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Tarifeinheitsgesetz: dbb legt erneut Verfassungsbeschwerde ein

Archivmeldung vom 13.03.2019

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 13.03.2019 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch André Ott
Bundesverfassungsgericht
Bundesverfassungsgericht

Von Rainer Lück 1RL.de - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0 de, Link

Der dbb beamtenbund und tarifunion (dbb) hat erneut Verfassungsbeschwerde gegen das umstrittene Tarifeinheitsgesetz (TEG) eingelegt. Durch die "Nachbesserung" des TEG Ende 2018 habe sich ein neuer Sachverhalt ergeben, argumentiert der gewerkschaftliche Dachverband, der das Gesetz von Beginn an als widerrechtlichen Eingriff in die Koalitionsfreiheit bekämpft hat.

"Die vermeintliche Nachbesserung, die die Große Koalition kurz vor Ablauf der vom Bundesverfassungsgericht gesetzten Frist Ende letzten Jahres noch schnell durchs Parlament gemogelt hat, hätte natürlich wirklich Abhilfe schaffen können. Tatsächlich jedoch ändert sich an der fatalen Beschneidung tarifautonomer Rechte nichts. In mancherlei Hinsicht verschlechtert das Gesetz in seiner neuen Form die Situation sogar noch", machte dbb Chef Ulrich Silberbach anlässlich der Einreichung der neuerlichen Verfassungsbeschwerde am 13. März 2019 deutlich.

Allein das intransparente Gesetzgebungsverfahren sei geeignet, den dbb in seinen Rechten zu beschneiden. Das Bundesverfassungsgericht hatte ausdrücklich auf Transparenz eines demokratischen Verfahrens gesetzt. Sowohl durch das "gehetzte Durchpeitschen" des Gesetzes in allerkürzester Zeit als auch durch die nichterfolgte Beteiligung der betroffenen Gewerkschaften und das "Segeln unter falscher Flagge" seien Öffentlichkeit und die betroffenen Gewerkschaften gleichsam ausgeschaltet worden, kritisierte Silberbach. "Eine Frage von so hoher Tragweite wie die zwangsweise Herstellung einer Tarifeinheit sollte nicht in einem Anhang zu einem Gesetz beschlossen werden, das mit diesem Gegenstand nicht das Geringste zu tun hat. Und die vorgesehene Mini-Korrektur ist überhaupt keine Lösung. Sie hat letztlich nur die Übergangsvorschrift aus Karlsruhe mit Verschlechterungen fortgeschrieben. Dazu gehört, dass die vom Gericht in Auftrag gegebene Regelungsaufgabe an den Gesetzgeber einfach auf die Sozialpartner abgewälzt wurde.

Der Gesetzgeber hat es damit komplett versäumt, Vorkehrungen zu treffen, wenn die Rechte der Minderheitsgewerkschaft nicht gewahrt bleiben. Außerdem bleibt im Dunklen, welche konkreten Rechte von der Schutzregelung überhaupt umfasst sein sollen", so Silberbach weiter. "Wir bleiben daher bei unserer Position, dass die Tarifautonomie weder das ursprüngliche Gesetz noch die misslungene Korrektur gebraucht hätte. Wir setzten weiter auf freiwillige Kooperation von Gewerkschaften und werden das Gesetz, das massiv in ein elementares Grundrecht der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eingreift, weiterhin mit allen Mitteln bekämpfen", unterstrich der dbb Bundesvorsitzende. Verfahrensbevollmächtigter des dbb vor dem Bundesverfassungsgericht sei ebenso wie im Rahmen der ersten TEG-Verfassungsklage der renommierte Arbeitsrechtlicher Prof. Dr. Wolfgang Däubler, erklärte Silberbach.

Auch dbb Tarifchef Volker Geyer betonte die Entschlossenheit des dbb in Sachen Eingriff in die Koalitionsfreiheit: "Wir werden diesen Kampf bis zum Ende ausfechten. Das TEG benachteiligt bestimmte Gewerkschaften und ist deshalb ebenso verfassungswidrig wie undemokratisch. Im Bereich des öffentlichen Dienstes ist es, egal ob alte oder neue Fassung, wegen des unklaren Betriebs-Begriffs noch weniger anwendbar als in der Privatwirtschaft, und mit der Verlagerung der Tarifpolitik auf die Betriebsebene wird die Idee des Flächentarifs gänzlich zerschossen. Das ist ein Irrweg, und mit unserer erneuten Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe wollen wir endlich eine Umkehr erreichen", so Geyer.

Hintergrund

Arbeitnehmer können in der Bundesrepublik Deutschland frei über die Gewerkschaft ihrer Wahl entscheiden. Die Koalitionsfreiheit in Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes gibt ihnen das Recht, "zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden". Dieses notstandsfeste Grundrecht ist ausdrücklich "für jedermann und für alle Berufe" gewährleistet. Es bleibt den Beschäftigten überlassen, ob sie sich einer berufsspezifischen, branchenübergreifenden oder weltanschaulich ausgerichteten Gewerkschaft anschließen und wen sie mit der Vertretung ihrer Interessen in Tarifverhandlungen betrauen. Dies wollten in Anbetracht des zunehmenden Einflusses so genannter "Spartengewerkschaften" verschiedene Kräfte, darunter u.a. die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), die SPD und der DGB ändern und trieben die Idee einer "Zwangstarifeinheit" voran.

Am 15. Juli 2015 trat trotz massiver Proteste und Widerstände zahlreicher Gewerkschaften und Experten das Tarifeinheitsgesetz (TEG) in Kraft. Danach soll nur noch die jeweils mitgliederstärkere Gewerkschaft im Betrieb die Tarifhoheit haben, berufsspezifische Arbeitnehmervereinigungen, beispielsweise zahlreiche Fachgewerkschaften unter dem Dach des dbb, sind theoretisch gehindert, eigene Tarifverträge für ihre Mitglieder abzuschließen. Zugleich werden die Mitglieder der kleineren Gewerkschaft faktisch ihres Koalitionsrechts und ihrer Tarifautonomie beraubt. Der dbb und viele weitere betroffene Gewerkschaften und Berufsverbände legten unverzüglich Verfassungsbeschwerde gegen das TEG ein. Entgegen der überwiegenden Rechtsauffassung der Beschwerdeführer, Verfassungs- und Arbeitsrechtsexperten entschied der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe am 11. Juli 2017 in einem auch unter den Verfassungsrichtern hochumstrittenen Urteil, dass das TEG zwar in die Koalitionsfreiheit eingreift und Grundrechte beeinträchtigen kann, gleichwohl aber "weitgehend mit dem Grundgesetz vereinbar" ist.

Der Senat sah indes das Risiko, dass die Interessen kleinerer Berufsgruppen unter den Tisch fallen könnten, deswegen sollte der Gesetzgeber bis Ende 2018 noch schützende Vorkehrungen schaffen. Dieser Maßgabe kam die amtierende große Koalition von Union und SPD, Nachfolgerin der TEG-initiierenden vormaligen GroKo, nun Ende November 2018 nach: Unter dem Deckmantel des unverdächtigen Qualifizierungschancengesetzes schleuste die Bundesregierung ihre TEG-Änderung in die parlamentarische Beratung ein und brachte die unter Experten als wenig sinnvoll erachtete "Verbesserung" des Minderheitenschutzes durch. In Anbetracht dieses neuen Sachstandes legt der dbb nunmehr erneut Verfassungsbeschwerde gegen das TEG in seiner geänderten Fassung ein. Bereits am 18. Dezember 2017 hatte der dbb nach seiner Verfassungsklage in Karlsruhe auch beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Klage gegen das TEG eingereicht. Aus Straßburg gibt es bereits erste positive Signale: Die dbb Klage wurde angenommen, die deutsche Bundesregierung zu einer Stellungnahme aufgefordert, die sie dem Gerichtshof bis Mitte Mai vorlegen muss.

Quelle: dbb beamtenbund und tarifunion (ots)

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