Wirtschaftsweiser Bofinger sieht Unabhängigkeit der EZB in Gefahr
Archivmeldung vom 10.09.2012
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Freigeschaltet durch Manuel SchmidtDer Wirtschaftsweise Peter Bofinger sieht durch die Entscheidung der Europäischen Zentralbank (EZB) zum unbegrenzten Ankauf von Staatsanleihen die Unabhängigkeit der Einrichtung in Gefahr. "Die EZB hätte die Aufkäufe nicht an Auflagen binden dürfen. Damit hat sie einen Teil ihrer Unabhängigkeit verspielt", sagte Bofinger der "Welt am Sonntag".
Die EZB hatte am Donnerstag in ihrer Ratssitzung entschieden, unbegrenzt Staatsanleihen aufzukaufen. Die Notenbank wird aber nur dann einschreiten, wenn ein Land offiziell um Hilfe beim europäischen Rettungsschirm ESM ersucht und sich dessen Bedingungen fügt. Ehemalige Notenbanker wie der frühere EZB-Chefvolkswirt Jürgen Stark hatten schon im Vorfeld der EZB-Sitzung vor solch einem Schritt gewarnt. "Geldpolitik darf nicht an Bedingungen geknüpft werden. Indem eine Zentralbank ihr Handeln vom Verhalten Dritter abhängig macht, ist dies nicht mehr geldpolitisch begründbar", warnte Stark in der "Welt".
Andere Top-Ökonomen halten die Entscheidung, die Aufkäufe an Bedingungen zu knüpfen, dagegen für richtig. "Die EZB hat der Politik nur Zeit gekauft. Ob die Politik sie nutzt, wird die Zeit zeigen", sagte der US-Starökonom Barry Eichengreen der "Welt am Sonntag". Dass die Länder einen Hilfsantrag stellen müssen, erhöhe aber die Wahrscheinlichkeit, so Eichengreen.
Auch der ehemalige Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Thomas Mayer, lobt die Entscheidung: "Die EZB hat den Spielball wieder ins Feld der Politik gerollt - und da gehört er auch hin", sagt Mayer.
Grundsätzliche Bedenken gegen den unbegrenzten Aufkauf von Staatsanleihen hat dagegen Markus Kerber, Wirtschaftsprofessor an der TU Berlin und Initiator der Europolis-Klage gegen den europäischen Rettungsschirm ESM. Er halte sich eine Klage gegen die EZB offen, sollte das Bundesverfassungsgericht am Mittwoch die Klage gegen den ESM abweisen, sagte Kerber der "Welt am Sonntag".
EU-Kommissar Oettinger lobt EZB-Entscheidung zum Kauf von Staatsanleihen
Die Auseinandersetzung um die Entscheidung der Europäischen Zentralbank, unbegrenzt Staatsanleihen von Schuldenstaaten aufzukaufen, nimmt an Schärfe zu. Der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger sagte der "Welt am Sonntag": "Ich halte die Vorgehensweise der EZB für völlig vertretbar und sogar für geboten." Die EZB könne "sehr wohltuend im Interesse aller Euro-Länder wirken".
Mit Blick auf die ablehnende Haltung der deutschen Bundesbank und ihres Präsidenten Jens Weidmann fügte Oettinger hinzu: "Wir müssen akzeptieren, dass die Euro-Zone mit 17 Mitgliedstaaten etwas anderes ist als die Bonner Republik."
Der frühere Bundesbankvorstand Thilo Sarrazin kritisierte die Entscheidung der EZB zum Kauf weiterer Staatsanleihen dagegen als "eindeutig rechtswidrig". Der "Welt am Sonntag" sagte er: "Das ist ein kalter Staatsstreich, für den die Namen Draghi und Merkel stehen." Kalt lächelndhätten der EZB-Präsident und die Bundeskanzlerin den Bundesbankpräsidenten übergangen, kritisierte Sarrazin. "Frau Merkel hält sich Herrn Weidmann als eine Art Pudel."
Jürgen Stark, der ehemalige Chefvolkswirt der EZB, sieht eine Konfrontation neuer Dimension zwischen Bundesbank und Bundesregierung. "Hier geht es um eine potenzielle Umverteilung von Vermögen zwischen den Mitgliedsstaaten in bislang nicht gekanntem Ausmaß ohne parlamentarische Kontrolle", sagte er der "Welt am Sonntag".
Nach Informationen der Zeitung fühlt man sich in der Bundesbank von der Bundesregierung im Stich gelassen. "Hier wird am Parlament vorbei die Bilanz der Deutschen Bundesbank benutzt, um anderen Regierungen in Europa zu unterstützen", hieß es in Notenbankkreisen. Die Politik gebe damit jegliche Kontrolle darüber ab, mit welchen Summen nun andere Staaten finanziert würden. Die Entscheidung der EZB werde nicht dazu führen, dass ausländische Investoren wieder stärker in Staatsanleihen der Krisenländer investierten. Denn die grundlegenden Probleme blieben.
Merkel und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hatten die EZB-Entscheidung in ersten Stellungnahmen gutgeheißen. Hessens Justizminister Jörg-Uwe Hahn bekräftigte seine Forderung an die Bundesregierung nach einer Klage. "Es ist richtig, gerade jetzt mit einer Klage gegen die EZB diese davor zu bewahren, zum Spielball der Politik zu werden", sagte er der "Welt am Sonntag".
Quelle: dts Nachrichtenagentur