von der Schule geforderte spezielle Arbeitsmaterialien oder Kopierkosten in Betracht.
Entsprechende Musteranträge sind auf der Homepage des Vereins https://tacheles-sozialhilfe.de/startseite/aktuelles/d/n/2426/ zu finden.
„Wir gehen allerdings davon aus, dass solche Anträge zunächst mit Verweis auf die Leistungen für den persönlichen Schulbedarf in Höhe von 100,- € pro Jahr abgelehnt oder allenfalls als Darlehen bewilligt werden“ , schätzt Harald Thomé vom Erwerbslosenverein Tacheles die Lage ein. „Hier gilt es gegen die Entscheidung Widerspruch einzulegen und im Falle einer erneuten Ablehnung zu klagen, sowie im Falle akuter Bedarfe in die Eilklage zu gehen.“ Um ihr Recht durchzusetzen, sollten sich Betroffene an örtliche Beratungsstellen bzw. Wohlfahrts- und Sozialverbände sowie im Sozialrecht versierte Anwälte wenden. Diese finden Sie über www.my-sozialberatung.de oder über Beratungsangebote vor Ort. Auf der angegebenen Internetseite finden Sie die dazugehörigen Urteile zum Download.
Quelle: Harald Thomé / Tacheles e.V.