Digitalcourage und andere Expert.innen haben am Donnerstag, 16. August 2018, im Innenausschuss des niedersächsischen Landtags Stellungnahmen zur geplanten Reform des Polizeigesetzes abgeben.
Nach Einschätzung von Digitalcourage besteht erheblicher Überarbeitungsbedarf am derzeitigen Entwurf. Die insgesamt eingereichten Stellungnahmen weisen auf mehr als 200 Kritikpunkte, handwerkliche Mängel, Ergänzungen und Risiken hin.
Digitalcourage fordert
die Regierungsfraktionen von SPD und CDU auf, eine öffentlich einsehbare
Zusammenfassung aller Stellungnahmen zu erstellen. Das erfordert allein
die gesetzgeberische Sorgfaltspflicht bei derart tiefen
Grundrechtseinschnitten.
Dass Ministerpräsident
Weil, wie Medien gegenüber angekündigt [1], den Gesetzesentwurf ohne
Änderungen durchdrücken möchte, kann Digitalcourage in keiner Weise
nachvollziehen.
Der Gesetzgebungs- und
Beratungsdienst des niedersächsischen Landtages (GBD) erteilte
Hoffnungen, dass der Entwurf rasch in ein Gesetz überführt werden könne,
einen deutlichen Dämpfer – geschätzte 30 verfassungsrechtliche Probleme
seien erkennbar.
„Maßgeblich
für den Weitergang der Reform des Polizeigesetzes werden jetzt die
weiteren Diskussionen im Innenauschuss, das Gutachten des GDB und der
Protest auf der Straße sein“
, sagt Friedemann Ebelt von Digitalcourage.
„Trotz Druck des Gesetzgebers wird der ursprüngliche Zeitplan nicht eingehalten werden – die Kritik zeigt Wirkung.“
„Die
Anhörung hat gezeigt, dass die geladenen Unternehmen, Datenschützer,
Fußballfans, Bürgerrechtlerinnen und Rechtsanwältinnen mit dem
vorgelegten Entwurf nicht leben können“
, sagt Friedemann Ebelt von Digitalcourage.
„Wir wollen eine ermittelnde Polizei, die gemeinsam mit den Bürger.innen arbeitet“
, sagt Friedemann Ebelt von Digitalcourage.
„Wir wollen keine Wahrscheinlichkeits- und Überwachungspolizei und wir
brauchen keine Prognosejustiz. Was soll beispielsweise eine konkrete
Wahrscheinlichkeit sein?“
„Die Sicherheitslage in Niedersachsen ist nachweislich sehr gut – Kriminalität ist rückläufig“
, sagt Friedemann Ebelt von Digitalcourage.
„Für die meisten vorgeschlagenen gesetzlichen Änderungen gibt es keine ausreichende Begründung, wie unsere Stellungnahme zeigt.“
„Wir haben Zweifel, dass die vorgeschlagene Reform die bereits sehr hohe Sicherheit in Niedersachsen merklich verbessert“
, sagt Friedemann Ebelt von Digitalcourage.
„Nach
unserer Einschätzung sind die Grundrechtseingriffe hingegen unstrittig,
und es existieren mit den sogenannten Staatstrojanern sogar erhebliche
Gefahrenpotenziale.“
„Der
angestrebte Paradigmenwechsel – weg von der Verfolgung von Straftaten
und hin zu einer Verdächtigungspolizei – ruft verfassungsrechtliche
Sorgen hervor“
, ergänzt Uli Fouquet von Digitalcourage in Braunschweig.
„Unser
Eindruck ist, dass die hier geplanten Änderungen einen erstaunlich
breiten Bevölkerungsquerschnitt betreffen und beschäftigen.“
Zum derzeitigen Zeitpunkt bleiben viele entscheidende Fragen offen und unbeantwortet, u.a.:
• Wie möchte die
Landesregierung verhindern, dass beispielsweise organisierte
Kriminalität die für den Einsatz von sogenannten Staatstrojanern
notwendigen Sicherheitslücken ausnutzen kann für Angriffe beispielsweise
gegen Krankenhäuser, Parlamente und andere kritische Infrastruktur?
• Warum enthält die
geplante Reform keine Umsetzung des sogennanten IT-Grundrechts
(„Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität
informationstechnischer Systeme“), das die Sicherheit im digitalen
Zeitalter wahren soll?
• In der Begründung der
Reform wird ausgeführt, dass Anis Amri nicht ausreichend effektiv
überwacht wurde. Unserer Kenntnis nach ist das Gegenteil der Fall. Wie
kommen die Fraktionen der CDU und SPD zu ihrer Einschätzung?
• Warum reagiert die
vorgeschlagene Gesetzesreform nicht auf die nachweisbare Gefahr durch
die Verstrickungen des Verfassungsschutzes mit dem NSU-Komplex, der
Aktenvernichtung, der Vertuschung, der Behinderung der Aufklärung und
dem unterstützenden Einsatz von V-Leuten?
• Laut Gesetzesentwurf
soll eine „dringende Gefahr“ unter anderem dann vorliegen, wenn ein
Schadenseintritt für „Sachen von bedeutendem Wert, deren Erhaltung im
öffentlichen Interesse liegt“, droht. Was sind „Sachen von bedeutendem
Wert“?
• Wie wurden konkret die
„Anforderungen an die zukünftigen polizeilichen Aufgaben …“ ermittelt?
Wir würden hier gern die Methode und die Daten einsehen, um die
Einschätzung nachvollziehen und bewerten zu können.
• Warum soll der
sogenannten Präventivgewahrsam auf bis zu 74 Tage erweitert werden,
anstatt dafür Sorge zu tragen, dass sicherheitsrelevante Ermittlungen in
vier oder zehn Tagen durchgeführt werden können? 74 Tage verleiten
dazu, Ermittlungen auf die lange Bank zu schieben. Wertvolle Zeit geht
verloren, die Komplizen nutzen könnten. Statt qualitativer Ausweitung
erachten wir eine qualitative Verbesserung von behördlichen Abläufen,
personeller Kapazitäten und von Kommunikation für die bessere Lösung
für mehr Sicherheit im Land.
• Ulf Küch, Leiter
Kriminalpolizei Braunschweig, hat für Braunschweig belegt, dass die
Kriminalität rückläufig ist und es darum keinen Grund für Verschärfungen
von Polizeigesetzen gibt. Er sagt, dass es eine Gefahr für Sicherheit
ist, dass in den nächsten Jahren 1/3 der Polizei in Rente geht. Er will
Prävention im Sinne von Aufklärung. „
Mit Repressionen lösen Sie keine Probleme in diesem Land“
. Warum greift die Landesregierung diese Punkte nicht für Gesetzgebung auf?
Nach Entwurf von SPD und
CDU ist eine kontroverse Neufassung des Gesetzes über die öffentliche
Sicherheit und Ordnung (NPOG) geplant.
Stellungnahme von Digitalcourage vom 24.07.2018 als PDF:
Terminankündigung:
Großdemonstration 8.9.2018 ab 13 Uhr
Ernst-August-Platz vor dem Hauptbahnhof, Hannover
Bündnis
#noNPOG – Nein zum neuen niedersächsischen Polizeigesetz
Weitere Informationen:
• Stellungnahme zum Polizeigesetz Niedersachsen (NPOG) (PDF):
• Übersicht zu den Reformen der Polizeigesetze in den Bundesländern:
• Appell gegen Polizeigesetze und innere Aufrüstung:
• 11. NSU-Mord in Rheda-Wiedenbrück? (Twitter: #KeinSchlussstrich)
[1] welt.de: „Anhörung zu neuem Polizeigesetz beginnt mit Kritik an Weil“
Digitalcourage:
Digitalcourage setzt sich
seit 1987 für Datenschutz und Bürgerrechte ein und richtet seit 2000
die jährliche Verleihung der BigBrotherAwards aus. 2008 erhielt
Digitalcourage die Theodor-Heuss-Medaille für besonderen Einsatz für die
Bürgerrechte.
Quelle: Digitalcourage e.V.