Ischinger beklagt Fehlen von Sicherheitspolitik im Wahlkampf
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Foto: Kasa Fue
Lizenz: CC BY-SA 4.0
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Der langjährige Chef der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC), Wolfgang Ischinger, kritisiert, dass Außen- und Sicherheitspolitik im deutschen Wahlkampf kaum eine Rolle spiele. "Ich finde es verblüffend, dass die sicherheitspolitische Gefahrenlage bisher im Wahlkampf weitgehend ausgeblendet blieb", sagte Ischinger dem Nachrichtenportal T-Online.
"Offenbar will keine Partei und kein Spitzenkandidat den Wählern die
Erkenntnis zumuten, dass unser Trittbrettfahren im Vertrauen auf die
Schutzmacht Amerika zu Ende geht und wir enorme Summen investieren
müssen, um wieder verteidigungsfähig zu werden."
Auf die Frage,
ob CDU-Chef Friedrich Merz als Kanzler die Bundeswehr kriegsfähig machen
könne, antwortete Ischinger: "Im Prinzip ja, denn der Amtseid setzt ja
das Ziel, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden." Entscheidend sei aber
die Koalition, die Merz bilden würde.
Ischinger zeigte sich
derweil über das transatlantische Bündnis "zutiefst besorgt". "Über
viele Jahrzehnte war es manchmal getrübt, stand aber nie infrage. Durch
die Ereignisse der jüngsten Zeit ist das Vertrauen leider erheblich
gestört."
Im Hinblick auf die Bedrohung durch Russland hätten
Gespräche auf der Münchner Sicherheitskonferenz wenig gebracht, räumt
Ischinger ein. "Seit der Annexion der Krim im Jahr 2014 sprechen wir in
immer neuen Anläufen von dem notwendigen Weckruf für Europa, die
Konsequenzen zu bedenken. Außer viel Papier und frommen Reden ist jedoch
nichts geschehen", so Ischinger. "Vielleicht braucht es in der Tat
einen regelrechten Elektroschock, um Europa dazu zu bewegen, endlich
selber sicherheitspolitische Verantwortung für den alten Kontinent zu
übernehmen."
Eine europäische Armee sei derzeit aber
unrealistisch, so der Top-Diplomat. "Ich fand es bewegend, dass der
ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj uns Europäer auf der Münchner
Sicherheitskonferenz dazu aufgerufen hat, eine europäische Armee
aufzubauen", sagte er. "Ich befürchte allerdings, dass die Vision, so
schön sie auch ist, noch auf längere Sicht eine Vision bleibt."
Stattdessen
müsse Europa seine Verteidigungsindustrie stärken: "Das Ende der
Kleinstaaterei wäre erreicht, wenn Rüstungsgut gemeinsam produziert,
gekauft und gewartet würde. Auch die Ausbildung der Soldaten sollte zur
Gemeinschaftsaufgabe werden. Auf diese Weise ließen sich übrigens zig
Milliarden Euro pro Jahr sparen und damit anders verwenden."
Quelle: dts Nachrichtenagentur