Historiker Nolte: CSU-Gerede vom Staatsversagen ist gefährlich und unverschämt
Archivmeldung vom 18.02.2016
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittAls gefährlich und unverschämt hat der Historiker Paul Nolte die Rede des CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer von Staatsversagen und Herrschaft des Unrechts in der Flüchtlingspolitik zurückgewiesen. "Wenn man an zentraler Stelle des Staates steht und so redet, ist das eine Unverschämtheit, ein Offenbarungseid", kritisiert Nolte, Historiker an der Freien Universität in Berlin, im Gespräch mit dem Wirtschaftsmagazin 'Capital' (Ausgabe 3/2016). "Das ist eine gefährliche Redeweise, die mich an historische Muster erinnert: Auch in der Weimarer Republik hieß es, der Staat sei überfordert", so Nolte. "Staatsversagen und Demokratieversagen, diese beiden Vorwürfe haben gerade in der deutschen Geschichte oft sehr eng beieinander gelegen."
Nolte kritisiert allerdings auch selbst die Politik für ihr Versagen in der Krise. "Wir reden über Politikversagen, Steuerungsversagen, Koordinationsversagen. Ein Versagen, die Situation zu erkennen und den Mut zu Ansagen und zu Veränderung systemischer Art zu haben, die aus der Routine rausspringen", so Nolte.
Verständnis hat der Berliner Historiker für die Forderung nach einer Obergrenze für den Flüchtlingszustrom, auch wenn eine konkrete Zahl schwer durchzusetzen sei. "In der Realität sind die Belastungsgrenzen vor Ort längst überschritten. Wenn jeden Tag mehrere Tausend Menschen nach Deutschland kommen und nicht mehr registriert oder untergebracht werden können - dann ist die Grenze überschritten."
Dennoch dürfe Deutschland das Asylrecht nicht abschaffen, müsse es aber auf diejenigen anwenden, die wirklich verfolgt werden oder aus Kriegsgebieten kommen. "Das Asylrecht darf nicht wackeln, aber wir müssen es strikt anwenden. Bei Bürgerkriegsflüchtlingen aus Syrien bin ich für Großzügigkeit", empfiehlt Nolte. "Gerade deshalb ist es aber nicht möglich, viele junge Männer Afrikas aufzunehmen, die ihre Lebenschancen verbessern wollen, so legitim das subjektiv ist."
Quelle: Capital, G+J Wirtschaftsmedien (ots)