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Die wahren Strippenzieher

Archivmeldung vom 05.10.2005

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 05.10.2005 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Michael Dahlke

Lobbyisten in Brüssel. www.dradio.de, berichtet

Aus dem Inhalt:

Die Lobby-Welt in Brüssel ist ziemlich undurchsichtig. Mit der Wichtigkeit der Entscheidungen auf europäischer Ebene wuchs auch die Anzahl der Lobbyisten. Wie viele es sind, weiß keiner. Klar ist aber: Der Einfluss der Lobbys wächst. Die Europäische Kommission hat jetzt eine Transparenz-Initiative gestartet.

Erik Wesselius hat es sich zur Aufgabe gemacht, mehr Transparenz in das Dickicht der Brüssler Lobbys zu bringen. Regelmäßig führt der Niederländer Interessierte durch das EU-Viertel und zeigt ihnen, wo die verschiedenen Interessenvertreter sitzen und mit welchen Methoden sie arbeiten.

Tatsächlich ist die Lobby-Welt in Brüssel ziemlich undurchsichtig. Mit der Wichtigkeit der Entscheidungen auf europäischer Ebene wuchs auch die Anzahl der Lobbyisten.

Wie viele das sind, weiß keiner so genau. Die EU-Kommission hat vor fünf Jahren eine Schätzung durchgeführt und kam auf rund 10.000 Interessenvertreter in der belgischen Hauptstadt. Mittlerweile geht man von ungefähr 15.000 aus. Das reicht vom sogenannten Big Business über Umweltorganisationen bis hin zum Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche.

Nicht nur die Anzahl ist unbekannt. Was ein Lobbyist genau macht und welche Organisationen als Lobby zu bezeichnen sind, ist ebenfalls unklar. In Brüssel gibt es keine gemeinsame Definition der Branche.

Der CDU-Abgeordnete Hartmut Nassauer, der tagtäglich mit Lobbyisten zu tun hat, beschreibt ihre Arbeit so:

Wenn ein Gesetzesvorschlag herauskommt, bemühen sich Lobbyisten um Kontakte, um Gespräch. In aller Regel und im Kern und wenn es gut ist, geht es darum, dass ein Gesetzesentwurf bewertet wird und Änderungsvorschläge diskutiert werden. Das ist die eine Seite. Dann wird man natürlich eingeladen zu Veranstaltungen, zu Podien, Seminaren. Das ist ein ziemlich breites Feld.

Die Wege sind kurz zwischen Lobbys und Institutionen. Oft reicht eben ein Gang über die Strasse. Und die Lobbys in Brüssel haben einen wesentlich größeren Einfluss auf die Gesetzgebung als das auf nationaler Ebene der Fall ist. Folker Franz:

Der EU-Abgeordnete Hartmut Nassauer ist froh über diese fachliche Unterstützung. Er fühlt sich nicht von den Lobbyisten bedrängt:

Für uns sind Lobbyisten wertvolle Datentanks. Dort ist sehr viel Fachwissen vorhanden, das wir für unsere Gesetzgebungsarbeit benötigen, das auf nationaler Ebene oft von in Gesetzgebungsdingen erfahrenen Verwaltungen kommt. Im Grossen und Ganzen haben wir hier ein sehr gutes Verhältnis zu den Lobbyisten, die ganz legitimerweise Interessen vertreten, daraus auch keinen Hehl machen.

Einheitliche Verhaltensregeln für Lobbyisten gibt es in Brüssel bisher nicht. Niemand ist dazu verpflichtet, seine Geldgeber öffentlich bekannt zu geben oder zu veröffentlichen, wie viele Menschen für die Organisation arbeiten. Nur die Mitglieder der Society of European Affaires Professionals halten sich bereits an einen Verhaltenskodex. Dieser Zusammenschluss von Lobbyisten hat rund 150 Mitglieder und sieht sich als Vertretung der Branche in Brüssel.

Ein interessantes Beispiel ist das sogenannte Broormine Environemental Forum. Das ist eine der Firmen, die ihre echten Interessen hinter einer netten Fassade verstecken. Wenn man den Namen so liest, könnte man meinen, dass es sich bei diesem Forum um eine Gruppe von Wissenschaftlern und Umweltschützern handelt, die die Auswirkungen der Verwendung von Brom untersuchen. Und das natürlich objektiv. Aber nein, diese Gruppe vertritt die Interessen der vier größten Brom-Produzenten. Und die werden natürlich niemals Studien finanzieren, die zum Beispiel nachweisen, dass diese Chemikalie sehr schädlich sein kann.

Es fehlt eine unabhängige Stelle, die solche Behauptungen überprüfen könnte. Das gleiche gilt für die Einschätzung des tatsächlichen Einflusses der Lobbys.

Es gibt einige Gruppen, vor allem aus dem Business-Bereich, die sicherlich mehr Macht haben als andere. Sie haben mehr Geld und mehr Personal. Sie können sich bessere Analysen leisten und die Abgeordneten gezielt beeinflussen.

Ein Beispiel aus dem Kleinkrieg der Lobbyisten:

Die Industrie-Verbände drohten über Monate hinweg mit einem radikalen Arbeitsplatz-Abbau, sollte Reach in der Ursprungsform in Kraft treten. Die Registrierung der Stoffe sei zu teuer und würde Millionen von Arbeitsplätzen kosten, hieß es. Erst eine Studie der Industrievereinigung Unice zeigte, dass viel weniger Jobs bedroht sind, als von der Industrie vorher angenommen. In der Zwischenzeit waren aber schon erhebliche Änderungen an dem Vorschlag gemacht worden.

Aber die Nichtregierungsorganisationen sehen in Brüssel ein ganz anderes Problem, und zwar die Verbindung zwischen den Institutionen und der Privatwirtschaft. Zum Beispiel, wenn EU-Mitarbeiter in die Privatwirtschaft wechseln und umgekehrt. Jorgo Riss, Geschäftsführer des Brüsseler Greenpeace-Büros:

Die wechseln den Stuhl und sitzen immer noch am gleichen Tisch. Die Industrie ist an solchen Beamten interessiert. Denn die haben die Kontakte, die wissen, wo die Leute sitzen. Im Moment achtet die Kommission überhaupt nicht darauf inwieweit solche Interessenkonflikte dadurch entstehen könnten, dass jemand zum Beispiel zuerst an neuer Gesetzgebung schreibt um zum Beispiel den Schutz der europäischen Bürger vor giftigen Chemikalien zu verbessern und dann ein halbes Jahr später plötzlich für den Dachverband der europäischen Chemieindustrie arbeitet, der versicht, genau diese Gesetzgebung abzuschwächen und ganz zu verhindern.

Der bekannteste Fall eines solchen Seitenwechsels ist der ehemalige deutsche EU-Kommissar Martin Bangemann. Er war in der Kommission von Jacques Santer in den 90er Jahren zuständig für Telekommunikation und nahm dann - noch während seiner Amtszeit - einen Posten bei dem spanischen Telekomkonzern Telefonica an. Der Fall erregte damals einige Aufregung und die Kommission gab sich unter dem öffentlichen Druck erstmals einen umfassenden Verhaltenskodex.

In dem ist zum Beispiel geregelt, dass die Kommissare keine Geschenke annehmen dürfen, die einen Wert von über 150 Euro haben. Außerdem müssen die Kommissare bei jeder Nebentätigkeit um die Erlaubnis der Behörde fragen. Von Ausnahmefällen abgesehen müssen die Kommissare nach Beendigung ihres Amtes ein Jahr lang warten, bevor sie für Lobbys arbeiten dürfen. Diese Regeln sind nach Auffassung des für die innere Verwaltung zuständigen Kommissars Siim Kallas völlig ausreichend:

Dennoch ist bis heute nicht ausgeschlossen, dass ehemalige Kommissionsbeamte ohne Übergangsfrist die Seiten wechseln und ihre internen Kenntnisse für die Lobbys benutzen. Paul de Clerck vom Umweltverband Friends of the Earths Europe:

Der ehemalige Handelskommissar Lamy, der im vergangenen Herbst sein Amt aufgegeben hat, hat schon kurz danach als Lobbyist hier in Brüssel gearbeitet, bevor er dann zur Welthandelsorganisation gegangen ist.

Die Frage ist, wie weit Siim Kallas mit seinem Vorschlag für mehr Transparenz in Brüssel gehen wird. Aber selbst wenn es der EU-Kommission gelingt, mehr Informationen über die Lobbys zu veröffentlichen, bleibt ein Problem bestehen, meint Guillaume Durand vom Think Tank European Policy Center:

Für die Menschen, die hier in Brüssel sind, gibt es keine Geheimnisse. Aber sie müssen zum eingeweihten Kreis gehören. Und das sind nur wenige. Dazu gehören zum Beispiel auch die Journalisten. Was in Brüssel passiert, ist sehr sichtbar für diejenigen, die hier sind. Aber es gibt eben eine Mauer zwischen Brüssel und der übrigen Welt. Und da haben wir ein echtes Problem.

Quelle: http://www.dradio.de/dlf/sendungen/hiwi/424472/


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