Staatsrechtler: Extremismusbegriff ist verfassungswidrig
Archivmeldung vom 27.12.2019
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Freigeschaltet durch André OttDer Berliner Staats- und Verwaltungsrechtler Martin Kutscha hat die Kategorie "extremistisch" als "politischen Kampfbegriff" kritisiert. Im Gespräch mit der Tageszeitung "neues deutschland" sagte er: "Eigentlich kann jeder, der Kritik übt oder Regierungsstellen unbequem ist, als extremistisch gebrandmarkt werden." Nicht zuletzt, weil der Begriff so unscharf sei, stehe er weder im Grundgesetz noch im Bundesverfassungsschutzgesetz.
Das Berliner Finanzamt hatte entschieden, der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschisten den Status der Gemeinnützigkeit zu entziehen und darauf verwiesen, dass die Vereinigung vom bayerischen Verfassungsschutz als "linksextremistisch beeinflusst" eingestuft wird. Mit Blick auf diese Entscheidung forderte Kutscha eine Reform der Abgabenordnung. "Man hat vor etwa zehn Jahren in die Abgabenordnung hineingeschrieben, dass Organisationen nicht gemeinnützig sind, wenn sie im Verfassungsschutzbericht des Bundes oder eines Bundeslandes als extremistisch bezeichnet werden. Da hat man den Extremismusbegriff in ein formelles Gesetz aufgenommen, was in meinen Augen verhängnisvoll ist", so Kutscha. Der Begriff sei "juristisch völlig unscharf".
Als Eingriffsnorm sei der Begriff auch verfassungswidrig. "Das Bundesverfassungsgericht verlangt in ständiger Rechtsprechung, dass Eingriffsnormen bestimmt sein müssen, dass ich als Bürger oder Bürgerin genau weiß, was gemeint ist. Und daran mangelt es diesem Begriff", so der Professor für Staats- und Verwaltungsrecht im Ruhestand, der bis 2013 an der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) gelehrt hat.
Zugleich kritisierte er, dass politischen Vereinen wie Attac und Campact die Gemeinnützigkeit entzogen wurde. Es könne nicht sein, dass "eine Organisation vom Staat abgestraft wird, weil sie politische Forderungen erhebt", so Kutscha. "Jeder Kaninchenzüchterverband will, dass seine Interessen von der Politik berücksichtigt werden - und er wird deshalb eben nicht nur Aufklärungs- und Bildungsarbeit betreiben, sondern natürlich auch politische Forderungen stellen."
Der Jurist forderte auch, disziplinarische Maßnahmen aufgrund der Gesinnung dürften gegen Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes nur dann zum Tragen kommen, wenn sie im Amt Volksverhetzung betrieben. Dies müsse auch für rechtslastige Personen gelten. "Wir dürfen niemanden allein wegen seiner Gesinnung benachteiligen", etwa wenn er Mitglied einer legalen Partei wie der AfD sei, sagte Kutscha.
Quelle: neues deutschland (ots)