Bund und Länder gemeinsam gegen sexuelle Gewalt an Schulen
Archivmeldung vom 01.10.2020
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Freigeschaltet durch André OttAm heutigen Donnerstag startet die zweitägige digitale Fachtagung "Sexuelle Gewalt und Schule: Aktuelle Forschungsergebnisse für die schulische Praxis". Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unterstützt bereits seit fast zehn Jahren Forschungsvorhaben, die sexualisierte Gewalt in der Schule und in anderen pädagogischen Kontexten näher untersuchen und Präventionskonzepte entwickeln.
Diese Förderung will Bundesbildungsministerin Anja Karliczek nun im Rahmenprogramm Empirische Bildungsforschung erweitern. Mit der gestern veröffentlichten zusätzlichen Förderung von Transfervorhaben sollen Forschungsergebnisse so weiterentwickelt werden, dass sie in der Praxis besser angewendet werden können. Mit ihrer gemeinsamen Initiative "Schule gegen sexuelle Gewalt" verfolgen auch der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) und die Kultusbehörden der Länder das Ziel, das Wissen zu sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche auszubauen und Schulen dabei zu unterstützen, Konzepte für Schutz und Hilfe bei sexueller Gewalt zu entwickeln und im schulischen Alltag anzuwenden.
Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung, Christian Luft: "Sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen darf nicht toleriert werden. Es ist die gemeinsame Aufgabe von Bund und Ländern, alles dafür zu tun, um Kinder und Jugendliche, die zu den Schwächsten in unserer Gesellschaft gehören, vor Gewalt jeglicher Art zu schützen. Das gilt insbesondere für Bildungseinrichtungen, in denen Jungen und Mädchen auf das Leben vorbereitet werden. Sie müssen ein besonderer Schutzraum sein, weil sie dort nicht mehr unter dem unmittelbaren Schutz der Eltern stehen. Dabei geht es um strafrechtsrelevanten Missbrauch und immer mehr um Grenzverletzungen wie Mobbing oder die unbefugte Veröffentlichung persönlicher Fotos. Immer mehr dieser Vorfälle werden mit Hilfe der digitalen Medien begangen. Lehrerinnen und Lehrer und andere pädagogische Fachkräfte brauchen hier Unterstützung. Sie brauchen fundiertes Wissen und Handlungsempfehlungen, damit sie Übergriffe verhindern und schnell eingreifen können. Die Bildungsforschung gibt hier Antworten. Wir wollen jetzt dafür sorgen, dass das vorliegende Wissen zum Einsatz kommt. Deshalb werden wir unsere Forschung in diesem Bereich ausbauen und Forschungsergebnisse in Richtung Anwendung weiterentwickeln. Wir haben bereits 24 Millionen Euro investiert und nehmen nun weitere 6 Millionen Euro in die Hand."
Die 1. Vizepräsidentin der Kultusministerkonferenz und Ministerin für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg, Britta Ernst: "Wir erleben derzeit, dass die Corona-Epidemie andere Themen verdrängt. Aber es gibt Bereiche in unserem gesellschaftlichen Miteinander, die weiter beachtet werden müssen, weil davon Menschen in ihrer Existenz und Persönlichkeitsentwicklung betroffen sind. Dazu gehört ganz sicher sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. Die Kultusministerkonferenz hat sich mit dem Thema seit vielen Jahren intensiv befasst. Wir sind der festen Überzeugung: Es gehört zu den Grundsätzen jedes menschlichen Miteinanders und jeder Zivilgesellschaft, dass Kinder und Jugendliche sich zu jeder Zeit sicher vor sexueller Gewalt fühlen müssen. Mit unseren Handlungsempfehlungen setzen wir uns für eine rückhaltlose Aufklärung und fundierte Prävention ein. Alle Länder haben Maßnahmen zum Schutz der Schülerinnen und Schüler vor sexuellen Übergriffen, sexuellem Missbrauch und Gewaltanwendungen ergriffen und umgesetzt. Wir dürfen aber nicht in unseren Anstrengungen nachlassen, die Öffentlichkeit beim Thema sexuelle Gewalt weiter zu sensibilisieren und die Haltung dagegen zu schärfen. Die enge Zusammenarbeit von Wissenschaft und Praxis ist daher ein weiterer wichtiger Schritt, um Kinder- und Jugendliche besser vor sexueller Gewalt zu schützen. Ich erhoffe mir deshalb von dieser Fachtagung, dass gemeinsame Perspektiven und Praxisnahe Vorschläge entwickelt werden."
Der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Johannes-Wilhelm Rörig: "Als Missbrauchsbeauftragter der Bundesregierung sehe ich Schulen im Kampf gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen in erster Linie als zentrale Schutzorte. Lehrerinnen und Lehrer müssen deshalb zu Präventions- und Interventionsmöglichkeiten bei sexueller Gewalt geschult und an den mehr als 30.000 Schulen Konzepte für Schutz und Hilfe entwickelt und umgesetzt werden. Diese beiden Ziele haben wir bis heute leider in keinem Bundesland erreicht. Nach vielen Jahren im Amt bin ich heute fest davon überzeugt: Freiwilligkeit allein führt nicht zu einem umfassenden Schutz vor sexueller Gewalt. Ich fordere deshalb alle 16 Bundesländer auf, in ihren Schulgesetzen die verbindliche Einführung und Anwendung von schulischen Schutzkonzepten zu regeln. Und ich fordere die Länder auf, ihren Schulen die dafür erforderliche personelle und finanzielle Unterstützung verbindlich zur Verfügung zu stellen."
Hintergrund:
Sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche ist ein schwerwiegendes gesellschaftliches Problem, das in immer neuen Dimensionen in Deutschland bekannt wird. Sie gehört zum Grundrisiko einer Kindheit in Deutschland. Aktuelle Studien weisen darauf hin, dass es im Durchschnitt in jeder Schulklasse ein bis zwei Mädchen und Jungen gibt, die sexueller Gewalt ausgesetzt waren oder es aktuell sind.
Als zentraler Lern- und Begegnungsort von Kindern und Jugendlichen kann Schule den Betroffenen einen entscheidenden Zugang zu Hilfe bieten. Zugleich kann sie über Präventionsarbeit dazu beitragen, dass entsprechende Gewalttaten - auch zwischen Jugendlichen - gar nicht erst erfolgen. Um ihren Schutzauftrag effektiv wahrzunehmen, informiert Aufklärung leisten zu können und nicht selbst weiter zu Tatorten sexualisierter Gewalt zu werden, sind Schulen auf geeignete Konzepte, gut geschultes Personal und passgenaue Materialien für die Bildungsarbeit angewiesen.
Im Zusammenwirken von BMBF, KMK und dem Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs soll nun gezielt für eine evidenzbasierte Entwicklung schulischer Präventionsarbeit im Kampf gegen sexuelle Gewalt geworben werden. Dazu findet am 1. und 2. Oktober eine bundesweite Fachtagung statt, auf dem die zentralen Forschungsergebnisse vorgestellt und Fachkräften aus den Bildungsverwaltungen, Landesinstituten für Lehrerbildung sowie der schulischen Praxis zur Verfügung gestellt werden.
Quelle: Bundesministerium für Bildung und Forschung (ots)