Gerhard Schröder räumt bei der ZEIT MATINEE Fehler während eigener Amtszeit ein
Archivmeldung vom 30.10.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittGerhard Schröder hat bei der ZEIT MATINEE Fehler während seiner eigenen Amtszeit eingeräumt. "Die sieben Jahre waren nicht fehlerfrei", sagte Schröder im Gespräch mit den ZEIT-Herausgebern Josef Joffe und Michael Naumann. So sei der Koalitionsvertrag 2002 "viel zu technokratisch" gewesen.
Man hätte sich "mehr Zeit geben müssen, um präziser zu
sein". Die Agenda 2010, die 2003 entstand, hätte eigentlich die
Regierungserklärung der zweiten Legislaturperiode sein müssen, so
Schröder. Außerdem habe man viel zu lange diskutiert, ob Deutschland
ein Einwanderungsland sei oder nicht, anstatt die Integration von
Migrantenfamilien mit konkreten Beschlüssen voranzutreiben. Man habe
zu institutionell, zu wenig konkret gehandelt. Insbesondere bei der
Vermittlung der deutschen Sprache habe man "zu wenig Zwang ausgeübt".
Die Überzeugung, man müsse eine gesteuerte Einwanderung haben, habe
sich zu spät durchgesetzt.
Bei der Veranstaltung der Wochenzeitung DIE ZEIT im ausverkauften
Hamburger Thalia Theater plädierte Gerhard Schröder auch für einen
"veränderten Begriff der Nachbesserung in der Politik": Politiker
müssten das Recht auf Kurskorrekturen haben, "ohne dass man
denunziert wird". Die Wirklichkeit wandle sich viel zu schnell und
sei zu komplex für statische Entscheidungen. Die Politik müsse heute
soziale und wirtschaftliche Veränderungsprozesse vorhersehen und ihre
Entscheidungen gegebenenfalls korrigieren dürfen.
Auf die Vorwürfe, seine Regierung habe zur Verbreiterung einer
Unterschicht beigetragen, sagte Schröder, dies sei "Unfug". Eine
Unterschicht habe es auch in der Vergangenheit gegeben, sie sei aber
z. B. durch die Globalisierung verschärft worden. Ein Problem liege
auch in den modernen Gesellschaften selbst: "Die Menschen wollen an
bestehenden Strukturen festhalten". Neben dem Angebot sei
insbesondere der Wille zur Veränderung wichtig. Wohlhabenden
Gesellschaften fehle es häufig an Motivation. Ein großes Problem
sieht Schröder in der Abwanderung junger hochqualifizierter
Arbeitskräfte. Schuld daran seien aber die Unternehmen selbst, die
Berufsanfängern schlechte Einstellungschancen bieten: "Die jungen
Leute werden heute von Praktikum zu Praktikum geschickt".
Mit Kritik an der aktuellen Regierung hielt Schröder sich zurück.
Die Libanon-Politik halte er für richtig, allerdings kritisierte er
die Gesundheitsreform: Kopfpauschale und Bürgerversicherung seien
zwei "nicht zu vereinbarende Prinzipien, die man mit der Reform
versuche in der Schwebe zu halten, damit alle zufrieden sind."
Veränderungsbedarf sieht er auch in der Regulierung: Es sei "schon
ein bisschen kleinkariert, wie wir uns bisweilen darstellen".
Schröder verteidigte auch seine persönliche Beziehung zu Putin, den er früher einen "lupenreinen Demokraten" genannt hatte. Das alte Russland, so Schröder, "hat nie eine demokratische Entwicklung erlebt". Putin habe eine große historische Leistung in der Reorganisation des Staates erbracht. Er halte den "deutschen Zeigefinger" für unangebracht. Auch auf die Frage nach der Situation der Pressefreiheit in Russland, verteidigte Schröder den russischen Präsidenten. In der gedruckten Presse gebe es durchaus kritische Berichte, im Fernsehen gebe er allerdings Einseitigkeiten zu.
Quelle: Pressemitteilung DIE ZEIT