Bürger auf Zeit: Staatsangehörigkeitsrecht in Deutschland auf dem Prüfstand
Archivmeldung vom 29.01.2015
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 29.01.2015 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Manuel SchmidtDie aktuelle Regelung zur Staatsangehörigkeit bei in Deutschland geborenen Kindern ausländischer Eltern ist nach wie vor zu umständlich und löst Fragen der Mehrstaatigkeit nicht zufriedenstellend. Zu diesem Ergebnis kommt Susanne Worbs in ihrem 2014 an der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd abgeschlossenen Dissertationsprojekt, das von Prof. Dr. Stefan Immerfall betreut wurde. Sie empfiehlt im Ergebnis, künftig Mehrstaatigkeit in Deutschland generell zu akzeptieren.
Worbs, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Forschungszentrum Migration, Integration und Asyl des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in Nürnberg, untersuchte in ihrem Forschungsprojekt die Auswirkungen der sogenannten Optionsregelung im deutschen Staatsangehörigkeitsrecht. Durch diese Regelung mussten sich zwischen 2008 und Ende 2014 mehrere tausend in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern zwischen ihrem 18. und ihrem 23. Geburtstag für eine Staatsangehörigkeit entscheiden (die deutsche oder die per Abstammung erworbene ausländische ihrer Eltern).
Der empirische Teil der Dissertation beruht auf Interviews mit von der Regelung betroffenen jungen Erwachsenen. Dabei wurden sowohl 27 qualitative Leitfadeninterviews als auch Daten einer bundesweiten standardisierten Befragung dieses Personenkreises mit rund 400 Teilnehmern ausgewertet. Im Ergebnis zeigte sich zwar, dass sich ein Großteil der befragten Personen für die deutsche Staatsangehörigkeit entscheidet. Eine nicht zu vernachlässigende Minderheit ist dabei jedoch emotional belastet und wird in eine für sie schwierige Entscheidungssituation zwischen familiärer Herkunft einerseits und der sozialen Verwurzelung in Deutschland andererseits gedrängt. Insgesamt erscheint der integrationspolitische Nutzen des Optionsmodells zweifelhaft, zumal bei seiner Umsetzung zahlreiche Probleme in der Praxis, ungeklärte juristische Fragen und ein hoher Verwaltungsaufwand zu konstatieren sind. Die kurz nach dem Erscheinen der Dissertation in Kraft getretene Neuregelung des Staatsangehörigkeitsrechts, die seit Dezember 2014 gilt, wertet Worbs auf der Basis dieser Ergebnisse als Fortschritt. Der Großteil der bislang von der Optionsregelung betroffenen jungen Erwachsenen muss sich künftig nicht mehr zwischen seinen Staatsangehörigkeiten entscheiden. Es ist jedoch nicht gelungen, die Frage des Umgangs mit Mehrstaatigkeit insgesamt überzeugend zu lösen, da bei Einbürgerungen – und auch künftig bei einem kleinen Teil der Optionspflichtigen – weiterhin die Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit verlangt wird. Dadurch verschärft sich der Konflikt zwischen dem Anspruch der Vermeidung der Mehrstaatigkeit und der häufigen Hinnahme in der Realität im deutschen Recht weiter.
Die Autorin empfiehlt daher, die Mehrstaatigkeit in Deutschland generell zu akzeptieren, ohne dies an Voraussetzungen wie einen deutschen Schulabschluss zu knüpfen. Befürchtungen einer mangelnden späteren Integration könnte dadurch entgegengewirkt werden, dass auch schon mindestens ein Elternteil der betreffenden Kinder bereits in Deutschland geboren sein muss, damit das Kind selbst durch Geburt in Deutschland die deutsche Staatsangehörigkeit erwirbt. Bei einer generellen Akzeptanz könnte zudem der Verwaltungsaufwand durch das Wegfallen langwieriger Prüfungen (auch im Rahmen der übrigen Einbürgerungsverfahren) erheblich verringert werden. Dr. Worbs sieht bei einer solchen Änderung erheblich größere Chancen als bisher, dass sich Zuwanderer über ein oder zwei Generation hinweg vollständig Deutschland zuwenden.
Quelle: Pädagogische Hochschule Schwäbisch Gmünd