Heuschreckenplage in Deutschland
Archivmeldung vom 02.05.2005
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Freigeschaltet durch Michael DahlkeInnerlich ausgehöhlt und nun Leergefressen: Lesenswert: Ein Bericht vom Spatz
Nur dicker Wahlkampfqualm, heißt es, seien Münteferings sozialistische Ausbrüche, mit denen er den fehlenden Patriotismus bei Manager medienwirksam geißelt. Ihn deshalb zu beschimpfen fällt schwer. In Wahlkämpfen zeigen sich andere auch nicht gerade "solider". Doch schwerer wiegt die Frage: Hat er nicht Recht? Manager, die Arbeitsplätze in Billiglohnländer verlegen, müssen nicht unbedingt selbst Heuschrecken sein. Das Überleben ihrer Firma kann solche Schritte angesichts hoher Schuldenlast und vieler finanzieller Verpflichtungen erzwingen. Die wahnhafte Klima- und Energiepolitik der Regierung spielt natürlich auch eine Rolle. Die angestellten Manager sind oft nur folgsame Diener ihrer Herren in einem vorgegebenen festen Umfeld. Dessen Geometrie sollen andere bestimmen - Wer? Aber die Auswirkungen solcher Managemententscheidungen gleichen denen der Heuschrecken: Sie hinterlassen leergefressene Länder. Im Grunde geht es dem SPD-Chef um die Rolle des Staates "So wenig Staat wie möglich, aber so viel Staat als nötig". Gegen diese Formel sollten auch Eigentümer nichts einzuwenden haben, denn wer garantiert Eigentum, wenn nicht die Gesellschaft, deren Exponent der Staat ist. Ohne gesellschaftliche Garantie ist "shareholder value" nichts wert.
Die ganze Aufregung um Müntefering versteht nun wieder Franz Josef Möllenberg, der Vorsitzende der Gewerkschaft NGG, nicht. Müntefering habe ganz Recht und was er bis jetzt gesagt hat, war längst klarer vom verschiedenen Papst Johannes Paul II über den globalisierten Turbokapitalismus ausgedrückt worden. Globalisierung in der heutigen Form fällt nicht vom Himmel, sie hat Köpfe und Hintern.
Während sich Medienjournalisten gegen Zeilenhonorar über Münte aufregen, schreitet die Globalisierung voran. Der Kanzler lobt hin und wieder den Mittelstand als das Rückgrad unserer Wirtschaft. Man könnte diese Behauptung auch mit Zahlen belegen. Mehr als auf die dort geschaffenen Arbeitsplätze und Umsätze käme es auf den Geist an, den technisch orientierte, mittelständische Unternehmer verkörpern und möglicherweise sogar weitergeben. Nun warnt die Financial Times vom 27.04. davor, daß technisch gesunde Mittelstandsfirmen zur Zeit zu Tausenden an ausländische Finanzinstitutionen ausverkauft werden. Den Grund dafür sieht die Finanzzeitung bei den Hausbanken dieser Firmen. Diese würden die Schulden ihrer Klienten an internationale Konsortien abtreten. Diesen hingen anlagehungriges weil billig vermehrtes Geld aus allen Hälsen und Taschen heraus. "Hedge Funds in particular frequently seek nearterm realization of investment returns" (Hedge-Fonds sind besonders bestrebt, ihre Gewinne möglichst kurzfristig zu realisieren d.h. in Reales umzuwandeln). Diese Fonds sind ganz scharf darauf, ihre neuerworbenen Forderungen in Besitzansprüche umzuwandeln, weil sich diese nach einigen Rationalisierungsmaßnahmen meist mit Gewinn wieder versilbern lassen. Wie das im einzelnen geschieht, darüber berichtet eine Britische Rating Agency in ihrem "Fitch"-Bericht, auf den sich die Zeitung berief.
Nicht erwähnt wird im Fitch-Bericht, daß eine von der rot-grünen Bundesregierung im Jahr 2000 erlassene und von Müntefering lauthals verteidigte Steuerreform (Steuerfreiheit auf Erlöse bei Unternehmensverkäufen) die Voraussetzung für diese Entwicklung erst geschaffen hatte. Damit wollte man, wie auch mit der Agenda 2010 (die uns unter anderem Hartz IV beschert hat) der Lobby der US-Finanzbranche Honig ums Maul schmieren. Als Gegenleistung bekam die Regierung von diesen Experten bestätigt, daß "sie mit den Reformen auf dem richtigen Weg" sei. So etwas hört sich gut an. Wohin dieser Weg führt, das haben Wähler, denen man sich mit dieser Bestätigung als erste Wahl anbot, nicht gefragt.
Schon vorher, gleich nach seiner Wahl 1998, hatte Schröder aus Dankbarkeit für Wahlhilfen die Stelle eines Bundesbeauftragten für Auslandsinvestitionen eingerichtet und ausgerechnet mit Peanut-Kopper (ehemals Deutsche Bank) besetzt. Später wurde die Stelle "privatisiert" und in "Invest in Germany GmbH" umgenannt und mit einem Zuschuß aus dem Bundeshaushalt von jährlich 5 Mio. Euro ausgestattet. Sie unterhält drei Nebenstellen und zwar in New York, Chicago und Los Angeles und hat die Aufgabe, Geld amerikanischer Investoren nach Deutschland zu schleusen.
Der ehemalige Chef der Bertelsmanngruppe Thomas Middelhoff und jetzige Europa-Chef der Firma Investcorp aus Bahrein, kennt das aus eigener Erfahrung und plauderte schon Mal aus, wie so etwas läuft. Wenn eine Firma übernommen wird, wird sie zerlegt und die Anteile werden auf die Inhaber von Investcorp überschrieben, das sind zwischen 20 bis 40 institutionelle Investoren oder reiche Privatpersonen, die jeweils einen bestimmten Betrag dafür ausgeben. Gekauft werden in der Regel nicht börsennotierte, größere, mittelständische Firmen mit dem Potential, zur Spitzengruppe ihrer Branche aufzuschließen. Die Investoren suchen sich die besten Stücke heraus, "restrukturieren" sie, um sie möglichst bald - die übliche Zeitspanne beträgt 3 bis 5 Jahre - wieder zu verkaufen. Dabei gelingen Investcorp, wie Middelhoff mit stolzgeblähter Brust behauptet, "durchschnittliche Renditen von 25 Prozent".
Hier wird also nichts aufgebaut und schon gar nichts im ursprünglichen Verständnis des Wortes "investiert", sondern Silber in Gold verwandelt - und das dann weggeschafft. Die "Restrukturierung" besteht in erster Linie in "Kostensenkung", das heißt Entlassungen, Mehrarbeit bei geringerem Lohn, outsourcing und vermehrtem Rückgriff auf "flexibilisierte" Leiharbeiter. Die Beschäftigten verzichten angesichts einer angedrohten Schließung meist freiwillig auf Lohn. Sie bekommen dafür "Sicherung der Arbeitsplätze" zugesichert, doch werden solche Zusagen in der Regel nicht eingehalten. Beispiele gibt es hierfür viele. Eines ist die Firma Telenorma, die 2002 von einem US-Konkurrenten von Investcorp, nämlich von KKR übernommen wurde. Der Lohn wurde um 12,5 % gesenkt, die Arbeitsplätze sollten mindestens für ein Jahr sicher sein, ihre Zahl war aber schon nach 7 Monaten in der zwischenzeitlich in Tenovis umgenannten Firma von 8.000 auf 4.500 geschrumpft.
Und wer macht so etwas? Die übernehmende Firma kann so etwas nicht ohne Mitarbeiter in der übernommenen Firma durchführen, denn dazu bedarf es intimer Betriebskenntnisse. Im Fall von Telenorma wurden 70 Topmanager mit Krediten von KKR zu Kapitaleignern. Zusätzlich wurden sie mit hohen Erfolgsprämien gelockt und schon waren sie für ein "entschiedenes" Vorgehen gegen ihre früheren Kollegen gewonnen.
Natürlich wird auch Druck auf den Einkaufspreis ausgeübt, was bei Firmen, die nicht der relativ strengen Börsenkontrolle unterliegen, und angesichts gewisser Notlagen möglich ist. So hatte z.B. KKR das Entsorgungsunternehmen DSD (Duales System Deutschland) für 807 Mio. Euro übernommen. Der Preis lag nach Expertenmeinung rund 100 Mio Euro unter dem Wert des Unternehmens. Was zahlte KKR tatsächlich? Die Aktionäre bekamen 260 Mio. Euro, das war immerhin das 180 Fache des ursprünglichen Ausgabepreises und so kam kaum Protest auf. Die restlichen 547 Mio. Euro des Kaufpreises fand KKR in der DSD-Kasse vor und konnte damit stille Gesellschafter und sonstige Forderungsberechtigte abgelten.
Wenn das Geld nicht schon, wie im Fall DSD in der Kasse liegt, muß man es dort hinein schaffen. Hierfür ist wiederum Telenorma/Tenovis ein typisches Beispiel. Nach der Übernahme gründete KKR auf der Kanalinsel Jersey die Tenovis Finance Limited. Von der nahm die Tenovis GmbH & Co KG Frankfurt einen Kredit über 300 Mio. Euro auf. Das Geld hatte sich die Tenovis Ltd. durch den Verkauf von Anleihen auf dem Finanzmarkt beschafft. Als Sicherheiten verpfändete die Tenovis Frankfurt Geschäftsbesitz. Das geliehene Geld reichte Tenovis Frankfurt an ihre rechtliche Eigentümer, eine Briefkastenfirma Namens Tenovis Germany GmbH durch. Diese gehörte dem Investor KKR, der mit dem Geld die Anleihen der Tenovis Ltd. zurückkaufte. Der Kredit blieb an Tenovis Frankfurt hängen. Mit solchen Kreisgeschäften werden gewaltige Summen aus den Stammunternehmen gesaugt, die dann - um des bloßen Überlebens der Firma willen - auf die Löhne ihrer Mitarbeiter zurückgreifen müssen/wollen. Dazu kann man noch - wie ebenfalls im Fall Tenovis geschehen - Berater in die Firma schicken, die gewaltige Honorare abschöpfen und aus dem Ringtausch noch Provisionen in Millionenhöhe abzweigen.
Irgendwo müssen die hohen Renditen ja herkommen. Im Fall der Übernahme von Siemens Nixdorf ließen sich KKR und Goldman Sachs Anfang 2004 160 Mio. "als "Dividende der vergangenen 4 Jahre" auszahlen. Die Methode, möglichst alle Liquidität aus den zeitweilig übernommenen Unternehmen abzusaugen, hat sogar eigene Namen, sie heißt in Fachkreisen "Recap" oder "Bootstrapping". Der Finanzinvestor hat nach 3 bis 5 Jahren alles Geld, das er für den Kauf verausgabt hat mit der entsprechenden Rendite aus dem Unternehmen herausgepreßt, so daß er sich nun entscheiden kann, ob er das Unternehmen an einen Interessenten weiterverkauft, oder dem Publikum über die Börse aufs Auge drückt, oder sich von der Regierung zur Erhaltung der Arbeitsplätze weitere Millionen beschafft. Im Fall Nixdorf entschied man sich für einen Börsengang und erlöste dort zusätzlich 350 Mio. Euro, wovon 125 Mio. in die Firma flossen, während der Rest, 225 Mio. den "Investoren" zugute kam. Das war aber noch nicht alles, denn die Investoren behielten sich ein kräftiges Aktienpaket, das beim Verkauf im Januar 2005 noch einmal 300 Mio. Euro abwarf. Verrückt, wer bei solchen Geschäften noch an die Produktion von Waren denkt, die sich arbeitende Menschen ohnehin nicht mehr leisten können. Das Verschieben großer Summen zwischen den Finanzgewaltigen ist ein viel lukrativeres Geschäft - das wirtschaftlich mit den Arbeitsplätzen Arbeitseinkommen "vernichtet".
Diesem Zweck dienen nicht mehr nur gutgehende Firmen, sondern alles, auf das man vor Ort nicht verzichten kann. Wohnungen, Wasserwerke, Kraftwerke, Personenverkehrsbetriebe etc.; all das wird "rekonstruiert": und damit Renditen zwischen 20 und 25% verwirtschaftet. Ein besonders lukratives Geschäft ist in letzter Zeit, überschuldeten Gemeinden und kommunalen Wohnungsgesellschaften Wohnungen günstig abzukaufen, um sie in Eigentumswohnungen umzuwandeln oder die Mieten entsprechend anzuheben.
Auszehrung der produktiven und finanziellen Substanz in kürzester Frist, das ist das Wesen der mit staatlichen Mitteln angelockten internationalen Finanzinvestoren, die tatsächlich wie Heuschrecken über alles im Land herfallen, was noch irgendeinen Wert besitzt. Diese hochgelobten ausländischen Investoren meinte der Kanzler, als er nach einem Treffen mit Managern der US-Banken im November 2003 verkündete: "Es gibt ein großes Interesse in den Vereinigten Staaten an der Agenda 2010". Von Herrn Müntefering hörte man damals keine Einwände und von Heuschrecken schon gar nichts. Im Gegenteil, wer dagegen protestierte, wurde beschimpft, wobei "Spinner" das harmloseste Schimpfwort war. Kann man ihm jetzt mehr vertrauen, wo ihn die Liberalen in CDU, FDP und selbst bei den Grünen und weniger laut in der SPD beschimpfen?
"Wann wird die Verlogenheit der Politiker aufhören", fragen viele mit zunehmender Verzweiflung - wohl erst, wenn Sie keine hinterhältigen mehr wählen. Aber es ist doch so wohltuend, sich denkfaul und ausschließlich linientreu informiert nach eigenem Gusto beschwatzen zu lassen.
Quelle: http://www.spatzseite.de/