Verfassungsrechtler sehen beim Grundgesetz Modernisierungsbedarf
Archivmeldung vom 23.08.2018
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Freigeschaltet durch André OttVerfassungsrechtler sehen beim Grundgesetz Modernisierungsbedarf. "Die Digitalisierung spiegelt sich zum Beispiel in der Verfassung überhaupt noch nicht wider", sagte der Staatsrechtler Joachim Wieland dem "Handelsblatt". Immerhin habe das Bundesverfassungsgericht schon 1983 ein ungeschriebenes Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung im Wege der Interpretation entwickelt.
Vorstellbar ist laut Wieland eine Bestimmung über den Datenschutz oder auch eine Pflicht des Staates, für eine digitale Grundversorgung im ganzen Land, also auch in ländlichen Gebieten, zu sorgen. "Nachdenken kann man auch über ein Staatsziel Nachhaltigkeit", so der Speyrer Staatsrechtler. Und Migration sei bislang, abgesehen vom Asylgrundrecht, überhaupt kein Verfassungsthema. "Insgesamt hat sich das Grundgesetz mehr als bewährt", machte Wieland aber deutlich. Am 23. August 1948 besiegelte der Verfassungskonvent auf Schloss Herrenchiemsee die Richtlinien für das Grundgesetz. Der Entwurf, der Grundrechte wie die Menschenwürde garantierte und Prinzipien wie Demokratie, Rechts- und Sozialstaat festlegte, wurde nur wenig später kaum verändert als Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland beschlossen und von den Alliierten gebilligt.
Die ehemalige Richterin am Bundesverfassungsgericht, Gertrude Lübbe-Wolff, plädiert nun aber dafür, das Gesetzgebungsverfahren um Elemente direkter Demokratie zu ergänzen. "Es gehört zu den Selbsttäuschungen großer Teile der Nachkriegseliten, dass die rein repräsentative Demokratie den sichersten Schutz vor Entwicklungen zum Totalitären bietet", sagte Lübbe-Wolff dem "Handelsblatt". Zwar sei eine repräsentativdemokratische Politik, bei der die Bürger die Entscheidungen gewählten Vertretern überlassen, ebenso unentbehrlich wie das Vertrauen der Bürger in eben dieses System. "Zunehmender Entfremdung zwischen den Bürgern und ihren politischen Repräsentanten lässt sich aber nicht dadurch vorbeugen, dass man die Bürger von direkten Entscheidungsmöglichkeiten prinzipiell ausschließt", so Lübbe-Wolff. "Das Gegenteil ist richtig."
Quelle: dts Nachrichtenagentur