Kinderhilfe-Chef Ehrmann: Merkel soll Kinderschutz-Gipfel einberufen
Archivmeldung vom 13.10.2006
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Freigeschaltet durch Jens BrehlKinderschutz müsse vor dem Datenschutz rangieren, fordert Georg Ehrmann, Vorsitzender der Deutschen Kinderhilfe Direkt, als eine der Konsequenzen aus dem Fall Kevin. Außerdem dürfe Jugendhilfe nicht nach Kassenlage betrieben werden, sagte er in einem Interview der Leipziger Volkszeitung (Freitagausgabe).
Bundeskanzlerin Angela Merkel forderte er auf,
einen Kinderschutz-Gipfel zu veranstalten.
Es sei leichtfertig gewesen, Kevin einem drogensüchtigen Vater
zurückzugeben, der noch dazu im Verdacht stehe, seine Frau umgebracht
zu haben, kritisiert Ehrmann das Verhalten der Bremer Behörden. "Es
ist aber ein typisches Beispiel, wie Jugendhilfe in Deutschland
leider funktioniert: Nach Kassenlage", klagt der Kinderschützer. Es
fehle an Unterbringungsmöglichkeiten für solche gefährdeten Kinder.
Das begünstige den Trend, dass ein Kind möglichst lange in der
Familie gehalten werde. Kompensiert werden könnte das durch
regelmäßige Besuche der Jugendhilfe. "Aber wenn sich, wie im Fall
Kevin, der Vormund drei Monate nicht um das Kind kümmert, dann ist
das ein zum Himmel stinkender Skandal", so Ehrmann. Allerdings seien
auch die Jugendämter meist vollkommen überlastet. Ehrmann nannte das
Beispiel eines Vormundes in München, der 75 Kinder zu betreuen habe.
Das sei einfach nicht zu schaffen.
Hinzu komme, moniert der Vorsitzende der Deutschen Kinderhilfe, dass
das Thema Datenschutz in Deutschland nicht wichtiger sein dürfe als
Kinderschutz. "So durfte die Staatsanwaltschaft dem Jugendamt nicht
mitteilen, dass gegen Kevins Vater ermittelt wird". Das sei
"unglaublich".
Er erwarte angesichts der Missstände, dass Angela Merkel einen
Kinderschutz-Gipfel einberufe.
Kevins Vater habe den Jungen umgebracht, weil er mit der Situation
völlig überfordert war, urteilt Ehrmann. Der Grundsatz, im
Zweifelsfall sei das Kind in der Familie besser aufgehoben, könne
nicht pauschal gelten. "Man kann doch nicht sagen, wenn es gut geht,
ist es okay, und wenn nicht, ist das Kind eben tot. Es gehört bei
eindeutigen Misshandlungszeichen oder Verwahrlosung auch der Mut
dazu, zu entscheiden, in dieser Familie hat das Kind keine Chance",
fordert er.
Mit Blick auf den Osten Deutschlands könne festgestellt werden, so Ehrmann, dass es vergleichsweise weniger Kindesmisshandlungen als im Westen gebe, obwohl die Arbeitslosigkeit höher sei und die sozialen Verwerfungen größer seien. "Das liegt aus meiner Sicht wesentlich mit an der besseren Kita-Betreuung. Wenn das Kind schon mit einem Jahr in die Krippe geht, werden auch überforderte Eltern maßgeblich entlastet." Denn zu den unbequemen Wahrheiten gehöre, dass fast alle Todesfälle durch Misshandlung von Kindern der letzten Jahre in bildungsfernen und armen Familien passierten.
Quelle: Pressemitteilung Leipziger Volkszeitung