Historiker Zuckermann sieht neue Qualität des Antisemitismus in Deutschland
Archivmeldung vom 15.11.2019
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Freigeschaltet durch André OttDer israelische Historiker und Philosoph Moshe Zuckermann sieht in dem Attentat in Halle am 9. Oktober "eine andere Qualität als das, was Juden in Deutschland bis dato an antisemitischen Vorfällen zu ertragen hatten".
Deutsche Behörden hätten nun mit dem Rechtsradikalismus im Land "ganz anders umzugehen", fordert Zuckermann im Interview mit der Zeitung "neues deutschland": "Mal sehen, ob sie sich dieser Herausforderung im Zeitalter eines Aufblühens der AfD stellen werden." Es falle auf, dass man "mit dem rechtsradikalen Antisemitismus in Deutschland viel pfleglicher umgeht als mit dem vermeintlichen linken Antisemitismus."
Zugleich ist Zuckermann, der auch als Wissenschaftlicher Leiter der Sigmund-Freud-Privatstiftung in Wien tätig ist, besorgt über eine Verengung des Meinungskorridors in Deutschland hinsichtlich politischer Kritik an Israel und seiner Besatzungspolitik. In Städten wie Frankfurt am Main und München bestehe ein "offizielles Auftrittsverbot" ihm gegenüber. "Es wird behauptet, dass meine Vorträge, in denen ich die Politik Israels oder auch den Zionismus kritisiere, antisemitisch seien", so Zuckermann. "Die Zensurmaßnahmen und Schikanierungspraktiken, die sich Behörden, aber auch gewisse politische Gruppen herausnehmen, haben mittlerweile Dimensionen angenommen, die an die ideologische Hysterie und perfiden Diffamierungsgepflogenheiten des historischen McCarthyismus gemahnen."
Das sei Resultat eines "verqueren" Begriffs von Antisemitismus, der in Deutschland um sich greife. Antisemitismus und Antizionismus würden leichtfertig vermengt. Es liege "nicht im Wesen des Antizionismus, antisemitisch zu sein - übrigens auch nicht im Wesen des Antisemitismus, antizionistisch zu sein", so Zuckermann. In diesem Zusammenhang kritisiert der Historiker auch die jüngsten Beschlüsse der deutschen Politik zum Thema. Dabei spielt er etwa auf die generelle Einstufung der Boykottbewegung BDS (Boycott, Divestment and Sanctions) als antisemitisch durch den Deutschen Bundestag an, ebenso auf die Übernahme der "Arbeitsdefinition Antisemitismus" der "International Holocaust Remembrance Alliance" mit der Ergänzung, auch Kritik oder Angriffe auf den "Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird", könnten als antisemitisch einzustufen sein. "Diese Ergänzung beweist nur, dass die Bundesregierung nicht weiß, wovon sie redet", so Zuckermann.
Quelle: neues deutschland (ots)