Georg Milbradt warnt vor Panikmachen. LVZ-Interview zur Ost-Abwanderung
Archivmeldung vom 18.03.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittSachsens Ministerpäsident Georg Milbradt (CDU) warnt im Gespräch mit der Leipziger Volkszeitung vor Panikmache bei dramatischer Bevölkerungsentwicklung.
Steht Sachsen vor einem demographischen Abgrund?
In der Debatte über die Bevölkerungsentwicklung werden die
Szenarien immer düsterer. Aber ich kann vor Panikmache mit Begriffen
wie "Einwohnerkannibalismus" und "Verlustschneisen" nur warnen. Zwar
erleben wir derzeit den dramatischsten Einschnitt in der
Bevölkerungsstruktur, den es je zu Friedenszeiten gab und der nur mit
den Folgen des Dreißigjährigen Krieges zu vergleichen ist. Aber
Alterung und Schrumpfung sind keine Einbahnstraßen ins Abseits. Die
Auswirkungen werden regional sehr unterschiedlich ausfallen und auch
positive Veränderungen mit sich bringen.
Zum Beispiel?
Das Schulsystem hat von der Halbierung der Kinderzahlen enorm
profitiert. Zwar mussten wir viele Standorte schließen und Lehrer auf
Teilzeit setzen. Aber an den vorhandenen Schulen können wir die
Ausstattung und die Schüler-Lehrer-Relation deutlich verbessern.
Davon profitiert die Qualität der Schulbildung. In drei bis vier
Jahren wird sich die gleiche Entwicklung an den Hochschulen und auf
dem Lehrstellenmarkt fortsetzen. Ich gehe davon aus, dass sich dann
die Abwanderung in andere Länder von selbst erledigt.
Dennoch nimmt die Landflucht zu?
Die Binnenwanderung in die Ballungszentren Leipzig, Dresden und
Chemnitz ist enorm. Dem können wir begegnen, indem wir die
Straßenanbindung ins Umland ausbauen. Damit können die Menschen im
Dorf wohnen, aber rasch am städtischen Arbeitsplatz sein. Und
Investoren können sich in der Peripherie ansiedeln und Fachkräfte aus
den Städten nutzen.
Doch auf dem Lande herrscht Sorge, dass selbst die medizinische
Versorgung zusammenbricht und Behörden unerreichbar werden ...
Gerade die ländlichen Regionen können aber von den parallel
entstehenden, technischen Chancen profitieren. Durch eine enge
Vernetzung von Kliniken und Hausärzten mit mobilen Diensten können
Patienten vor Ort schneller und besser betreut werden. Durch das
Internet können Rathäuser und Landratsämter so servicefreundlich
werden, wie es etwa Banken heute schon vormachen.
Muss aber die Politik nicht den Mut haben, den Menschen zu sagen,
dass mancherorts Entvölkerung droht?
Es gibt in der Tat Regionen, die sich entleeren. Sachsen hat dabei
geradezu eine Pionierrolle, weil die demographische Entwicklung
nirgendwo so schnell und so massiv auftritt wie bei uns. Aber Sachsen
ist auch dicht besiedelt. Hier wird es nicht so dramatische
Auswirkungen geben wie in Mecklenburg-Vorpommern oder in
Skandinavien. Ich bin auch optimistisch, dass der Standort Sachsen im
Wettbewerb der Regionen gut besteht. Aber das wird kein Spaziergang.
Wie reagiert die Koalition bei der Haushaltsklausur am Wochenende
auf den Bevölkerungsschwund?
Neben der Senkung der Neuverschuldung werden wir auch den im
Koalitionsvertrag vereinbarten Personalabbau auf 80 000
Landesbedienstete umsetzen. Aber das wird nicht ausreichen, denn wir
haben nach wie vor deutlich mehr Stellen pro Kopf als westdeutsche
Länder.
Quelle: Pressemitteilung Leipziger Volkszeitung