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Digitalcourage und weitere Expert.innen sehen erheblichen Überarbeitungsbedarf des vorgeschlagenen niedersächsischen Polizeigesetzes

Archivmeldung vom 16.08.2018

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 16.08.2018 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch André Ott
Polizeitruppen (Symbolbild)
Polizeitruppen (Symbolbild)

Bild: Unbekannt / Eigenes Werk

Digitalcourage und andere Expert.innen haben am Donnerstag, 16. August 2018, im Innenausschuss des niedersächsischen Landtags Stellungnahmen zur geplanten Reform des Polizeigesetzes abgeben. Nach Einschätzung von Digitalcourage besteht erheblicher Überarbeitungsbedarf am derzeitigen Entwurf. Die insgesamt eingereichten Stellungnahmen weisen auf mehr als 200 Kritikpunkte, handwerkliche Mängel, Ergänzungen und Risiken hin.

Digitalcourage fordert die Regierungsfraktionen von SPD und CDU auf, eine öffentlich einsehbare Zusammenfassung aller Stellungnahmen zu erstellen. Das erfordert allein die gesetzgeberische Sorgfaltspflicht bei derart tiefen Grundrechtseinschnitten.

Dass Ministerpräsident Weil, wie Medien gegenüber angekündigt [1], den Gesetzesentwurf ohne Änderungen durchdrücken möchte, kann Digitalcourage in keiner Weise nachvollziehen.
 
Der Gesetzgebungs- und Beratungsdienst des niedersächsischen Landtages (GBD) erteilte Hoffnungen, dass der Entwurf rasch in ein Gesetz überführt werden könne, einen deutlichen Dämpfer – geschätzte 30 verfassungsrechtliche Probleme seien erkennbar.
 
„Maßgeblich für den Weitergang der Reform des Polizeigesetzes werden jetzt die weiteren Diskussionen im Innenauschuss, das Gutachten des GDB und der Protest auf der Straße sein“ , sagt Friedemann Ebelt von Digitalcourage. „Trotz Druck des Gesetzgebers wird der ursprüngliche Zeitplan nicht eingehalten werden – die Kritik zeigt Wirkung.“
 
„Die Anhörung hat gezeigt, dass die geladenen Unternehmen, Datenschützer, Fußballfans, Bürgerrechtlerinnen und Rechtsanwältinnen mit dem vorgelegten Entwurf nicht leben können“ , sagt Friedemann Ebelt von Digitalcourage.
 
„Wir wollen eine ermittelnde Polizei, die gemeinsam mit den Bürger.innen arbeitet“ , sagt Friedemann Ebelt von Digitalcourage. „Wir wollen keine Wahrscheinlichkeits- und  Überwachungspolizei und wir brauchen keine Prognosejustiz. Was soll beispielsweise eine konkrete Wahrscheinlichkeit sein?“
 
„Die Sicherheitslage in Niedersachsen ist nachweislich sehr gut – Kriminalität ist rückläufig“ , sagt Friedemann Ebelt von Digitalcourage. „Für die meisten vorgeschlagenen gesetzlichen Änderungen gibt es keine ausreichende Begründung, wie unsere Stellungnahme zeigt.“
 
„Wir haben Zweifel, dass die vorgeschlagene Reform die bereits sehr hohe Sicherheit  in Niedersachsen merklich verbessert“ , sagt Friedemann Ebelt von Digitalcourage. „Nach unserer Einschätzung sind die Grundrechtseingriffe hingegen unstrittig, und es existieren mit den sogenannten Staatstrojanern sogar erhebliche Gefahrenpotenziale.“
 
„Der angestrebte Paradigmenwechsel – weg von der Verfolgung von Straftaten und hin zu einer Verdächtigungspolizei – ruft verfassungsrechtliche Sorgen hervor“ , ergänzt Uli Fouquet von Digitalcourage in Braunschweig. „Unser Eindruck ist, dass die hier geplanten Änderungen einen erstaunlich breiten Bevölkerungsquerschnitt betreffen und beschäftigen.“
 
Zum derzeitigen Zeitpunkt bleiben viele entscheidende Fragen offen und unbeantwortet, u.a.:
 
• Wie möchte die Landesregierung verhindern, dass beispielsweise organisierte Kriminalität die für den Einsatz von sogenannten Staatstrojanern notwendigen Sicherheitslücken ausnutzen kann für Angriffe beispielsweise gegen Krankenhäuser, Parlamente und andere kritische Infrastruktur?
 
• Warum  enthält die geplante Reform keine Umsetzung des sogennanten IT-Grundrechts („Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme“), das die Sicherheit im digitalen Zeitalter wahren soll?
 
• In der Begründung der Reform wird ausgeführt, dass Anis Amri nicht ausreichend effektiv überwacht wurde. Unserer Kenntnis nach ist das Gegenteil der Fall. Wie kommen die Fraktionen der CDU und SPD zu ihrer Einschätzung?
 
• Warum reagiert die vorgeschlagene Gesetzesreform nicht auf die nachweisbare Gefahr  durch die Verstrickungen des Verfassungsschutzes mit dem NSU-Komplex, der Aktenvernichtung, der Vertuschung, der Behinderung der Aufklärung und dem  unterstützenden Einsatz von V-Leuten?
• Laut Gesetzesentwurf soll eine „dringende Gefahr“ unter anderem dann  vorliegen, wenn ein Schadenseintritt für „Sachen von bedeutendem Wert, deren Erhaltung im öffentlichen Interesse liegt“, droht. Was sind „Sachen von bedeutendem Wert“?
 
• Wie wurden konkret die „Anforderungen an die zukünftigen polizeilichen Aufgaben …“  ermittelt? Wir würden hier gern die Methode und die Daten einsehen, um die Einschätzung nachvollziehen und bewerten zu können.
 
• Warum soll der  sogenannten Präventivgewahrsam auf bis zu 74 Tage erweitert werden,  anstatt dafür Sorge zu tragen, dass sicherheitsrelevante Ermittlungen in vier oder zehn Tagen durchgeführt werden können? 74 Tage verleiten dazu, Ermittlungen auf die lange Bank zu schieben. Wertvolle Zeit geht verloren, die Komplizen nutzen könnten. Statt qualitativer Ausweitung erachten wir eine qualitative Verbesserung von behördlichen Abläufen, personeller Kapazitäten und von Kommunikation für die bessere Lösung für  mehr Sicherheit im Land.
 
• Ulf Küch, Leiter Kriminalpolizei Braunschweig, hat für  Braunschweig belegt, dass die Kriminalität rückläufig ist und es darum keinen Grund für Verschärfungen von Polizeigesetzen gibt. Er sagt, dass es eine Gefahr für Sicherheit ist, dass in den nächsten Jahren 1/3 der Polizei in Rente geht. Er will Prävention im Sinne von Aufklärung. „ Mit  Repressionen lösen Sie keine Probleme in diesem Land“ . Warum greift die  Landesregierung diese Punkte nicht für Gesetzgebung auf?
 
Nach Entwurf von SPD und CDU ist eine kontroverse Neufassung des Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (NPOG) geplant.
Stellungnahme von Digitalcourage vom 24.07.2018 als PDF:
 
Terminankündigung:
Großdemonstration 8.9.2018 ab 13 Uhr
Ernst-August-Platz vor dem Hauptbahnhof, Hannover
Bündnis #noNPOG – Nein zum neuen niedersächsischen Polizeigesetz
 
Weitere Informationen:
• Stellungnahme zum Polizeigesetz Niedersachsen (NPOG) (PDF):
• Übersicht zu den Reformen der Polizeigesetze in den Bundesländern:
• Appell gegen Polizeigesetze und innere Aufrüstung:
• 11. NSU-Mord in Rheda-Wiedenbrück? (Twitter: #KeinSchlussstrich)
[1] welt.de: „Anhörung zu neuem Polizeigesetz beginnt mit Kritik an Weil“
 
Digitalcourage:   
Digitalcourage setzt sich seit 1987 für Datenschutz und Bürgerrechte ein und richtet seit 2000 die jährliche Verleihung der BigBrotherAwards aus. 2008 erhielt Digitalcourage die Theodor-Heuss-Medaille für besonderen Einsatz für die Bürgerrechte.
Quelle: Digitalcourage e.V.
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