Christian Mihr: "Parlamentarische Lügenpresse-Rufe inspirieren rechtspopulistische Aktivisten"
Archivmeldung vom 03.05.2019
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Freigeschaltet durch André OttLaut Christian Mihr, Geschäftsführer der Organisation "Reporter ohne Grenzen", gibt es auch in demokratischen Ländern immer mehr Attacken auf die Pressefreiheit. "Diese Angriffe beginnen - wie jetzt in Österreich - zunächst mit verbalen Drohungen, aber wir sehen in Demokratien wie den USA, dass so etwas sehr schnell auch in reale Gewalt und tätliche Übergriffe umschlagen kann. Das muss uns mit Sorge umtreiben", sagte Mihr im phoenix tagesgespräch.
In Deutschland habe sich der politische Diskurs mit dem Aufkommen von Pegida, der AfD und dem Begriff "Lügenpresse" verändert. "Das parlamentarische Lügenpresse-Rufen, das grundsätzliche Infragestellen, das ist letztlich auch eine Inspiration für rechtspopulistische Aktivisten auf der Straße. Da unterscheidet sich Deutschland nur bis zu einem gewissen Grad von anderen Ländern", so Mihr weiter. Die USA seien fast das Paradebeispiel dafür, wie verbale Gewalt und Fake News-Rufe zu Gewalt auf der Straße führen könnten.
In Europa gebe es derzeit ein grundsätzliches Problem mit der Demokratie und Parteien steckten in der Krise. Medien, die über diese Entwicklungen berichteten, würden von vielen als ein Teil des Systems betrachtet und diffamiert. Besonders beunruhigend seien die Verhältnisse auf Malta und in der Slowakei. "Hier gab es Versäumnisse bei den EU-Beitrittsverhandlungen, die sich heute rächen", glaubt Mihr. Vor dem Beitritt neuer Länder gebe es Fortschrittsberichte, in denen auch die Pressefreiheit thematisiert werde. Mihr: "Diese Beschreibungen sind oft sehr zahnlos, denn es werden immer nur sehr wolkig Problemlagen beschrieben, aber nie Verantwortliche benannt. Das baut keinen Druck auf. [...] Das erklärt auch, warum der maltesische Premier Joseph Muscat, der sehr nah mit den Hintermännern des Mordes an der Journalistin Daphne Caruana Galizia auf Malta verbunden ist, bis heute ungestraft im Amt bleiben kann. Das ist ein handfester Skandal in einem europäischen Land."
Auf globaler Ebene müssten die Vereinten Nationen gestärkt werden, etwa durch einem UN-Sonderbeauftragten für den Schutz von Journalisten, der direkt dem UNO-Generalsekretär berichte und in Kriegsländern und zerfallenen Staaten unabhängig ermitteln könne. "Der Bundestag hat als weltweit erstes Parlament diese Initiative unterstützt. Es wäre ein starkes Signal, wenn sich die Vereinten Nationen durchringen könnten, das bald zu machen", sagte Mihr.
Insgesamt sei Pressefreiheit ein kostbares Gut: Nur neun Prozent der Weltbevölkerung lebten in Ländern, in denen "Reporter ohne Grenzen" die Pressefreiheit als gut oder mindestens zufriedenstellend beurteilt habe. Mihr fordert deshalb: "Journalisten müssen zusammen stehen und Solidarität zeigen, gerade dort, wo die Pressefreiheit ganz besonders bedroht ist. Das heißt aber auch, sorgfältig zu arbeiten und sich Kritik zu stellen. Man muss viel, viel mehr ins Gespräch treten."
Quelle: PHOENIX (ots)