Vertrauliche Ministeriumsvorlage belegt hohe Vergünstigungen für Windkraftfirmen in Rheinland-Pfalz
Archivmeldung vom 23.08.2016
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDie nach Auffassung des rheinland-pfälzischen Landesrechnungshofs jahrelang rechtswidrig gewährten Vergünstigungen für Windkraftfirmen bei Eingriffen in Natur und Landschaft sind nach Recherchen des ARD-Politikmagazins "Report Mainz" deutlich höher als bisher bekannt. Das geht aus einer vertraulichen Vorlage des Landesumweltministeriums hervor, die dem Politikmagazin exklusiv vorliegt.
Danach haben rheinland-pfälzische Landkreise zwischen 2010 und 2014 in 100 Fällen Rabatte von überwiegend 90 Prozent auf Ersatzzahlungen für Eingriffe in Natur und Landschaft gewährt. Dadurch gingen dem Land gemäß der vertraulichen Vorlage rund 13 Millionen Euro an zweckgebundenen Geldern für Naturschutzmaßnahmen verloren. In 367 Fällen gestatteten Kreise und kreisfreie Städte so genannte Realkompensationen, darunter versteht man Ausgleichsmaßnahmen in Natura wie beispielsweise das Anlegen von Streuobstwiesen oder Trockenmauern. "Report Mainz" liegt eine Schätzung vor, wonach dem Land dadurch hochgerechnet rund 54 Millionen Euro an Ersatzzahlungen für Naturschutzmaßnahmen entgangen sein könnten. Beides - die Rabatte auf Ersatzzahlungen wie auch der Ausgleich in Natura - sind nach Ansicht des rheinland-pfälzischen Landesrechnungshofs rechtswidrig.
Der Landesrechnungshof Rheinland-Pfalz hatte die Genehmigungspraxis von Windrädern stichprobenartig für den Jahresbericht 2016 geprüft. Die jetzt "Report Mainz" vorliegenden Zahlen liegen deutlich über den im Januar 2016 veröffentlichten Prüfungsergebnissen. Der Landesrechnungshof hat seine Kritik im Interview mit "Report Mainz" jetzt erneuert. Er wirft der Landesregierung vor, sie habe Windkraftfirmen rechtswidrig Vergünstigungen in zweistelliger Millionenhöhe gewährt. Das Land habe weiter an Ermäßigungen von Ausgleichszahlungen für Eingriffe in Natur und Landschaft festgehalten, obwohl es nach Inkrafttreten des Bundesnaturschutzgesetzes seit 2010 keine Rechtsgrundlage mehr dafür gegeben habe. Im Interview mit "Report Mainz" fordert der Präsident des Landesrechnungshofs, Klaus Behnke, das Land müsse die entgangenen Millionen zurückfordern: "Konkret passieren muss folgendes, und das ist unsere Forderung: dass die Genehmigungsbehörden die rechtswidrigen Bescheide aufheben, rechtmäßige Bescheide erlassen und die nicht erhobenen Ersatzzahlungen in Millionengrößenordnung nachfordern sowie an das Land abführen." Nach "Report Mainz"-Informationen fordert nun auch die Rechnungsprüfungskommission des Landtags, "dass rechtswidrigerweise nicht zugunsten des Landes festgesetzte Ersatzzahlungen im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten korrigiert werden" (Vorlage 17/169).
Auf Anfrage von "Report Mainz" teilt Thomas Griese, Staatssekretär im rheinland-pfälzischen Umweltministerium, zur Kritik an den Vergünstigungen mit: "Das ist rechtlicher Unfug. Bereits im Januar sind die Vorwürfe des Landesrechnungshofs Punkt für Punkt widerlegt worden." Er beruft sich auf ein eigens eingeholtes Rechtsgutachten eines Verwaltungsrechtlers, wonach das Vorgehen der Landkreise und kreisfreien Städte nicht zu beanstanden gewesen sei. Weiter teilt er mit: "Das Grüne Umweltministerium hat die Ermäßigungen zum Ausgleich für Windkraftanlagen nicht eingeführt, sondern sie abgeschafft!" Dies sei mit dem Landesnaturschutzgesetz 2015 geschehen. Dem Naturschutz sei kein Schaden entstanden.
Nach Recherchen von "Report Mainz" gab es neben Rheinland-Pfalz auch in Bayern und Berlin Rabatte auf Ersatzzahlungen für Eingriffe in Natur und Landschaft bei Windkraftanlagen. In Bayern kann die Ermäßigung laut dem seit 2011 gültigen Bayerischen Winderlass in bestimmten Fällen 50 Prozent betragen. Eine Umfrage von "Report Mainz" bei allen Landkreisen und kreisfreien Städten in Bayern ergab, dass dem Land dadurch seit 2011 mindestens 6 Millionen Euro für Naturschutzmaßnahmen entgangen sind. Das Bayerische Umweltministerium teilte auf Anfrage dazu mit, diese Regelung sei rechtskonform. Dies habe der Bayerische Verwaltungsgerichtshof bestätigt. In Berlin wurde 2015 bei einer Windenergieanlage eine Ermäßigung von 50 Prozent in Höhe von 17.518 Euro gewährt. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt teilte mit, man halte dies für vereinbar mit dem Bundesnaturschutzgesetz.
Der Vorsitzende des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Hubert Weiger, übte im Interview mit "Report Mainz" erstmals massive Kritik an den millionenschweren Vergünstigungen für Windkraftfirmen: "Eingriff ist Eingriff und muss ausgeglichen werden, und dafür darf es keine Rabatte geben. Durch ein Rabattsystem entstehen natürlich letztendlich Millionenverluste für mögliche und notwendige Ausgleichsmaßnahmen für den Naturschutz - zu Gunsten der entsprechenden Investoren."
Quelle: SWR - Das Erste (ots)