Schäuble will Bürgerräte für Akzeptanzsicherung der Demokratie
Archivmeldung vom 26.09.2020
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Freigeschaltet durch André OttBundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) macht sich Sorgen um die Akzeptanz der parlamentarischen Demokratie und setzt sich deshalb für Bürgerräte ein. "Die Bindung zwischen Wählern und Gewählten ist schwächer geworden - und die Kraft der Parteien, die für eine stabile repräsentative Demokratie wichtig sind, ist auch kleiner geworden", sagte Schäuble der "Süddeutschen Zeitung".
Die Grünen seien zwar "eine gewisse Innovation, aber SPD, CDU, CSU haben seit einiger Zeit Probleme". Und eine derartige Entwicklung gebe es nicht nur in Deutschland. "Überall, wo in Europa und in Nordamerika unsere westliche Demokratie existiert, erleben wir eine abnehmende Bindekraft dieses Modells", sagte Schäuble. Deshalb müsse man jetzt "neue Dinge erproben, um unser Modell zu stärken" - denn es gelte auch hier: "ecclesia semper reformanda": Man müsse "immer wieder bereit sein, sich zu reformieren".
Und man müsse "unsere Demokratie stark halten - gegen das chinesische Modell und gegen Fehlentwicklungen durch die neuen sozialen Medien wie in den USA", so der CDU-Politiker. "Wir müssen unsere parlamentarische Demokratie zukunftsfähig machen", verlangte der Bundestagspräsident. Dabei könne "der Bürgerrat ein wichtiger Ansatz sein". Es gehe "nicht um eine Alternative zur parlamentarischen Demokratie, sondern um ihre Stärkung".
Und da könne der Bürgerrat helfen - als "eine Art Kompromiss zwischen einer reinen parlamentarischen Demokratie und einer mit Plebisziten". In anderen europäischen Ländern spielen derartige Bürgerräte bereits eine Rolle. In solchen Räten sitzen durch Los ausgewählte Bürgerinnen und Bürger. Sie sollen sich intensiv mit einem Thema befassen - und dabei Zugriff auf Experten haben.
Die Ergebnisse der Gespräche sollen dann in einem Bürgergutachten zusammengefasst werden. Die Hoffnung dabei ist, dass auf diesem Weg emotionsgeladene und strittige gesellschaftliche Debatten versachlicht und entschärft werden können. Er sei zwar "weiterhin kein Freund von Volksentscheiden auf Bundesebene", sagte der Bundestagspräsident. Bei normalen Plebisziten würden naturgemäß auch viele Bürger abstimmen, "die sich vorher nicht intensiv mit dem Gegenstand beschäftigt haben".
In einem Bürgerrat müssten "die Teilnehmer sich dagegen mehrere Wochenenden mit einem Thema befassen und kontrovers diskutieren, bevor sie zu einer Entscheidung kommen - ein solches Votum hat mehr Substanz".
Und es gebe noch einen Vorteil: "Viele aus den Bürgerräten werden anschließend Interesse an einer Mitarbeit in Kommunalparlamenten oder in Parteien haben", das sei "doch ein wunderbarer Effekt". Schäuble wird deshalb Schirmherr eines Bürgerrates zum Thema "Deutschlands Rolle in der Welt". Der neue Bürgerrat soll im Januar und Februar kommenden Jahres tagen - und im März seine Ergebnisse dem Bundestag vorlegen. Schäuble ist aber auch noch aus einem weiteren Grund für Bürgerräte. Man dürfe im Bundestag keine "abgeschlossene Kaste" werden, sagte der Parlamentspräsident der SZ. "Wenn immer mehr Abgeordnete dieselben Karrieren haben, erst Studium, dann Mitarbeiter bei einem Abgeordneten oder einer Fraktion, dann selber Abgeordneter, dann finde ich das zunehmend bedenklich. Wir brauchen vielerlei Erfahrungen und unterschiedliche Qualifikationen, immer auch neue Impulse - und da sind wir wieder bei den Bürgerräten."
Quelle: dts Nachrichtenagentur